Wie stark Dragqueens zum Mainstream geworden sind

«Viva la Diva»

Foto: Frank W. Hempel/Rtl/dpa
Foto: Frank W. Hempel/Rtl/dpa

KÖLN: Früher Underground, heute Unterhaltung für Millionen: Dragqueens kommen gut an. Das zeigen «RuPaul's Drag Race» oder neulich der Film «Meine Freundin Volker». Jetzt kehrt auch die RTL-Show «Viva la Diva - Wer ist die Queen?» zurück.

Spätestens als vor zehn Jahren Olivia Jones im Finale des Dschungelcamps landete und ein Jahr später Conchita Wurst den Eurovision Song Contest gewann, wurde klar, dass auch hierzulande Dragqueens bei Millionen auf Sympathie stoßen. Seitdem wurde deren Kunst, die früher vor allem in der schwulen Subkultur gefeiert wurde, immer massentauglicher. Am Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (17. Mai) feierte jüngst auch die ARD mit der Komödie «Meine Freundin Volker» einen Quotenhit. Darin mimte «Tatort»-Star Axel Milberg die Figur Volker alias Szene-Star Vivian Bernaise.

RTL setzt jetzt (2.6.) - nach dem Erfolg im vergangenen Jahr - die Promi-Ratesendung «Viva la Diva - Wer ist die Queen?» fort. In der Show, bei der unter anderem Olivia Jones und Jorge González im Rateteam sitzen und in der Fachjury die Dragqueens Danny Ma Fanny, Laila Licious, Bambi Mercury, Catherrine Leclery und Pam Pengco, brezeln sich Prominente als Ladys auf. Wer es diesmal ist, bleibe bis zur Ausstrahlung ein Geheimnis, betont RTL. Ansatzpunkte könnten im Namen, Kostüm, in der Farb- oder Musikauswahl versteckt sein.

Der Streamingdienst Paramount+ hat derweil einen deutschen Ableger der international erfolgreichen Reality-TV-Show «RuPaul's Drag Race» angekündigt, die noch in diesem Jahr starten soll.

«Wir werden nackt geboren, und der Rest ist Fummel» (We're born naked, and the rest is drag) - dieser Satz stammt von Weltstar Ru Paul. Der heute 62-Jährige wollte damit einst wohl die kulturelle Bedingtheit von Geschlechtererscheinungsbildern beschreiben.

Als «Drag Queens» bezeichnen sich Personen, die meist eigentlich eine männliche Identität haben, oft schwul/queer sind, aber eben Kleidung anlegen, die nach heterosexueller Norm fürs weibliche Geschlecht vorgesehen ist. Das deutlich weniger populäre Pendant zu Dragqueens sind (vielfach in der Lesben-Kultur beheimatete) «Drag Kings».

Superneu ist das alles keineswegs, aber frühere Begriffe wie Travestie und Travestiekunst klingen heute altmodisch. In Deutschland war schon in den 1980er Jahren das Duo Mary & Gordy bekannt, später wurde Lilo Wanders zur TV-Prominenten. In der Kleinkunstszene sind Georgette Dee und viele andere Verwandlungskünstler ein Begriff.

International sind Dragqueens aus Show und Film sowieso nicht wegzudenken, man denke an Divine (1945-1988), Dame Edna (den kürzlich mit 89 gestorbenen Schauspieler Barry Humphries) und eben RuPaul.

Erst kürzlich gab es dennoch eine hitzige Debatte über Dragqueens - wegen einer geplanten Lesung für Kinder ab vier Jahren in einer Stadtteilbibliothek in München. Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger von den Freien Wählern behauptete, dies sei «Kindeswohlgefährdung und ein Fall fürs Jugendamt, keine Weltoffenheit wie es die Grünen verharmlosen».

Damit schwappt offenbar der fundamentalistische Diskurs von Amerika nach Deutschland, dass Dragqueens eine Gefahr für Kinder und Jugendliche seien. In den USA hat jüngst der von den Republikanern dominierte Staat Tennessee Drag-Shows im öffentlichen Raum und überall in Anwesenheit von Personen unter 18 Jahren verboten.

Das Gesetz definiert seit April solche Aufführungen unter «Oben-ohne-Tänzer, Go-Go-Tänzer, exotische Tänzer, Stripperinnen, männliche oder weibliche Imitatoren, die Unterhaltung bieten, die ein lüsternes Interesse anspricht». Ähnliches planen Staaten wie Arizona, Idaho, Kansas, Kentucky, Oklahoma, South Carolina und Texas.

Dragqueen-Kultur ist traditionell mit frivolen Witzen, toupierten Perücken, Pailletten, glamourösen Kostümen, viel Schminke sowie Playback und Imitation von Idolen wie Cher, Madonna, Donna Summer, Lady Gaga oder auch Marlene Dietrich und Judy Garland verbunden.

Manche empfinden Dragqueens sogar gelegentlich als frauenfeindlich, weil sie Weiblichkeit oft mit Zickigkeit und völlig übertriebenen Verhaltensweisen darstellen.

Dragqueens selbst betonen oft ihre (gesellschafts-)politischen Absichten. Sie grenzen sich zudem von Transvestiten ab, die sich aus Fetisch-Gründen in Fummel werfen.

Ganz kompliziert für einige wird es dann, wenn es darum geht, würdevoll über das eigentlich völlig anders gelagerte Thema der Trans-Identität zu sprechen - also wenn sich Menschen mit dem Geschlecht, das ihnen nach der Geburt zugeschrieben wurde, nicht identifizieren und deshalb anders kleiden als vielleicht erwartet.

Identität, geschlechtsspezifische visuelle Codes, die Frage der sozial konstruierten Geschlechtlichkeit überhaupt - das alles erscheint heute oft als vermintes Gelände.

Umso erstaunlicher ist es, dass eine Fernsehshow wie «Viva la Diva» zu den großen TV-Überraschungen des vergangenen Jahres gehörte. Im Herbst erhielt RTL für die Sendung einen Deutschen Fernsehpreis. Zwei neue Folgen strahlt der Privatsender jetzt am 2. und 9. Juni aus.

«Viva la Diva - Wer ist die Queen?» bei RTL

Durchschnittlich mehr als zwei Millionen sahen im Juni 2022 die Premierenfolge, in der Steffen Hallaschka, Bernhard Brink, Mickie Krause, Ingo Nommsen, David Odonkor sowie Faisal Kawusi mitmachten.

Auch 2023 übernimmt wieder TV-Koch Tim Mälzer die Moderation der RTL-Show, die auf dem niederländischen Format «Make up your mind» (RTL4) basiert. Aufgezeichnet wurden die beiden neuen Shows schon im Februar in einem Fernsehstudio in den Niederlanden.

Olivia Jones, Tahnee, Jana Ina Zarella und Jorge González bilden das Rateteam. In einer Fachjury sitzen fünf professionelle Dragqueens. Sie bewerten die Performances ihrer neuen Kolleginnen und entscheiden Runde um Runde, wer weiterkommt.

RTL verkauft das Ganze auch als gesellschaftliches Anliegen im sogenannten Pride-Monat Juni: Die Promis machten beim Drag-Over mit, «um zu unterhalten und gleichzeitig für eine offenere Welt einzustehen». Die meisten von ihnen liefen das erste Mal auf Absätzen und legten sich erstmals ein Alter-Ego samt Allüren zu.

Die Kamera begleitete die Queens schon im Vorfeld der Shows. Was in der Show nur in kleinem Rahmen gezeigt werde, biete die Doku im Anschuss in aller Ausführlichkeit: «Viva la Diva - Der Weg zum Laufsteg» (2. und 9.6., jeweils 22.15 Uhr) zeigt die Verwandlung der Promis, die Trainings, den ersten Gang auf High Heels und so weiter.

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