Steinmeier in der Türkei

Besuch bei einem schwierigen Partner Von Ulrich Steinkohl und Mirjam Schmitt

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Foto: epa/Luong Thai Linh
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Foto: epa/Luong Thai Linh

BERLIN: Zehn Jahre ist es her, dass ein Bundespräsident der Türkei einen Besuch abgestattet hat. Jetzt reist Frank-Walter Steinmeier an den Bosporus. Er will nicht nur auf die offiziellen Beziehungen schauen.

Sie holten in Essen unter Tage die Kohle aus der Tiefe und schraubten in Köln am Fließband Autos zusammen - Hunderttausende Türken trugen ab den sechziger Jahren zum deutschen Wirtschaftswunder bei. Diese bei den Deutschen oft in Vergessenheit geratene Leistung will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem dreitägigen offiziellen Besuch in der Türkei von diesem Montag an würdigen. Er wird ihn deshalb in Istanbul im historischen Bahnhof Sirkeci beginnen, von dem aus viele Türken die Fahrt in eine ungewisse Zukunft in Deutschland angetreten haben. Politisch wird es ein Besuch bei einem wichtigen, aber schwierigen Partner.

Steinmeier kommt nur wenige Wochen nach den Kommunalwahlen in der Türkei, deren Bedeutung über das Lokale hinausging. Die Wähler verpassten dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Ende März einen Denkzettel. Seine islamisch-konservative AKP wurde erstmals in ihrer Geschichte nicht mehr stärkste Kraft im Land. Stattdessen triumphierte landesweit die größte Oppositionspartei CHP.

Der Bundespräsident wird gleich nach seiner Ankunft den wiedergewählten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu treffen. Der Erdogan-Widersacher wird als künftiger Präsidentschaftskandidat gehandelt. Imamoglu bezeichnete die deutsch-türkischen Beziehungen im Vorfeld als etwas sehr Besonderes.

Der Besuch hat gewissermaßen ein auf dem Kopf stehendes Programm. Normalerweise fliegt der Bundespräsident in die Hauptstadt des jeweiligen Landes, wird dort vom Gastgeber mit militärischen Ehren begrüßt, dann zieht man sich zum Gespräch zurück, trifft sich später wieder zu einem offiziellen Essen. Und erst dann schließen sich andere Stationen im Gastland an. Bei der Türkei-Reise verhält es sich umgekehrt: Die Hauptstadt Ankara und Gastgeber Erdogan kommen erst zum Abschluss des Besuches am Mittwoch dran.

Indem er erst Imamoglu trifft, setzt Steinmeier - egal ob gezielt oder nicht gezielt - das Signal, dass Berlin auch schon auf die Nach-Erdogan-Zeit schaut. Dazu passt, dass auch ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, vorgesehen ist.

Etwa drei Stunden werden Steinmeier und Erdogan zusammen sein. Dabei dürften auch unangenehme Themen zur Sprache kommen. So sitzen noch immer wichtige Vertreter der Zivilgesellschaft wie der Kulturförderer Osman Kavala in Haft. Die Organisation Reporter ohne Grenzen appellierte an Steinmeier, auf die Freilassung inhaftierter Medienschaffender zu drängen.

Eine besondere Herausforderung wird das Thema Gaza-Krieg werden, bei dem Berlin und Ankara völlig konträre Positionen einnehmen. Auf deutscher Seite sorgt Erdogans Haltung zur islamistischen Hamas für Irritationen. Die Palästinenserorganisation ist für das Massaker am 7. Oktober in Israel verantwortlich - doch Erdogan bezeichnet sie als Befreiungsorganisation. Dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wirft er ein «Massaker» im Gazastreifen vor, vergleicht ihn auch schon mal mit Adolf Hitler. Unmittelbar vor Steinmeiers Ankunft traf sich Erdogan am Wochenende ausgerechnet mit Hamas-Auslandschef Ismail Hanija.

In Berlin wie Ankara wird aber betont, dass sich Steinmeier und Erdogan gut kennen. «Meine Freundschaft mit Steinmeier reicht Jahre zurück», sagte Erdogan mit Blick auf den Besuch. Beide Politiker können also auch Klartext miteinander sprechen.

Und sie müssen miteinander sprechen, denn die Bande zwischen beiden Ländern sind eng. Nach dem Abschluss eines Anwerbeabkommens 1961 kamen laut Auswärtigem Amt etwa 876.000 Menschen aus der Türkei nach Deutschland. Viele blieben für immer, holten ihre Familien nach. Heute leben in Deutschland fast drei Millionen Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte.

Die enge Verbindung wurde auch nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien im Februar vergangenen Jahres deutlich. Allein in der Türkei starben nach offiziellen Angaben mehr als 53.000 Menschen. Die Bundesregierung sagte beiden Ländern damals eine Erdbebenhilfe von 238 Millionen Euro zu. Zudem wurden in einem beschleunigten und vereinfachten Verfahren mehr als 17.000 Visa für vom Erdbeben betroffene Türkinnen und Türken ausgestellt, damit diese vorübergehend oder im Rahmen des Familiennachzugs auch dauerhaft nach Deutschland kommen konnten. Ein Besuch im Erdbebengebiet steht auch auf Steinmeiers Reiseprogramm.

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