Sound der Utopie - Beethoven wird 250

Eine Statue des Komponisten Ludwig van Beethoven steht in Bonn. Foto: Oliver Berg/Dpa
Eine Statue des Komponisten Ludwig van Beethoven steht in Bonn. Foto: Oliver Berg/Dpa

BERLIN (dpa) - «Freude, schöner Götterfunken» - zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven wird der Meister aus Bonn mit Pauken und Trompeten gefeiert. Ein Mensch wie Du und Ich war er allerdings nicht.

Ob als Klingelton oder zur Untermalung historischer Daten, meistens banal, selten passend: an Beethovens Musik kommt niemand vorbei. Ob «Dáda Dáda Dadadadadaaa» (langsam geträllert) oder «Ta Ta Ta Taaaa» (etwas schneller) - die Klavierminiatur «Für Elise» und die ersten Takte der 5. Sinfonie sind globale Ohrwürmer. Die Neunte erklingt, wie unlängst am Brandenburger Tor zum Vereinigungsjubiläum, zu staatstragenden Ereignissen. Aus 16 Takten der «Ode an die Freude» entstand die Europa-Hymne.

Aber nicht nur in Europa: Wenn etwa deutsche Orchester durch Asien touren, haben sie oft die Sinfonien des Bonners im Gepäck, in Japan gehören die Aufführungen der 9. Sinfonie zur Neujahrstradition. Deutsche Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg hatten den Schlusschor im japanischen Kriegsgefangenenlager gesungen. «Daiku» nennen heute die Japaner das Werk - «die Große». Beethoven ist auch ein Exportartikel.

Ludwig van Beethoven (1770-1827) - zum Jahr seines 250. Geburtstags am 17. Dezember (genau genommen das Datum seiner Taufe) blickt der Meister mit strengem Blick und wallender Künstlermähne von Buch- und CD-Covern, Tassen und T-Shirts. Hunderte Veranstaltungen - vom Hauskonzert bis zu ganzen Sinfonie-Zyklen - zählt die Kampagne des Beethoven-Jahres («BTVN2020») auf. Filme und Konzerte im Fernsehen, Titelgeschichten und Sonderseiten - «Ludwig van», wie der Komponist Mauricio Kagel seine Film-Satire über die Beethoven-Verehrung zu dessen 200. Geburtstag vor einem halben Jahrhundert nannte, ist allgegenwärtig.

Warum ist das so? Vielleicht, weil niemand so wie er unsere Sehnsucht nach dem gottähnlichen Künstler bedient, nach dem eigensinnigen Kopf, der mit Musen und Dämonen kämpft. So klinge die Utopie, schrieb der Philosoph Theodor W. Adorno zu Beethovens Klaviersonate Op. 111, die Sinfonien seien eine «Volksrede an die Menschheit».

Gewiss, Rihanna oder Taylor Swift haben viel mehr Downloads, auch wenn Beethovens Musik auf Spotify immerhin mehr als fünf Millionen Hörer im Monat bekommt. Wenn es aber darum geht, einen Künstlerhelden zu küren, steht der mit 56 Jahren in Wien gestorbene Ludwig ganz oben.

Generationen von Literaten und Wissenschaftlern haben sich an ihm abgearbeitet. «Beethovens Musik bewegt den Hebel des Schauers, der Furcht, des Entsetzens, des Schmerzes», schrieb E.T.A. Hoffmann. Auch für die Auseinandersetzung mit der deutschen Katastrophe musste Beethoven herhalten, etwa in Thomas Manns Komponisten-Roman «Doktor Faustus». Den von Beethoven inspirierten Protagonisten, so schrieb jüngst die Autorin Thea Dorn in der «Zeit», habe Mann zum Repräsentanten der deutschen Unfähigkeit zu zivilisiertem Idealismus und wahrhafter Empathie gemacht.

Tatsächlich haben die Nazis den «Titanen» Beethoven schamlos für ihre Propaganda ausgenutzt. Aber auch die Pop-Kultur hat sich bedient. «Roll over Beethoven» sang Rock-'n'-Roll-Pionier Chuck Berry Anfang der 50er Jahre - an sich ein Song gegen die Verehrung der alten Meister. Von den Beatles bis zu Stanley Kubricks Film «Uhrwerk Orange» - Beethoven rules!

Ein Verständnis für den Beethoven-Mythos bekommt man aber vor allem, wenn man seine Musik hört, etwa in den alten Aufnahmen großer Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Auf der rauschenden Tonspur verklären Otto Klemperer und Wilhelm Furtwängler die Sinfonien zu Musikdenkmälern. Oder bei Kirill Petrenko, dem neuen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, der die Neunte am Brandenburger Tor als triumphale Revolutionsmusik gestaltete.

Auf dem Klassik-Streamingdienst Idagio steht die Klaviersonate Nr. 23 («Appassionata») an erster Stelle der abgerufenen Beethoven-Titel, gefolgt von seiner sechsten Sinfonie («Pastorale»).

Bei aller Verehrung und Bewunderung - Beethovens Leben war alles andere als eine Heldensaga. In den knapp sechs Jahrzehnten, die er in Bonn und Wien verbrachte, im Schatten der Französischen Revolution und von Napoleons Truppen, im Glanz (und der Spießigkeit) der Habsburgermonarchie, gehen bei Beethoven höchste Inspiration und Alltags-Kleinklein nahtlos ineinander über.

Und er hat viel gelitten. Vor allem am Verlust seines Gehörs («der edelste Teil»), den er mit 27 Jahren erstmals bemerkt und der ihn in den letzten Lebensjahren völlig taub werden lässt. In seinem «Heiligenstädter Testament» denkt er 1802 angesichts des Gehörverlusts sogar über Selbstmord nach. Viele seiner wichtigsten Werke hat Beethoven nie gehört.

Und er leidet an unerfüllter Liebe. Etwa zur verheirateten und später verwitweten Josephine von Brunswick. Die Beziehung scheitert an den Konventionen der Zeit und an Beethovens Charakter. Beethovens Briefe an die «unsterbliche Geliebte» sind vermutlich an sie gerichtet. Ob aus dem Verhältnis Brunswicks Tochter Minona hervorgeht, ist allerdings nicht geklärt.

Beethovens Leben fällt in eine Ära, in der sich Musiker erst langsam von der Abhängigkeit zu ihren adligen Dienstherren befreien. Als er geboren wird, 20 Jahre nach dem Tod von Johann Sebastian Bach, ist Mozart noch Komponist von Herrschers Gnaden. Beethoven gelingt dann eine Halb-Emanzipation.

Zunächst muss er sich von seinen Lehrern Joseph Haydn, Johann Georg Albrechtsberger und Antonio Salieri lösen. Und ausgestattet mit einem untrüglichen Gefühl für das Marketing seiner Zeit, etabliert er sich allmählich als freischaffender Künstler. Zwar ebnen ihm mächtige Gönner mit Geld und Einfluss den Weg. Sein Freigeist und sein Eigensinn lassen aber Kompromisse nur schwer zu. «Falschheiten verachte ich - besuchen Sie mich nicht mehr», schreibt er nach einem Streit an seinen Förderer, den Grafen Moritz Lichnowsky.

Die Versuche, Beethoven mit solchen Anekdoten als jemanden wie Du und Ich zu beschreiben, dürften allerdings ins Leere laufen. Einer solchen Ausnahmeerscheinung sei der Begriff des Genies angemessen, findet der belgische Dirigent und Musikwissenschaftler Jan Caeyers in seiner viel gelobten Biografie «Beethoven, der einsame Revolutionär».

Schon zu Schulzeiten fällt Beethoven durch seinen Dickkopf auf, was wohl auch damit zu tun hat, dass er früh Verantwortung für seine beiden Brüder übernehmen muss, nachdem die Mutter an Schwindsucht stirbt und der Vater, Sänger in der kurfürstlichen Hofkapelle zu Bonn, dem Alkohol verfällt. Der Sohn erweist sich aber als Virtuose. Seitdem er 14 ist, spielt er Orgel in der Hofkapelle. Dann sucht er neue Horizonte. Mit 22 Jahren zieht er nach Wien, um sich als Komponist ausbilden zu lassen.

Es sind schwierige Wiener Anfangsjahre. Das Publikum liebt die leichte Muße, Beethoven macht ungern Zugeständnisse an den Massengeschmack. Er veranstaltet «musikalische Akademien», zu denen er seine Werke aufführt, teilweise muss er die Eintrittskarten selber verkaufen.

Er hadert mit sich und seiner Kunst, wie es aus den mit energischer Hand aufgezeichneten Partituren deutlich wird. In den Autografen lässt sich nachvollziehen, wie seine Musik entsteht. Wie hingeworfen stehen die schwarzen Noten da, durchgestrichen und wieder aufgeschrieben. In Beethoven brodelt es. Wenn er heute als «Kämpfer» dargestellt wird, dann auch als einer gegen sich selbst.

Beethoven geht es nicht um den einen Einfall, aus dem dann eine musikalische Passage entstehen soll. Der Komponist legt sich zunächst Rechenschaft über die Struktur eines neuen Werks ab, wägt die Proportionen der einzelnen Sätze und widmet sich erst später den Details. Dieses «work in progress» haben Musikologen ziemlich genau rekonstruiert.

Dass ausgerechnet Melodien wie «Für Elise» oder die «Ode an die Freude» hängenbleiben, ist zwar verständlich, wird aber dem Gesamtwerk nicht gerecht. In den 32 Klaviersonaten, etwa der «Hammerklaviersonate», in den Streichquartetten, seiner einzigen Oper «Fidelio» oder den Violin- und Cellosonaten wird Beethovens Kern hör- und erlebbar. Mit diesen Kompositionen sprengte er das musikalische Korsett seiner Zeit.

Schon seine ersten beiden Sinfonien deuten den Bruch an. Beethoven gelingt es, sich im deutschsprachigen Raum einen Namen zu machen. In der Wende zum 19. Jahrhundert steigt allmählich sein Stern. Musikverlage konkurrieren um das Recht, seine Kompositionen drucken zu dürfen.

Mit der dritten Sinfonie startet er den Versuch, den französischen Markt zu erobern. Er widmet das Werk dem revolutionären Herrscher Napoleon - «ein Manöver, das eher pragmatisch als ideologisch motiviert war», wie Biograf Caeyers schreibt.

Die Bewunderung für Napoleon ist nicht von Dauer. Dessen Selbsternennung zum Kaiser 1804 empört auch Beethoven. Aus Wut soll er die Partitur der «Eroica» in den Raum geschleudert und die Widmung an Bonaparte ausradiert haben. Auf dem Titelblatt des Originals klafft jedenfalls ein Loch. Diese Geste steht bis heute für den Widerstand des Komponisten gegen die Tyrannei.

Wie diesen Mythos hat die Nachwelt viele andere Beethoven-Mythen gepflegt. Auch sein Tod wurde Teil dieser Verehrung. Dutzende Bücher widmen sich seiner Krankengeschichte. Glühendes Gesicht, Blutspucken, Erstickungsgefahr sind einige Symptome, die in Beethovens letzten Lebensmonaten auftreten. Er wird punktiert, sein Bauch wird aufgeschnitten, um Flüssigkeit entweichen zu lassen.

Als er auf seinem Totenbett liegt, bringt ihm ein Diener noch zwei Flaschen Rüdesheimer Jahrgang 1806. Beethoven kann nicht mehr trinken. «Schade! - Schade! - zu spät!!», sollen seine letzten Worte gewesen sein. «Der letzte Meister des tönenden Liedes, der Tonkunst holder Mund» ruft der Schriftsteller Franz Grillparzer in seiner Grabrede. Auf seinem letzten Weg wird Beethoven von mehr als 20.000 Menschen begleitet.

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