Leopold Museum feiert Jubiläum

​Schiele-Werke einst zum Spottpreis

Ein Mann mit Schutzmaske posiert für Fotos, im Hintergrund das geschlossene Kunsthistorische Museum (KHM) in Wien. Foto: epa/Christian Bruna
Ein Mann mit Schutzmaske posiert für Fotos, im Hintergrund das geschlossene Kunsthistorische Museum (KHM) in Wien. Foto: epa/Christian Bruna

WIEN: Mit sicherem Gespür schuf Rudolf Leopold eine Sammlung von Weltruf, deren Werke heute auf teils dreistellige Millionensummen geschätzt werden. Sein Museum in Wien hat Fragen zur Herkunft der wichtigsten Bilder inzwischen geklärt.

Bei Streifzügen durch das Kunsthistorische Museum in Wien wuchs beim Medizin-Studenten Rudolf Leopold die Gewissheit: Ich will Kunstsammler werden. Er sparte und kaufte. Und er hatte den richtigen Riecher. In den 1950er Jahren erwarb er Zeichnungen und Gemälde vom als pornografisch verpönten Expressionisten Egon Schiele (1890-1918). Und das zu einem Spottpreis. «Für die Zeichnung «Selbstbildnis mit gespreizten Fingern» von 1911 hat er umgerechnet rund 350 Euro bezahlt», sagt der Direktor des Leopold Museums, Hans-Peter Wipplinger. Das Blatt liegt heute im Depot des Hauses und ist mit einem Millionenwert versichert.

Es gehört zur umfangreichsten Schiele-Sammlung weltweit und zu den insgesamt knapp 5200 Werken, die Leopold 1994 in eine Privatstiftung und damit in ein 2001 eröffnetes Museum eingebracht hat. Nun feiert das Leopold Museum sein 20-jähriges Bestehen und schaut mit einer kleinen, aber spannenden Sonderausstellung auf einen Freund Schieles.

Erstmals werden in «The Body Electric: Erwin Osen - Egon Schiele» (bis 26. September) die kaum bekannten Patienten-Zeichnungen von Erwin Dominik Osen (1891-1970) präsentiert und Motiven Schieles von Schwangeren und Neugeborenen gegenüber gestellt. «Sie bereichern unser Verständnis der Wiener Moderne und ihrer Kunstpraxis, die eng mit der Kultur der klinischen Medizin verwoben war», so die Kuratorinnen Gemma Blackshaw und Verena Gamper.

Osen hatte 1915 als Patient in der Nervenabteilung des Garnisonsspitals II in Wien die Porträts seiner Leidensgenossen angefertigt, die erst kürzlich im Nachlass seines Arztes entdeckt wurden. Sie zeigen ohne auffallende Bezüge zur Krankenhausumgebung nackte, verstörte Männer, teils mit Schädeldeformationen.

Keine Patientin, sondern Tänzerin war Moa Mandu. Im sitzenden Halbakt von 1912 porträtiert sie Osen mit gierigem, forderndem, kaltem Blick. Schiele wiederum hat seinen Freund Osen 1910 nackt mit den für ihn typischen affektierten Händen gemalt. Der extrovertierte Osen, so die Kuratorinnen, habe Schieles Besessenheit vom eigenen Körper - er schuf weit mehr als 200 Selbstporträts - wohl mit angefacht.

Mit der Schau startet das Museum wie andere Häuser nach mehrwöchigem Lockdown nun voller Zuversicht erneut ins Jubiläumsjahr. Wipplinger erwartet in zwei, drei Jahren die Rückkehr auf das Vor-Corona-Niveau von rund 450.000 jährlichen Besuchern, darunter viele deutsche Touristen. «Museen sind Energie- und Kraftorte, die Menschen werden wieder kommen», sagt er.

Den Bestand an Kunst im Leopold will Wipplinger fortentwickeln. Im Gegensatz zu vielen anderen Museums-Direktoren ist für ihn ein Verkauf von Werken kein Tabu. «Wenn das Geld eins zu eins in den Ankauf anderer Werke zur Abrundung der Sammlung fließt, ist das sogar im Sinne des Stifters», so der seit 2015 amtierende Chef. Meisterwerke wie die Schieles und die Gemälde Gustav Klimts und Oskar Kokoschkas schließt er dabei aber aus.

Mit sicherem Gespür für große Kunst hatte Rudolf Leopold 1953 unter anderem Schieles «Die Eremiten» - ein dunkles Doppelporträt von ihm und Klimt - für umgerechnet rund 10.000 Euro erworben. Heute hängt es von einer Spezialscheibe geschützt im Leopold und dürfte einen dreistelligen Millionenbetrag wert sein.

Der Augenarzt lebte Jahrzehnte mit seinen Kunstwerken im Wiener Nobelstadtteil Grinzing. In den 1990er Jahren ging die Regierung auf ihn zu, um den Bestand für die Republik zu sichern. Ergebnis war ein Projekt zum beiderseitigen Vorteil.

Der Sammler schenkte zwei Drittel seiner Werke im Wert von mehr als 500 Millionen Euro dem Staat, für das restliche Drittel erhielt er 160 Millionen Euro. «Davon hat er seine Schulden bezahlt und in den restlichen 14 Jahren seines Lebens weitergesammelt», sagt Wipplinger. Diese oft zeitgenössischen Werke, darunter viele Arbeiten des österreichischen Aktionskünstlers Otto Muehl oder vom hoch gehandelten Erwin Wurm, sind und bleiben im Besitz der Familie.

Einem brisanten Kapitel der Kunstgeschichte, der Raubkunst der Nazis, widmet sich das Leopold aus Überzeugung und eigenen Erfahrungen. Obwohl für das Haus - im Gegensatz zu den Bundesmuseen - keine Pflicht besteht, lässt es die Herkunft aller Werke genau erforschen. «Wir fühlen uns moralisch dazu verpflichtet, die Geschichte unserer Kunstwerke aufzuarbeiten und im Einvernehmen mit den Rechtsnachfolgern der Geschädigten eine faire und gerechte Lösung zu finden», sagt Wipplinger. Ein 1998 beginnender zwölfjähriger Rechtsstreit um das vom Leopold Museum stammende Schiele-Werk «Bildnis Wally» gab damals den Anstoß für das österreichische Kunstrückgabegesetz. Seitdem wird in Österreich für Kunst im öffentlichen Besitz genau nachgeprüft, ob es sich um von den Nazis geraubte Kunst handelt.

Die freiwillige Überprüfung im Leopold ergab zumindest für den Kern der Sammlung Beruhigendes: «Die Herkunftsgeschichten unserer Werke von Schiele, Klimt und Kokoschka sind, soweit es die aktuelle Quellenlage erlaubt, vollständig erforscht. Bei keinem dieser Kunstwerke ergab sich dabei ein begründeter Verdacht auf einen verfolgungsbedingten Eigentumswechsel während der NS-Zeit», sagt Wipplinger.

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