Papst als Büßer bei Ureinwohnern Kanadas

​«Nur ein erster Schritt»   

Papst Franziskus leitet eine Messe im Nationalheiligtum von Sainte-Anne-de-Beaupre, 30 Kilometer von Quebec City entfernt. Foto: epa/Ciro Fusco
Papst Franziskus leitet eine Messe im Nationalheiligtum von Sainte-Anne-de-Beaupre, 30 Kilometer von Quebec City entfernt. Foto: epa/Ciro Fusco

QUÉBEC: Die Ureinwohner Kanadas forderten von Papst Franziskus eine Entschuldigung. Er kam in ihr Land und bat um Vergebung für die einstigen Vergehen in katholischen Internaten. Doch hat der Papst die Erwartungen der Indigenen erfüllt?

«Warum waren sie so gemein zu uns?» Die Frage der kanadischen Ureinwohnerin Mini Freeman klingt einfach und ist doch kaum zu beantworten. Die kleine Inuk-Frau spricht an einem heißen Sommertag in der Nähe des westkanadischen Sees Lac Ste. Anne (See der Heiligen Anna) zu Hunderten Indigenen. Sie alle warten in einer Gebetsstätte auf Papst Franziskus, der sich angekündigt hatte, um dort das Wasser zu segnen.

Über dem Besuch des katholischen Kirchenoberhaupts im flächenmäßig zweitgrößten Land der Erde hing der Schatten einer dunklen Vergangenheit an kirchengeführten Internaten. In den Einrichtungen kam es zu Hunger, Krankheiten und Tod; Bedienstete taten den Kindern der Ureinwohner Gewalt an, missbrauchten sie sexuell. Dies war der Anlass für die Reise des Papstes.

Für Franziskus war die sechstägige Visite auch körperlich anspruchsvoll: Meist schoben Sicherheitsleute den 85-Jährigen im Rollstuhl, weil ihn ein schmerzendes Knie am Gehen hindert.

Franziskus räumte ein, dass die Kirche den von der kanadischen Regierung im Jahr 1876 erlassenen «Indian Act» mittrug, der anordnete, Kinder von Ureinwohnern an die westliche Gesellschaft anzugleichen und sie so von ihrer Kultur zu entfremden. Entrissen von ihren Familien mussten schätzungsweise 150.000 Kinder in den katholischen Internaten christliche Werte erlernen, hart arbeiten und durften weder ihre Sprache sprechen noch ihre traditionelle Kleidung tragen. Hunderte starben dort, manche schätzen die Zahl der Opfer sogar auf bis zu 6000.

Bis Ende der 1960er Jahre leitete die katholische Kirche einen Teil der landesweit verstreuten Internate, bis die Regierung ihr die Führung entzog. Das letzte schloss 1996. Vor rund einem Jahr machte der Fund von mehr als 200 anonymen Massengräbern in der Nähe eines der Internate das Schicksal der Indigenen Kinder weltweit bekannt.

Papst Franziskus hatte einen klaren Auftrag: bei den Ureinwohnern für die Taten um Vergebung bitten. Er tat das zwar schon, als Ende März Vertreter der First Nations, Métis und Inuit, zu denen zahlreiche kleinere indigene Völker zählen, in den Vatikan kamen. Aber die Ureinwohner wollten, dass das katholische Kirchenoberhaupt zu ihnen kommt und sich auf ihrem Land, das ihnen einst die europäischen Einwanderer wegnahmen, erneut entschuldigen würde.

«Ich bitte um Verzeihung für die Art und Weise, in der leider viele Christen die Mentalität der Kolonialisierung der Mächte unterstützt haben, die die indigenen Völker unterdrückt haben», sagte Franziskus zu Beginn seines Aufenthalts. Die Entschuldigung könne aber nur ein erster Schritt sein. Symbolisch trug der Argentinier dort den Feder-Kopfschmuck der Häuptlinge. In den Tagen danach erneuerte er seine Bitte um Vergebung bei weiteren Treffen.

Hat Franziskus den Wunsch der Ureinwohner mit seinem Kommen, mit seiner Entschuldigung also erfüllt? Er habe das Thema sexuellen Missbrauch nicht angesprochen, kritisiert Häuptling Allan Polchies vom Wolastoqiyik-Volk St. Mary's First Nations. «Das hat viele verärgert.» Franziskus äußerte sich meist vorsichtig. Über sexuellen Missbrauch sprach er nur bei einer Begegnung mit kanadischen Kirchenvertretern. Er wollte seine Kirche wohl nicht als alleinigen Buhmann dastehen sehen: «Einige örtliche Kirchen» seien in das «von den damaligen Regierungsbehörden geförderte System» miteinbezogen gewesen, sagte Franziskus beim Treffen mit Premierminister Justin Trudeau in Québec im französischsprachigen Teil Kanadas.

Der katholische Premier wiederum verurteilte die Rolle, die «die römisch-katholische Kirche als Institution bei dem spirituellen, kulturellen, emotionalen, körperlichen und sexuellen Missbrauch spielte». Ottawa und der Heilige Stuhl schienen sich nicht anzunähern. Zu viele Forderungen blieben zunächst unerfüllt: Die Rückgabe von indigener Kunst aus den Vatikanischen Museen, Zugang zu den Internatsdokumenten in den Kirchenarchiven und Gerechtigkeit für Überlebende der Schulen.

Die Entschuldigung sei zwar ein erster Schritt gewesen, aber jetzt müsse auch gehandelt werden, fordert Häuptling Polchies. Stipendien für Indigene und mehr Bildung würden gebraucht. «Die Kirche ist so reich und wir haben arme Menschen.» Unter den ehemaligen Internatsschülern fordern einige auch Entschädigungen. Bei einer Messe zeigten Aktivisten ein Protest-Plakat vor dem Altar.

Gouverneurin Mary Simon, die Vertreterin der britischen Monarchie, die als Inuk-Frau die erste Indigene in diesem Amt ist, gab Franziskus ihre klare Erwartungshaltung mit auf den Weg: «Wir freuen uns, mehr über die zukünftigen Handlungen der Kirche zu hören, um diese wichtige Arbeit fortzusetzen.»

Der Papst sollte am Samstag wieder in Rom landen. In Kanada werden die Ureinwohner die Schritte des Vatikans genau beobachten, um das gemeinsame Ziel der Versöhnung zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen zu erreichen. «Wir haben niemandem wehgetan», sagt Mini Freeman den Ureinwohnern am Lac Ste. Anne. «Und wir sind immer noch hier.»

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