Leben im Dorf

Spannendes Buch über den Isaan

Leben im Dorf

Die Dörfer (Muu Bahn) im Isaan bestehen aus zirka 50bis hundert Häusern, in der Regel älteren Holzbauten. Die Wohnhäuser stehen meist auf Pfählen, der freie Platz darunter ist der Aufenthaltsort der Familie während des Tages. Ein paar in den Boden gegrabene Pfähle, aussen mit ungehobelten Brettern oder auch nur ein paar Matten aus Bambusgeflecht verkleidet, in zirka zweiMetern Höhe über dem Boden ein Fussboden, auch aus ungehobelten, ohne Nut und Fuge aneinander gefügten Brettern, und das typische Haus im Isaan-Dorf ist fertig. Die Bretter sind nur lose aneinander gefügt, durch die Ritzen und Astlöcher kommt genug Licht und frische Luft, so dass man eigentlich gar keine Fenster braucht. Hinter dem Haus ist ein Verschlag mit einem Stehklosett und einem Wasserkübel mit Schöpfkelle. Das Wasser dient sowohl zum Nachspülen wie zum Säubern, denn Toilettenpapier kennt man hier nicht. Wenn überhaupt welches vorhanden ist, steht die Rolle auf dem Esstisch, als Serviettenersatz.

Man darf das alles allerdings nicht mit europäischen Anforderungen an ein Wohnhaus vergleichen. Während bei uns das Haus Schutz vor allen Übeln der Witterung, vor allem der Kälte bieten muss, brauchen die Menschen hier bei subtropischem Klima praktisch nur ein Regendach. Falls die Tochter in Phuket oder Pattaya gut angeschafft oder einen guten Sponsor gefunden hat, sieht man auch ab und zu ein neues Steinhaus dazwischen. Meist ist das halbe Dorf miteinander verwandt oder verschwägert, und jeder kennt nicht nur jeden, sondern jeder nimmt auch an Freud und Leid der anderen teil. Das ganze Dasein im Dorf ist um die wichtigen Dinge des täglichen Lebens geordnet: die Familie, die Reisfelder und den Tempel. Die Tempel gehören weit mehr zum täglichen Leben als bei uns die Kirchen. Die Mönche und die vielen Feste mit religiösem Hintergrund sind ein wichtiger Teil des Lebens im Isaan.

Jedes Dorf wird von einem Bürgermeister verwaltet, meist der wohlhabendste oder der angesehenste Mann im Dorf. Der Bürgermeister wird alle fünfJahre von der Dorfgemeinschaft gewählt und verwaltet sein Amt ehrenamtlich. Er hat aber ein hohes Ansehen, und es ist nicht nur seine Aufgabe, das Dorf der Regionalverwaltung gegenüber zu vertreten und deren Anordnungen im Dorf bekannt zu machen und durchzusetzen, sondern auch kleinere Streitigkeiten werden durch den Bürgermeister geschlichtet, eventuell noch unter Beizug von ein paar Alten aus dem Dorf.

Mehrere Dörfer bilden zusammen eine Grossgemeinde (Tambon). Sie wird durch einen ebenfalls von den Bewohnern der Dörfer gewählten Kamnan verwaltet, der aber sein Amt schon hauptamtlich ausübt und von der Regierung bezahlt wird.

Die nächst grössere Verwaltungseinheit heisst Amphoe und entspricht etwa unserer Kreisverwaltung. Auch der oberste Beamte des Amphoe wird demokratisch gewählt. Alle bürokratischen Verwaltungsangelegenheiten, wie ein Auszug aus dem Hausregister, Steuerangelegenheiten, Grundbucheintragungen usw. müssen beim Amphoe erfolgen.

Die nächste Verwaltungsstufe ist die Provinz (Tschangwat), mit einem vom König bestellten Provinzgouverneur an der Spitze. Der Isaan besteht aus insgesamt 19Provinzen. Jede Provinz besitzt ein eigenes Regionalparlament. Bei der Wahl der Mitglieder dieses Parlaments wird schon kräftig getrickst und die Stimmen der Wähler gekauft, denn hier wird vor allem entschieden, wohin die von der Regierung in Bangkok zur Verfügung gestellten Gelder fliessen.

Das System des Stimmenkaufs stellt im übrigen das Demokratieverständnis der Leute auf dem Land auf den Kopf. Für sie sind Wahlen gleichbedeutend mit willkommenen Geldgeschenken. So wurden bei den letzten Senatswahlen nach Angaben der Bangkok Post pro Stimme bis zu 500Baht bezahlt, ein Betrag, der für die armen Bauern im Isaan einen Wochenlohn ausmacht. Bei nachgewiesenem Stimmenkauf wurden die gewählten Kandidaten zwar vom Komitee zur Wahlüberwachung nicht bestätigt, und die Wahl musste wiederholt werden. Die betrügerischen Politiker konnten aber wieder kandidieren, was zum Beispiel dazu führte, dass in Ubon die Wahlen fünfmal wiederholt werden mussten. Dazu gehört natürlich viel Geld. Wie die Bangkok Post mitteilt, haben einzelne Kandidaten bis zu 70Millionen Baht investiert. Das erfordert wiederum Sponsoren, die nach erfolgter Wahl von den Unterstützten mit profitablen Projekten versorgt werden. Auch die betreffenden Politiker benötigen eine Amortisation ihrer Wahlkampfausgaben, insbesondere des teuren Stimmenkaufs, durch Provisionen, auf gut deutsch, Bestechungsgelder. Bei der Vergabe von Regierungsaufträgen fliessen auf allen Ebenen Schmiergelder. Insider schätzen, dass bei derartigen Projekten, deren wirtschaftlicher Sinn oft zweifelhaft ist, etwa die Hälfte der aufgewendeten Summen in die falschen Taschen fliessen.

Ein Beispiel hierfür ist die finanzielle Hilfe für Landstriche, die von besonderen Notfällen betroffen sind. Die Regierung stellt für von Dürre oder Naturkatastrophen betroffene Gebiete von Zeit zu Zeit Geld für Hilfsmassnahmen zur Verfügung. Von diesen, bei der Beistellung zur Linderung der ärgsten Not schon nicht ausreichenden Mitteln, bleibt aber auf dem langen Weg vom Provinzgouverneur bis zum letzten Dorfbürgermeister das meiste hängen, so dass für die Betroffenen kaum noch etwas übrig bleibt.

Während des Vietnamkrieges floss eine Menge Geld ins Land, da die Amerikaner in Udon und Ubon grosse Flugbasen errichtet hatten, von denen aus die Bomber und Kampfflugzeuge ins benachbarte Laos und Kambodscha starteten. Einmal abgesehen von der politischen und moralischen Problematik, hat dieser Geldfluss dafür gesorgt, dass einst verschlafene und staubige Nester wie Ubon und Udon einen blühenden Aufstieg nahmen. Nach dem Abzug der Amerikaner versiegte nicht nur dieser Geldstrom, sondern die an den Isaan angrenzenden Länder Laos und Kambodscha hatten kommunistische Regierungen bekommen. Die Zentralregierung in Bangkok fürchtete nun, dass der Funke auch auf den Isaan überspringen würde, denn die Armut der Landbevölkerung und die allgemein trostlose wirtschaftliche Situation boten der kommunistischen Agitation einen guten Nährboden. Tatsächlich kam es auch im Nordosten zu kommunistischer Partisanentätigkeit, die blutig niedergeschlagen werden musste. Zur Abwendung dieser Gefahr wurden aber nicht nur militärische Mittel eingesetzt, sondern Bangkok begann nach vielen Jahren der Vernachlässigung auch etwas für die Infrastruktur in diesem Teil Thailands zu tun, um so Voraussetzungen für eine verbesserte wirtschaftliche Situation zu schaffen. Kernstück der Massnahmen war der sogenannte Freedom-Highway, der noch während des Vietnamkrieges weitgehend von den Amerikanern gebaut wurde, um ihre Basen im nordöstlichen Grenzgebiet zu versorgen. Heute durchzieht den Isaan – der noch vor 100Jahren nur mit Büffelkarren oder auf dem Elefantenrücken erreichbar war - aber ein ganzes Netz von guten Asphaltstrassen, die den Besuch jeder Ecke dieses Landes problemlos machen. Diese gute Infrastruktur ist auch die Voraussetzung dafür, den Isaan zum Eingangstor für den in Zukunft erwarteten stark anwachsenden Handel mit den Nachbarländern zu machen.

Die Verkehrsverbindungen im Isaan sind sehr gut. Täglich fahren vom nördlichen Busbahnhof Mor Chit in Bangkok meist in Stundenabständen klimatisierte Reisebusse in alle grösseren Orte im Isaan, und auch auf dem flachen Land, von Ort zu Ort, gibt es überall Busverbindungen. Auch die Eisenbahnverbindungen sind gut. Von Bangkok gehen mehrmals täglich Expresszüge nach Nordosten ab. In Korat teilt sich die Strecke. Ein Zweig geht nach Norden bis Nong Khai, ein anderer nach Nordosten bis Ubon. Die grösseren Orte wie Ubon, Udon und Korat haben auch Flugplätze, die täglich von Thai Airways angeflogen werden.

Obwohl die meisten Dörfer heute besser dastehen als noch vor 10Jahren - es gibt geteerte Strassen, Elektrizität und Telefonverbindungen sowie grosse Wasserreservoire, durch welche die Dorfbewohner das ganze Jahr über mit Wasser versorgt werden können - sind Unwissenheit, Armut und Krankheit ohne medizinische Behandlung immer noch charakteristisch für die Dorfbewohner im Isaan.

Die Menschen im Isaan leben viel mehr als wir im Familienverband, der ihnen einen gewissen Grad an Sicherheit gibt. Dies um so mehr, als Thailand kein Sozialversicherungssystem hat, wie wir es kennen. Da die Familien auf dem Land seit Jahrhunderten kaum aus ihrer Umgebung herausgekommen sind, ist hier fast jeder mit jedem verschwägert. Es ist für den Ausländer in der Regel unmöglich, die vielen Cousinen und Neffen seiner Frau oder Freundin im Isaan richtig einzuordnen oder gar ihre Namen zu behalten. Für die Thai ist das einfacher. Hier wird jeder der gleichen Generation, wenn er jünger ist mit „nong“, das heisst jüngerer Bruder oder Schwester, und wenn er älter ist mit „pie“, das heisst älterer Bruder oder Schwester angeredet.

Die Männer heiraten meist in den Haushalt der Eltern der Frau und bleiben dort einige Jahre, bevor sie sich, meist auf dem gleichen Grundstück, eine eigene Hütte bauen können. Die jüngste Tochter erbt in der Regel Haus und Grundstück der Eltern und hat dafür die Verpflichtung, die Eltern im Alter zu unterhalten. Während früher ein reichlicher Kindersegen erstrebenswert war, um billige Arbeitskräfte zu erhalten und die Versorgung der Eltern im Alter zu sichern, unternimmt die Zentralregierung heute alle Anstrengungen, um einen zu schnellen Bevölkerungszuwachs zu verhindern und bietet den Frauen nach dem zweiten Kind eine kostenlose Sterilisation an.

Nun soll aber niemand meinen, die Frauen im Isaan seien arme, unterwürfige und ihren Männern in allen Dingen gehorsame Dienstboten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Es ist in der Regel die Frau, die nicht nur härter arbeitet als der Familienvater, sondern auch in allen häuslichen Dingen das Sagen hat. Es ist auch in den meisten Fällen die Frau, die im Familienleben dominiert und die finanziellen Entscheidungen fällt, obwohl die Männer das kaum zugeben werden. Dem Satz “die Männer sind das ganze Leben wie Kinder, wenn sie klein sind, müssen sie von ihren Müttern, und wenn sie gross sind, von ihren Frauen versorgt werden” würde jede Frau im Isaan zustimmen.

Wenn die Frauen im Isaan auch in der Regel religiös aktiver sind als die Männer – sie stehen schon früh am Morgen auf, um die Mönche abzufüttern, und im Kloster wird man auch immer mehr Frauen als Männer antreffen – so ist ihnen doch die Teilnahme an den höheren Ebenen der buddhistischen Riten verwehrt. Vor allem können sie keine Mönchsgelübde ablegen und dadurch Verdienste für das nächste Leben erwerben. Das tut dann der Sohn, der nicht nur für sein eigenes Seelenheil dreiMonate ins Kloster geht, sondern auch, um für die Mutter „tam buun“ zu machen.

Dagegen waren die Frauen im Isaan seit jeher den Männern nicht nur an Fleiss und religiöser Aktivität, sondern auch an persönlicher Tapferkeit ebenbürtig. In Korat steht das Denkmal von Khunying Mo, der Frau des Stadtgouverneurs, die in Abwesenheit ihres Mannes und seiner Krieger durch ihren Einsatz die Stadt und das Land vor der Sklaverei rettete. Nachdem Anfang des 19. Jahrhunderts die Stadt durch die Armee des Fürsten Anu von Vientiane eingenommen wurde, überredete sie die Frauen der Stadt, die fremden Soldaten zu einem wüsten Trinkgelage zu verführen, sie dabei betrunken zu machen und ihnen dann die Kehlen durchzuschneiden. Die Armee des Fürsten Anu wurde dadurch so geschwächt, dass dieser den Rückzug antreten musste.

Günther Ruffert kam vor über zwei Jahrzehnten als Bauingenieur erstmals nach Thailand. Vor sieben Jahren baute er sich im Isaan bei Surin ein Haus, in dem er mit seiner thailändischen Frau und Tochter lebt. Die Familie kauft bei Bauern nach der Ernte Reis auf und gibt ihn an Grosshändler weiter. Zudem hat der jetzt 75jährige auf 150 Rai mit dem Zuckerrohranbau begonnen. Da Anbau und Ernte arbeitsintensiv sind, ist zeitweise die Hälfte der Dorfbewohner bei Ruffert beschäftigt. Der Deutsche spricht inzwischen fliessend Thai und versucht, sich dem alltäglichen Tagesablauf in seinem Dorf anzupassen. Im FARANG berichtet Günther Ruffert über das Leben in den Dörfern und die Jahrhunderte alten Sitten dieses Landes.

Wer mehr über das weitestgehend unbekannte Isaan erfahren möchte, sollte zu Rufferts neuem Buch greifen: „Ein Fenster zum Isaan“ beschreibt den Alltag der Menschen im Nordosten aus unterschiedlichen Perspektiven. Das Buch kostet 395 Baht und ist in Pattaya in der FARANG Geschäftsstelle an der Thepprasit Road, in den Bookazine-Geschäften in der Royal Garden Plaza und im Central Festival Center/Big C, bei Amigo Tailor an der Soi Diamond und im Restaurant Braustube an der Naklua Road erhältlich.

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