OUDENAARDE: Nach anderthalb Jahrzehnten steht bei der Flandern-Rundfahrt wieder ein Deutscher auf dem Podium. Dabei hatte Nils Politt das Ziel nur als Vierter erreicht.
Nils Politt betrat völlig erschöpft den Bus und warf seinen Radcomputer mit einer ordentlichen Ladung Frust auf den Sitz, als sein Teamchef bestens gelaunt auf ihn zukam. «Junge, du bist Dritter», rief ihm Mauro Gianetti zu. So schilderte Politt den Moment, in dem er bei der schnellsten Flandern-Rundfahrt der Geschichte vom undankbaren vierten Platz aufs Podium rutschte. Der zunächst drittplatzierte Michael Matthews war von der Jury zurückversetzt worden, da er im Sprint die Fahrlinie verlassen hatte.
«Ich bin richtig glücklich damit. In Flandern auf dem Podium zu stehen, ist etwas sehr Besonderes. Das ist mein zweites Podium bei einem Monument nach Paris-Roubaix», sagte Politt in Oudenaarde. 2019 war der Kölner in der «Hölle des Nordens» auf Rang zwei gefahren. Am Sonntag soll es noch eine Stufe höher gehen. Roubaix ist der eigentliche Höhepunkt seiner Klassikersaison, die völlig verregnete Flandern-Rundfahrt war da sozusagen ein Training unter Extrembedingungen.
Schieben am Koppenberg
Um in Roubaix ganz oben zu stehen, muss Politt allerdings eine gewaltige Aufgabe lösen. Er muss das Ziel vor Mathieu van der Poel erreichen. Der Straßenrad-Weltmeister gewann Roubaix nicht nur im vergangenen Jahr überlegen, sondern zeigte schon bei «De Ronde» am Ostersonntag, dass er aktuell unantastbar ist.
Bereits 45 Kilometer vor dem Ziel ließ der Niederländer die Konkurrenz am gefürchteten Koppenberg wortwörtlich stehen. Der 22 Prozent steile Anstieg war durch den Regen eigentlich unfahrbar geworden, van der Poel fand aber irgendwie eine Linie und setzte sich ab. Nahezu alle Verfolger mussten auf dem rutschigen Kopfsteinpflaster vom Rad und ihr Arbeitsgerät schieben. Am Ende lag van der Poel über eine Minute vor seinen Jägern, deren Sprint der Italiener Luca Mozzato für sich entschied.
Das Wetter und die mit 44,5 Stundenkilometern noch nie so hohe Durchschnittsgeschwindigkeit zehrten allerdings auch an van der Poel. «Es ging heute nur ums Überleben. Es war durch das Wetter die härteste Ronde, die ich je gefahren bin», sagte der 29-Jährige. «Flandern im Weltmeister-Trikot zu gewinnen - da ist ein Traum wahr gewonnen. Ich bin völlig im Eimer.»
Regen und Rückenwind in Roubaix
Zum dritten Mal gewann van der Poel die Ronde und stieg damit in den Kreis der Rekordsieger auf. Neben ihm haben drei Erfolge bisher erst sechs andere Fahrer geschafft. Und in Politt fuhr am inoffiziellen belgischen Nationalfeiertag erstmals seit 15 Jahren wieder ein Deutscher auf das Podium. Zuletzt war dies Heinrich Haussler 2009 mit Platz zwei gelungen, bevor er ein gutes Jahr später seine deutsche Staatsbürgerschaft aufgab, um für sein Geburtsland Australien zu starten.
Mit seiner starken Leistung in Flandern, hat sich Politt auch verdient, dass er am Sonntag neben van der Poel der Favorit ist. Der Weg nach Roubaix ist komplett flach, was dem kraftvollen Schlaks aus dem Rheinland besser liegt als die flämischen Ardennen. Es kündigt sich zudem eine epische Ausgabe an. Im Norden Frankreichs soll es die ganze Woche regnen, als Trost schiebt den größten Teil der Stecke ein ordentlicher Rückenwind.