Kritik an Ampel-Plänen für mehr Abschiebungen

​Grünen-Parteitag

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, spricht beim Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen. Themen sind die Abstimmungen zum Europawahlprogramm. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, spricht beim Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen. Themen sind die Abstimmungen zum Europawahlprogramm. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Grüne bekräftigen Wohlstandsversprechen und Militärhilfe für Ukraine

KARLSRUHE: Für «Wohlstand», aber gegen Adenauer: Die Grünen haben erste Beschlüsse zu ihrem Europawahlprogramm gefasst. Dabei musste die Parteiführung auch Niederlagen einstecken.

Nach der Aufstellung ihrer Europawahl-Kandidaten sind die Grünen auf ihrem Parteitag in die inhaltliche Debatte zu ihrer Europapolitik für die nächsten Jahre eingestiegen. Mehrere Vorschläge, die sich kritisch mit der deutschen Militärhilfe für die Ukraine auseinandersetzten, fanden auf dem viertägigen Treffen in Karlsruhe am Samstag keine Mehrheit.

«Auch das Zaudern und das Zögern bei der Unterstützung der Ukraine hat einen hohen Preis», mahnte die Verteidigungspolitikerin Sara Nanni. Die belarussische Bürgerrechtlerin, Swetlana Tichanowskaja, sagte: «Lasst uns der Ukraine helfen, diesen Krieg zu gewinnen», was von den Delegierten mit anhaltendem Applaus quittiert wurde.

Der Versuch, den Begriff «Wohlstand» aus dem Europaprogramm zu streichen, scheiterte. Kritiker wollten ihn durch «Lebensqualität» ersetzen und argumentierten, Wohlstand werde «im Sinne einer konsumistischen Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen verstanden».

Ein Zitat des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer (CDU), das der Bundesvorstand ins Wahlprogramm schreiben wollte, strichen die Delegierten wieder aus dem Text. Der Inhalt des Zitats löste zwar keinen Widerspruch aus, sie wollten aber keinen profilierten Konservativen zitieren. Es ging um die Sätze: «Die Einheit Europas war ein Traum von Wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für Viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.»

Nicht durchsetzen konnte sich der Bundesvorstand in einer Abstimmung zum geplanten Handelsabkommen der EU mit der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur. Die Gespräche dazu laufen seit Jahren. Eigentlich gibt es seit 2019 eine Grundsatzeinigung mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, die jedoch wegen anhaltender Bedenken - etwa beim Regenwaldschutz - nicht umgesetzt wird. Die Wahl des selbst ernannten «Anarchokapitalisten» Javier Milei zum Präsidenten Argentiniens könnte zu zusätzlichen Herausforderungen führen.

Der Bundesvorstand der Grünen hatte für das Abkommen geworben und betont, dabei werde sichergestellt, dass gleichzeitig Menschenrechte garantiert und das Weltklima geschützt würden. Eine Gruppe Delegierter forderte aber Nachverhandlungen zum Abkommen, um dem «intensiven Abbau von Rohstoffen im globalen Süden für den Konsum des globalen Nordens» ein Ende zu setzen.

Die Diskussion soll am Sonntagnachmittag abgeschlossen und das Europawahlprogramm dann beschlossen werden. Am Samstagabend wollten die Delegierten noch eine Debatte über die aktuelle Fragen der deutschen und europäischen Asylpolitik einschieben.

Die Wahl von 40 Kandidatinnen und Kandidaten für die Europawahl im Juni 2024 hatte in den frühen Morgenstunden des Samstags geendet. Dass der Parteitag am Samstag dann etwas verspätet fortgesetzt wurde, war wohl auch der Nachtsitzung bis etwa 02.15 Uhr geschuldet. Am Freitag hatten die Delegierten die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Terry Reintke, auf Platz 1 der Liste gewählt. Zuvor war der Parteivorstand um die beiden Co-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour neu gewählt worden.


Kritik an Ampel-Plänen für mehr Abschiebungen

KARLSRUHE: Eine Reihe jüngerer Delegierter hat beim Bundesparteitag der Grünen massive Kritik an der Asylpolitik der Ampel geübt. «Es ist unehrlich über Begrenzung zu reden, wenn die Welt in Flammen steht», sagte Vasili Franco, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, am Samstagabend in Karlsruhe. Die Vorsitzende der Grünen Jugend, Katharina Stolla, warnte: «Wer Rechten hinterherläuft, der gerät ins Stolpern.» Die Co-Vorsitzende der Nachwuchsorganisation fügte hinzu: «Es gibt keinen Grund für weitere Asylrechtsverschärfungen.» Die Kritiker der Regierungspolitik wurden lautstark bejubelt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hielt dagegen. Er warnte: «Ein Parteitag einer Regierungspartei ist kein Spiel.» Die Vorschläge der Grünen Jugend seien in Wahrheit «ein Misstrauensvotum in Verkleidung» und eine indirekte Aufforderung, die Ampel-Regierung zu verlassen.

Die Grünen-Politiker Ricarda Lang und Winfried Kretschmann hatten vor dreieinhalb Wochen in einem gemeinsamen Gastbeitrag für den «Tagesspiegel» geschrieben: «Wenn die Kapazitäten - wie jetzt - an ihre Grenzen stoßen, müssen auch die Zahlen sinken.» Die Parteivorsitzende und der baden-württembergische Ministerpräsident betonten, bei aller gebotenen Menschlichkeit gelte: «Steuerung und Rückführung gehören zur Realität eines Einwanderungslandes wie Deutschland dazu.» Der Bundestag soll am kommenden Donnerstag in erster Lesung über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten, der das Ziel hat, dass «gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren, angepasst werden sollen».

«Lasst uns nicht schon hier auf dem Parteitag einen Kompromiss mit konservativen Kräften verabschieden», forderte Sophia Pott aus Lübeck. Zuvor hatte der Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour die Delegierten darauf hingewiesen, dass die Grünen als Regierungspartei daran gemessen würden, ob sie Lösungen lieferten oder nicht.

Wie erbittert die Debatte bei diesem Thema in der Partei teilweise geführt wird, zeigt sich schon daran, dass es alleine sechs unterschiedliche Anträge gab, die vom Bundesvorstand vorgeschlagene Überschrift des Beschlusses zu ändern: An «Humanität und Ordnung: für eine anpackende, pragmatische und menschenrechtsbasierte Asyl- und Migrationspolitik» störte etliche Mitglieder der Begriff «Ordnung». Ein Änderungsvorschlag enthielt den Slogan «Kein Mensch ist illegal».

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