Flirten mit dem «Flügel»

Weidel neue AfD-Chefin im Südwesten

Alice Weidel, AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, hält beim AfD-Sonderparteitag nach ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden der AfD Baden-Württemberg zwei Blumensträuße in den Händen. Foto: Marijan Murat/Dpa
Alice Weidel, AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, hält beim AfD-Sonderparteitag nach ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden der AfD Baden-Württemberg zwei Blumensträuße in den Händen. Foto: Marijan Murat/Dpa

BÖBLINGEN (dpa) - Björn Höcke war nicht zu Gast beim Parteitag der Südwest-AfD. Und doch war er präsent in Böblingen. Die neue Parteiführung will seinen völkischen «Flügel» einbinden. Mäßigung sieht anders aus.

Grabenkämpfe und Streitigkeiten gehören eigentlich zur DNA der AfD Baden-Württemberg. Wertkonservative Realos ringen seit Jahren mit radikalen Kräften um die Macht. Persönliche Animositäten und Intrigen sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Auch beim Sonderparteitag in Böblingen zeigt sich der tiefe Riss, der durch den Landesverband geht. Beim Thema Thüringen gibt man sich aber ungewohnt geschlossen. Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel lobt Rechtsaußen Björn Höcke auf der Bühne in höchsten Tönen. Die AfD sei dank Höcke ein politischer Fels, «an dem die etablierten Parteien wie Nussschalen zerschellen». Applaus, Applaus.

Mehr als 1000 Mitglieder haben sich am Samstag im Kongresszentrum in Böblingen versammelt, um eine neue Führung zu wählen. Fraktionschef Bernd Gögel und der Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel hatten die Landespartei ein Jahr geführt - und sich dabei heillos zerstritten. Der alte Landesvorstand war so verkracht, dass er noch vor dem Parteitag geschlossen zurücktrat. Weidel warf ihren Hut ins Rennen, um den Landesverband nach eigenen Worten wieder handlungsfähig zu machen. Und Weidel macht das Rennen.

Der völkisch-nationalistische «Flügel» von Björn Höcke ist zwar stark vertreten im Südwesten. Aber die Kandidaten, die mit dem «Flügel» in Verbindung gebracht werden, können sich in Böblingen nicht durchsetzen. Weidel gewinnt mit 547 zu 419 Stimmen gegen Spaniel, der in der Vergangenheit immer wieder die Nähe zum «Flügel» suchte.

Spaniel kann sich auch bei der Wahl zum ersten Stellvertreter nicht durchsetzen - und verliert gegen den Bundestagsabgeordneten Martin Hess, mit dem Weidel eigentlich eine Doppelspitze bilden wollte. Vizefraktionschef Emil Sänze vom rechten Rand unterliegt gegen den Bundestagsabgeordneten Marc Jongen, der zweiter Stellvertreter wird. Und die «Flügel»-Frau aus dem Landtag, Christina Baum, zieht bei der Wahl zum dritten Stellvertreter gegen den Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier den Kürzeren.

Frohnmaier war einst Weidels Sprecher. Die relativ knappen Abstimmungsergebnisse zeigen, dass beide Lager im Landesverband Gesicht haben. Weidel griff bereits 2017 nach dem Landesvorsitz - sie verlor damals gegen Ralf Özkara, der mittlerweile aus der Partei ausgetreten ist. Drei Jahre später steht sie nun an der Spitze eines zerrütteten Verbands.

Die AfD Baden-Württemberg kam 2016 aus dem Stand mit 15,1 Prozent in den Landtag. Nach dem Austritt mehrerer Mitglieder hat die Partei aber den Status als stärkste Oppositionskraft im Landtag eingebüßt. Antisemitismusvorwürfe gegen den mittlerweile fraktionslosen Abgeordneten Wolfgang Gedeon führten 2016 vorübergehend sogar zur Spaltung der Fraktion. Die andauernde Selbstbeschäftigung scheint die AfD-Wähler aber nicht abzuschrecken. Mit Blick auf die Landtagswahl 2021 träumen die Rechtspopulisten von 20 Prozent und mehr im Ländle.

Weidel verspricht am Samstag die Überwindung der Grabenkämpfe - und stellt Wahlergebnisse für die AfD wie in Thüringen in Aussicht. Der «Flügel» sei eine ganz wichtige Strömung und müsse mittel- bis langfristig eingebunden werden - «als Partner». Dabei war es Weidel, die einst ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke einleitete. Dafür muss sie sich auch in Böblingen rechtfertigen - und antwortet mit einer Lobeshymne auf den Erfurter Partei- und Fraktionschef. Höcke habe einen sehr guten Job in Thüringen gemacht hat, sagte sie.

Dort war der FDP-Politiker Thomas Kemmerich am 5. Februar völlig überraschend mit Stimmen von CDU, FDP und maßgeblich von der AfD zum Regierungschef gewählt worden. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsidenten ins Amt half - dies löste ein bundesweites, politisches Beben und einen Proteststurm aus. Drei Tage nach seiner Wahl trat Kemmerich zurück.

«Was er letzte Woche geschafft hat, das hat noch keiner vor ihm geschafft», sagt Weidel in Richtung Höcke. «Dafür gebührt ihm der höchste Respekt.» Welchen politischen Kurs der baden-württembergische Landesverband einschlägt, ist völlig offen.

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Jürgen Franke 16.02.20 18:39
Die Aufgaben von politischen Parteien sind im
Grundgesetz Deutschland festgelegt: Die Parteien haben als gewählte Abgeordnete den Willen der Bevölkerung im Landtag bzw. Bundestag umzusetzen. Da die Wirklichkeit leider so aussieht, dass lediglich Parteitagsbeschlüsse umgesetzt werden, konnte sich die AfD so entwickeln. Da es der CDU nicht gelingt, den rechten Wählerrand zurück zu gewinnen, wird sich der Erfolg der AfD fortsetzen, zumal sich die Menschen nicht mehr daran erinnern wollen, was in Deutschland zwischen 1933 und 1945 geschah.