Pariser Regierungschefin besucht Scholz

Einigkeit nach Missklang 

Olaf Scholz (SPD) und Élisabeth Borne, Ministerpräsidentin von Frankreich, reichen sich im Bundeskanzleramt die Hände. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Olaf Scholz (SPD) und Élisabeth Borne, Ministerpräsidentin von Frankreich, reichen sich im Bundeskanzleramt die Hände. Foto: Kay Nietfeld/dpa

PARIS: Als bloße Antrittsvisite gedacht und dann verschoben, stand die Berlinreise von Frankreichs Premierministerin Borne nun im Zeichen deutsch-französischer Verstimmungen. Gucken, dass die Chemie bald wieder stimmt, war Bornes Auftrag beim Treffen mit Kanzler Scholz.

Von nachgeholter Antrittsreise zu Beziehungscheck - Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne hat sich bei ihrer Berlinreise alle Mühe gegeben, die deutsch-französischen Beziehungen wieder in Schwung zu bringen. Am Freitag traf sie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Unterschiedliche Positionen in Kernfragen und mangelnde Kommunikation hatten die deutsch-französische Achse ins Holpern gebracht, was mit der Verschiebung eines gemeinsamen Ministerrats Ende Oktober deutlich wurde.

Nach ihrem Treffen betonten Scholz und Borne nun vor allem Einigkeit. «Klar ist, je schwieriger die Zeiten sind, umso wichtiger ist die deutsch-französische Partnerschaft», sagte der Kanzler. «Die deutsch-französischen Beziehungen sind außergewöhnlich dicht und reichhaltig.» Die Freundschaft zwischen beiden Ländern sei entscheidend, betonte die Pariser Regierungschefin. In der kritischen Lage, in der sich Europa befinde, sei die Stärke der Beziehungen zwischen beiden Ländern wichtiger denn je.

In Borne traf der Kanzler auf eine zunächst unterschätzte Premierministerin, die sich inzwischen Respekt erarbeitet hat. Bei Bornes Antritt im Mai gab es noch manchen Zweifel, ob sie sich lange an der Regierungsspitze wird halten können. Seit 30 Jahren und zum zweiten Mal überhaupt kam mit der Ex-Arbeitsministerin wieder eine Frau in das Spitzenamt, das in Frankreich im Schatten des mächtigen Staatspräsidenten steht. Nach sechs Monaten aber ist klar, die 61-Jährige hat nicht nur die Zügel fest in der Hand. Sie ist für Präsident Emmanuel Macron in seiner innenpolitisch schwierigen zweiten Amtszeit zudem zur Frau an vorderster Front geworden.

Bei all dem wirkt die als Technokratin geltende Ex-Sozialistin nach außen unaufgeregt, sachlich und gibt kaum Einblick in ihre Pläne oder Strategie. Borne, die sich in Strickjacke mit Energiesparappellen an die Franzosen wendete, ist ein vollkommener Gegenpol zum auf Außenwirkung und Auftreten bedachten Macron. Die Ingenieurin macht keinen Wirbel um sich selbst, versprüht wenig Charisma.

Einen großen Durchbruch in strittigen Punkten wie Energiepolitik, Verteidigung oder einer einheitlichen Reaktion auf amerikanischen Protektionismus gab es in Berlin nicht - und das war auch nicht gleich erwartet worden, wie es vorab in Paris hieß. Scholz und Borne unterzeichneten eine Solidaritätsbekundung im Energiebereich. In der von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher ausgehandelten Energievereinbarung sichert Deutschland Frankreich Stromlieferung zu. Frankreich wiederum versorgt Deutschland mit Gas.

Wenn nun die Missklänge beseitigt sind und die Chemie wieder stimmt, könnten bilaterale Fragen und europäische Fragestellungen wieder reibungsfreier von Frankreich und Deutschland angegangen werden, der Schulterschluss sei dafür unerlässlich, hieß es im Élyséepalast. Bei all dem drängt auch ein wenig die Zeit - am 22. Januar kommenden Jahres soll der 60. Geburtstag des Élysée-Vertrags gefeiert werden, der den Grundstein der Freundschaft zwischen beiden Ländern legte.

Zur Arbeit an den Sachfragen von Energiepreisdeckel, Luftverteidigungsschutzschirm, der Vernetzung der Strom- und Gasversorgung oder einer gemeinsamen Industriepolitik hatte es in dieser Woche eine rege Reisediplomatie gegeben. Frankreichs Kulturministerin Rima Abdul Malak zog es nach Berlin, in Paris waren Finanzminister Christian Lindner (FDP) sowie Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) zu Gast.

Was dabei auffiel und was ungewöhnlich ist, dass die beiden grünen Schwergewichte in der Bundesregierung sowie Lindner jeweils auch von Präsident Macron empfangen wurden - möglicherweise neben Beziehungspflege auch Strategie.

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