Die Hebammen-Polizisten der Hauptstadt

„Braune Engel“ als Geburtshelfer zur Rushhour

Der Wahnsinn: Geburt im Verkehrsstau.
Der Wahnsinn: Geburt im Verkehrsstau.

Jeden Monat erblicken in Bangkok zwei bis drei Neugeborene mitten im Stau das Licht der Welt. Schnelle Hilfe versprechen zwei Verkehrspolizisten, die sich mit ihren Motorrädern durch das Verkehrschaos schlängeln und als ausgebildete Geburtshelfer junges Leben retten. Die Journalistin Christina Grawe besuchte ein Geburtshilfe-Seminar, wo Ordnungshüter zu Hebammen-Polizisten ausgebildet werden und erlaubt den Lesern einen exklusiven Einblick hinter die Kulissen.

Stellen Sie sich vor, Sie leben in Bangkok, sind schwanger, und genau zur täglichen Rush­hour setzen die Wehen ein: Autochaos, endloser Stau, niemand weicht aus, nicht einmal dem Krankenwagen wird Platz gemacht. Kurzum: Normale Verkehrsszenen, wie man sie in der Hauptstadt täglich sieht. Für die Journalistin Christina Grawe hingegen, selbst im neunten Monat schwanger, bedeutet das die Horrorvorstellung schlechthin, die schon in nur wenigen Wochen bedrohliche Realität werden könnte. Durch Zufall hörte sie nun kürzlich - gerade besonders sensibel für dieses Thema - von Bangkoks Hebammen-Polizei. Die deutsche Reporterin Grawe hat die "Engel in Braun" spontan besucht und erlaubt der Leserschaft einen exklusiven Einblick hinter die Kulissen eines Seminars der Verkehrspolizei, wo Ordnungshüter zu Notfall-Geburtshelfern ausgebildet werden.

Ein bis zwei Geburten pro Monat

Eine Geburt mitten im Stau der Hauptstadt: Die Horrorvorstellung einer jeden Frau. Schnelle Hilfe in der Not verspricht die Hebammen-Polizei.
Eine Geburt mitten im Stau der Hauptstadt: Die Horrorvorstellung einer jeden Frau. Schnelle Hilfe in der Not verspricht die Hebammen-Polizei.

Das Projekt der Hebammen-Polizei wurde vor 14 Jahren von seiner Majestät König Bhumibol Adulyadej dem Großen persönlich initiiert. Dass diese vorbildliche Maßnahme nicht ohne Grund und wohlbedacht ergriffen wurde, erschließt sich, wenn man sich vor Augen hält, dass tatsächlich ein bis zwei Babys pro Monat mitten im Stau der quirligen Millionenmetropole das Licht zur Welt erblicken. Ob in einem der Tausenden bunten Taxis der Hauptstadt auf dem Weg ins Krankenhaus oder, wenn nicht mehr zum Taxi geschafft, direkt am Straßenrand.In anderen Großstädten der Welt würde man sicherlich versuchen, die Stau-Situation zu verbessern. In Bangkok hingegen hat man offensichtlich resigniert. Die Lösung sollen hier Motorrad-Polizisten mit spezieller Geburtshelfer-Ausbildung bringen, die sich in Rekordzeit durch den Verkehr zu den Notgeburten hindurch schlängeln. Allerdings gibt es bisher nur zwei dafür ausgebildete Spezialisten. Zu wenige, befand man nun und berief kürzlich weitere 94 Verkehrspolizisten zur Hebammen-Ausbildung ins Bangkok Hospital.

Ausbildung im Bangkok Hospital

Vor dem Gebäude parken fast 100 Polizei-Motorräder. Im siebten Stockwerk, im Seminarraum, hat sich ein Großteil von Bangkoks Verkehrspolizei zur Fortbildung eingefunden. Erste Hilfe, Schwerpunkt Geburtshilfe, informiert eine Programmtafel im Eingangsbereich. Die 94 anwesenden Polizisten in voller brauner Dienstuniform hingegen spähen erst einmal auf das einladende Buffet und grinsen dann verlegen, als sie die schwangere deutsche Reporterin erblicken.

Auch die thailändische Presse ist kurz anwesend, als sich zu Beginn der Veranstaltung General Wichian Pojphosri, der nationale Polizeichef des Königreiches, höchstpersönlich mitsamt seinem Gefolge die Ehre gibt, das Seminar zu besuchen. "Das zeigt die Wichtigkeit des Anliegens", wird der deutschen Journalistin zugeflüstert. Ehe sie sich versieht, wird Khun Wichian vor ihr Mikrofon geschoben, und noch bevor sie selbst irgendetwas fragen kann, fängt er an, leise und endlos lange in Englisch über das thailändische Polizeiwesen zu referieren.

„Do it yourself“: Mit einer Puppe sollen die zukünftigen Motorrad-Geburtshelfer der Bangkoker Polizei auf den Notfall vorbereitet werden.
„Do it yourself“: Mit einer Puppe sollen die zukünftigen Motorrad-Geburtshelfer der Bangkoker Polizei auf den Notfall vorbereitet werden.

"Als Grawe endlich zu Wort kommt, fragt sie den Polizeichef: "Mal ehrlich, Khun Wichian, das einzige, was ich doch heute hier wissen möchte ist, dass wenn ich also nächste Woche im Stau Wehen bekomme, ihre Männer mir dann fachgerecht helfen können oder eher nicht?" Seine Begleiter raunen ein wenig, offenbar erscheint ihnen die gestellte Frage zu frech und direkt. Der Polizeichef aber lacht verblüfft und versichert der deutschen Reporterin, dass schwangeren Ausländern besonders gut geholfen wird und schüttelt ihr begeistert beide Hände.

Attraktion: Schwangere Reporterin

Danach muss die verdutzte Journalistin allerdings erst einmal zehn Minuten gemeinsam mit Khun Wichian für die lokale Presse für Fotoaufnahmen posieren. Eine Frau erklärt ihr: "In Thailand trägt man im neunten Monat keine Hosen mehr und überhaupt, so enge T-Shirts sind schlecht fürs Baby…". Nach diesen belehrenden Worten lässt Grawe sich brav als Sensation ablichten.

Dann aber tut sich endlich was im Seminarraum. Der erste Fortbildungspunkt besteht aus einem Rollenspiel, das einer Szene einer schlechten thailändischen Seifenoper zu gleichen scheint: "Oh, aua, aua, ich habe Wehen, mein Baby kommt und ich bin ganz alleine, wer kann mir helfen?" Eine (nur vorgetäuscht) schwangere Thailänderin im anständigen hellblauen Bärchen-Kleid läuft jammernd durch den Seminarraum. Sofort erscheint ein freundlicher Polizist auf seinem Motorrad, das für das Rollenspiel extra in das siebte Stockwerk geschafft wurde, springt ab und salutiert. Jetzt geht alles ganz schnell: Die Frau schreit ein bisschen lauter - und zwei Minuten später ist das Baby da. Eine saubere Baby-Puppe aus Plastik wird auf der Bühne aus einer etwas skurril wirkenden Bauchattrappe gezogen. "Ganz wichtig, der Kopf des Säuglings muss zur Seite gedreht werden", informiert eine anwesende Ärztin kurz.

Die Geburt – Ein Kinderspiel?

Grawe interessiert sich für die Eindrücke und Meinungen der Polizisten bezüglich des vorgetragenen Schauspiels und kommt mit zwei Nachwuchs-Geburtshelfern ins Gespräch. "Das kann ich jetzt auch. Das Baby kommt ja von ganz alleine raus, da muss man nur ein bisschen helfen", sagt der eine Streifenpolizist mit ernsthafter Miene. Sein Nachbar nickt zustimmend: "Ja, ich glaube, das kann ich jetzt auch. Das ist doch leicht."

Die Journalistin hingegen verspürt beim Zuschauen durchaus noch einige Zweifel am Erfolg dieser Hebammen-Ausbildung im Schnellverfahren. Auch die Theoriestunde verspricht zunächst nicht viel Gutes: Bei der Videopräsentation zu sanfter Musik schlafen die meisten anwesenden Ordnungshüter sofort ein. Völlig ungeniert schnarcht ein Polizist neben der schwangeren Deutschen mit dem Kopf im Nacken. Ein anderer liegt dösend auf dem Schreibtisch. Anschließend wird jedoch tatsächlich noch etwas gelernt. Nämlich, wie man sich die Hände richtig desinfiziert. Mit ernstem Gesicht reiben sich die Polizisten zehn Minuten lang die Hände mit Desinfektionsflüssigkeit ein.

Grawe hat jedoch erst einmal genug gesehen. Vor dem Krankenhaus trifft sie sich mit Wachtmeister Pichet Visetchote, einem der beiden bereits ausgebildeten Hebammen-Verkehrspolizisten. Der 38-Jährige gilt als Pionier unter den Geburtshelfern der Polizei: Insgesamt 24 Geburten im Stau führte er bereits erfolgreich aus. Statt einen Strafzettelblock hat er auf seinem Motorrad einen speziellen Erste-Hilfe-Koffer dabei, der Desinfektionsmittel, kleine Geräte, um die Atemwege des Babys zu reinigen, Klemmen und Tücher beinhaltet. "Hier, schauen Sie, das ist zum Beispiel immer ganz wichtig: Sterile Unterlagen und viele Tücher, falls die Frauen stark bluten."

Khun Pichet stellt Grawe eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm vor: Narumon Mahakan hat die Horrorvorstellung einer Geburt in der Rushhour genau vor vier Wochen erlebt. Die 23-Jährige dachte zuerst, dass ihre Wehen nur leicht eintreten und wollte mit einem Taxi zum nächsten Krankenhaus fahren. Aber dann: stundenlanger Stau!

Der Horror: Geburt im Stau

"Ich saß im Taxi, und nichts ging voran", erklärt sie der Journalistin. "Natürlich platzte genau zu diesem Zeitpunkt meine Fruchtblase, und mitten auf der Autobahn kam dann auch superschnell das Baby raus. Einfach so, ohne Hilfe! Ich hatte fürchterliche Angst!" Der Taxifahrer rief die Polizei zur Hilfe und Sergeant Pichet kam schnell zur Stelle. Er konnte noch rechtzeitig die Atemwege von Baby Jirawat säubern, die Nabelschnur abklemmen und die Mutter fachgerecht versorgen. Als Narumon hilflos im Taxi lag und den Hebammen-Polizisten sah, war sie sehr froh. Sie erzählt weiter: "Ich hatte schon mal von diesem Projekt gehört. Daher fühlte ich mich beruhigt und wusste, dass nun keine Gefahr mehr für mich und mein Baby besteht!"

"Bislang waren alle Geburten im Stau relativ problemlos", informiert der Ordnungshüter. "Jedoch kommen auch wir an unsere Grenzen, zum Beispiel wenn ein Baby falsch herum liegt. Ist dies der Fall, dann probiere ich schnellstmöglichst einen Arzt auf meinem Motorrad durch das Verkehrschaos zu holen oder das Taxi irgendwie durch die Autolawinen zum nächsten Krankenhaus zu lotsen", so Khun Pichet.

Auch seine Kollegen sollen heute während des Seminars den Job des Geburtshelfers erlernen. "Do it yourself": An Plastikmodellen wird den etwas überfordert wirkenden Verkehrspolizisten die Möglichkeit geboten, den reibungslosen Vorgang einer Geburt selber zu üben. Begleitet vom theatralischen Geschrei einer Frau soll die reale Situation simuliert werden. "Auch mein Kollege und ich lernten die Geburtshilfe zunächst nur an dieser Puppe. Aber die Jahre brachten die Erfahrung…", möchte der Ordnungshüter beruhigen.

Besondere Bindung zu jedem Kind

Zur großen Freude Khun Pichets ist heute noch einer "seiner" Säuglinge zum Bangkok Hospital gekommen: Der kleinen Pakamon verhalf er vor zwei Jahren in einem Honda Jazz auf der Autobahn auf die Welt. Bis heute hat er noch zu fast jedem Kind eine besondere Bindung: "Sie machen aus meinem Beruf etwas ganz Besonderes." Der Polizist nimmt die Kleine auf den Arm und fügt lächelnd hinzu: "Verkehrssünder zu jagen ist doch langweilig!" Er lacht: "Das mache ich auch manchmal, aber ich mache den Hebammen-Job viel lieber, da ich so den Leuten wirklich helfen kann. Den Frauen bei der Geburt zu helfen - das ist doch was Tolles!"

Seine Kollegen hingegen sind nach diesem eintägigen "Crash-Kurs" in Geburtshilfe noch lange nicht so weit. Immerhin haben sie am Ende des Seminars zumindest das Händedesinfizieren fachgerecht erlernt. Bis zu einer richtigen Geburt sind allerdings noch sicherlich einige Stunden ernsthafter Theorie-Unterricht von Nöten. Ob die an diesem Tag erschienenen Polizisten alle qualifizierte Geburtshelfer werden, bezweifelt Grawe am Ende der ersten Veranstaltung. Von Khun Pichet ließ sie sich jedoch noch die Handynummer geben. Nur vorsichtshalber. Besser ist besser! Ansonsten aber hofft sie doch sehr, dass ihre Wehen nicht zur täglichen Rushhour der Hauptstadt einsetzen werden.Immerhin, die Hebammen-Ausbildung der Polizisten ist ein kleiner Versuch, der Stauproblematik auf dem Weg ins Krankenhaus entgegenzuwirken. Mehr als hundert Bangkoker Mütter sind den "Engeln in Braun" bis heute jedenfalls dankbar.

Die Hebammen-Polizisten im TV

Die Reportage wurde bei den deutschen Fernsehsendern RTL und N-TV ausgestrahlt und kann als Onlinestream in der Mediathek von N-TV kostenlos angeschaut werden: www.n-tv.de.

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