75 Jahre Israel: Krise überschattet Jubiläumsfeiern

75. Jahrestag des Weltjudentums. Foto: epa/Jim Hollander
75. Jahrestag des Weltjudentums. Foto: epa/Jim Hollander

TEL AVIV: Die Jahrestage der israelischen Staatsgründung werden üblicherweise ausgelassen gefeiert. Doch ausgerechnet zum 75. trübt der Streit um die Justizreform der Netanjahu-Regierung die Feierlaune.

Israels Gründung nur drei Jahre nach dem Holocaust galt vielen als echtes Wunder. Das 75. Jubiläum des jüdischen Staats sollte daher in den nächsten Tagen eigentlich ein äußerst freudiger Anlass sein - die Feiern werden jedoch überschattet von einer der schwersten Krisen in der Geschichte des kleinen Landes am Mittelmeer.

Der Streit um die geplante Justizreform der rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat vorhandene Risse in der Gesellschaft dramatisch vertieft. Am israelischen Holocaust-Gedenktag mahnte Präsident Izchak Herzog: «Wir sind ein Volk und werden dies bleiben - verbunden nicht nur durch eine schmerzhafte Geschichte, sondern auch durch unsere gemeinsame, hoffnungsvolle Zukunft.»

Erstmals deutsche Luftwaffe bei Israels Unabhängigkeitsfeier

Die Unabhängigkeitsfeiern, die sich am hebräischen Kalender orientieren, beginnen in diesem Jahr am Abend des 25. April. Gegründet wurde der Staat Israel am 14. Mai 1948. Gegner der Justizreform kündigten für den Abend die «größte Demonstration am Unabhängigkeitstag in der israelischen Geschichte» an.

Für Mittwoch ist eine große Luftparade geplant, an der erstmals auch die deutsche Luftwaffe teilnehmen soll. Ein Eurofighter des Typs Eagle Star 2.0 wird dabei von Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz persönlich geflogen. Die Flügel des Kampfjets sind mit der deutschen und der israelischen Flagge dekoriert.

Freudentag für Juden - Katastrophe für Palästinenser

Für Juden aus aller Welt erfüllte sich 1948 der Traum einer eigenen Heimstätte, einem sicheren Fluchtort vor Antisemitismus und jahrhundertelanger Verfolgung. Die Einwanderung nach Israel feierten viele als Rückkehr in eine uralte Heimat, aus der die Juden fast 2000 Jahre zuvor von den Römern vertrieben worden waren.

Für die Palästinenser begann dagegen ihr Unglück. 700.000 mussten im Zuge der Staatsgründung sowie des ersten Nahostkriegs 1948 fliehen oder wurden vertrieben. Unmittelbar nach Ausrufung des jüdischen Staats hatten fünf arabische Staaten Israel angegriffen.

Die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachfahren ist heute auf fast sechs Millionen angewachsen. Israel lehnt deren Forderung auf ein «Recht auf Rückkehr» ab, weil dies aus seiner Sicht das Ende des jüdischen Staates bedeutete.

Immer neue Kriege und Streit um besetzte Gebiete

Seit 1948 haben sechs Nahostkriege die Region erschüttert. Bei zwei Palästinenseraufständen gab es ebenfalls Todesopfer auf beiden Seiten. In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten hat sich Israel außerdem mit der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas und anderen militanten Palästinensern immer wieder Kriege geliefert. Ein Versuch zur Lösung des Konflikts unter US-Vermittlung vor 30 Jahren führte zwar zur Schaffung einer palästinensischen Autonomiebehörde. Doch das Ziel eines Palästinenserstaats ist unerreicht - auch wegen der inneren Spaltung der Palästinenser.

Seit dem Sechstagekrieg 1967 hält Israel unter anderem das Westjordanland besetzt. Die Zahl der israelischen Siedler dort und in Ost-Jerusalem ist inzwischen auf 600.000 angewachsen. Rechtsextreme Mitglieder der Regierung Netanjahu wollen, dass Israel sich Teile des Westjordanlands einverleibt. International wird das Land stark angefeindet, Kritiker setzen sich für einen Boykott ein.

Friedensverträge mit arabischen Staaten

Bis 2020 waren Ägypten und Jordanien die einzigen arabischen Staaten, die diplomatische Beziehungen zu Israel unterhielten. Dann unterzeichneten die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain als erste Golfstaaten überraschend Annäherungsabkommen. Im Rahmen der sogenannten Abraham-Abkommen kündigten auch Marokko und der Sudan eine Normalisierung ihrer Beziehungen zu Israel an.

Dies galt als großer außenpolitischer Erfolg der damaligen Regierung Netanjahu. Der Wunsch des Ministerpräsidenten nach einer ähnlichen Vereinbarung mit Saudi-Arabien wird allerdings gegenwärtig als unrealistisch eingestuft - nicht zuletzt, weil Netanjahu inzwischen die am weitesten rechts stehende Regierung Israels anführt.

Rasantes Bevölkerungswachstum und Geburt der «Startup-Nation»

Israel hatte nach seiner Gründung nur 800.000 Einwohner. Seitdem hat diese Zahl sich verzwölffacht: Heute sind es fast zehn Millionen. Von sozialistischen Idealen der Gründerjahre ist kaum etwas übrig geblieben. Von einer Agrargesellschaft hat sich das Land in eine hochmoderne «Startup-Nation» verwandelt.

Demografie als künftige Gefahr für die Gesellschaft

Der innere Zusammenhalt ist im Zuge der jüngsten Krise zerbröselt. Immer tiefer sind die Gräben zwischen den «vier Stämmen», die der frühere Präsident Reuven Rivlin beschrieb: säkulare Juden, ultraorthodoxe Juden, national-religiöse Juden und Araber, die etwa ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen.

Ultraorthodoxe Juden, von denen die meisten den Wehrdienst verweigern und viele ärmeren Bevölkerungsschichten angehören, stellen 13 Prozent der Einwohner. Nach Schätzungen des Zentralen Statistikbüros wird ihr Anteil durch hohe Geburtenraten binnen vier Jahrzehnten auf ein Drittel anwachsen. Gleichzeitig wird eine Abwanderung von Leistungsträgern aus dem säkularen Bevölkerungssektor befürchtet.

«In diesem Fall würde Israel geschwächt, was Wirtschaftswachstum und Demokratie angeht», meint der Experte Gilad Malach vom Israelischen Demokratie-Institut. «Das ist auf längere Sicht eine große Herausforderung.» Über die Jahre haben Israelis allerdings immer wieder große Widerstandsfähigkeit bewiesen, auch in scheinbar ausweglosen Situationen, und «das Unmögliche möglich gemacht». Wie schon Staatsgründer David Ben-Gurion sagte: «Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.»

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