Gemischte Bilanz beim Unionsnachwuchs

100 Tage AKK

Foto: epa/Alexander Becher
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BERLIN (dpa) - Die Junge Union zeigt sich im Jahr eins nach CDU-Chefin Merkel zufrieden mit der neuen Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer. Aber der Nachwuchs macht auch klar: Es kann gerne noch konservativer werden.

Selbst die Bayern sind aufgestanden, es werden weiß-blaue Rautenfähnchen geschwenkt: Minutenlang applaudiert der Unions-Nachwuchs Annegret Kramp-Karrenbauer stehend. Die gut 300 JU-Delegierten in Berlin verabschieden die CDU-Vorsitzende am Samstag nach einer Stunde Rede und Frage-Antwort-Runde begeistert, aber nicht euphorisch. Wenn Angela Merkel in den vergangenen Jahren beim Nachwuchs zu Gast war, gab es meist nur Höflichkeitsapplaus. Und die Bayern sind oft sitzengeblieben. Das ist mit AKK anders.

Die jungen Männer und Frauen aus CDU und CSU zeigen beim JU-Deutschlandtag im Jahr eins nach CDU-Chefin Merkel vor allem eins: Wie erleichtert sie sind, dass der jahrelange quälende Streit zwischen den schwarzen Schwestern über die Migrationspolitik der Kanzlerin mit dem Wechsel an den Parteispitzen von CDU und CSU beendet scheint. Es wird so viel gejohlt und geklatscht wie zuletzt selten auf Deutschlandtagen. Der Nachwuchs will sich endlich wieder begeistern, das ist schnell klar bei dem Treffen in Berlin.

Vor allem dann schäumt bei der JU die Stimmung über, wenn markige und konservative Töne gegen Grüne und in der Migrations- oder der Klimapolitik etwa gegen «den Abmahnverein» Umwelthilfe gerufen werden. Wenn Kramp-Karrenbauer (56) will, kann sie 100 Tage nach ihrem Start als Vorsitzende vor allem ein Signal vom Nachwuchs mitnehmen: Dass die JU einen konservativeren Kurs von der Parteispitze verlangt.

Rückblick: Am 7. Dezember wählt der CDU-Parteitag in Hamburg die amtierende CDU-Generalsekretärin und frühere saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer mit knapp 52 Prozent zur neuen Vorsitzenden. In den folgenden Wochen und Monaten bleibt die nach der hauchdünnen Niederlage ihres größten Konkurrenten Friedrich Merz befürchtete Spaltung der Partei aus. AKK, wie sie in der Partei überall genannt wird, tut viel, um einen solchen Zerfall zu vermeiden - und Merz enttäuscht selbst glühendste Anhänger, weil der Eindruck entsteht, es ziehe sich frustriert zurück.

Kramp-Karrenbauer geht nach Hamburg daran, die CDU und die Unionsfamilie wieder zu einen. Sie und ihr Umfeld wissen, dass die miesen Umfragewerte nur dann wieder steigen dürften, wenn der tiefe Riss zwischen den Unionsschwestern wieder gekittet wird. Ohne diese Basis, so glaubt man in der CDU-Spitze, würden Erfolge bei den wichtigen Wahlen zu Europa oder im Herbst im Osten kaum möglich sein. Erleichtert ist Kramp-Karrenbauer immerhin, dass die Union bei Europaumfragen derzeit bei fast 35 Prozent liegt.

Beim CSU-Parteitag am 19. Januar in München bietet Kramp-Karrenbauer dem frisch gewählten CSU-Chef Markus Söder faire Zusammenarbeit an. Zwar seien CDU und CSU keine «eineiigen Zwillinge», sagt AKK. Aber sie müssten am gleichen Strang ziehen: «Dazu reiche ich Dir, lieber Markus, die Hand.»

Dass auf Worte Taten folgen müssen, ist Kramp-Karrenbauer klar. Beim CDU-«Werkstattgespräch» zur Aufarbeitung der merkelschen Migrationspolitik schlägt sie Pflöcke ein. Auf ihre Entscheidung hin wird gleich zweimal im Abschlusspapier die Möglichkeit von Zurückweisungen von Migranten an der deutschen Grenze aufgenommen. Als letztes Mittel schließt sie sogar Grenzschließungen nicht aus. Mit Merkel hätte es soetwas nicht gegeben. An genau diesen Punkten wäre im vergangenen fast die traditionelle Unionsgemeinschaft und damit auch die GroKo geplatzt.

Auch in der Außenpolitik, wo in puncto Erfahrung niemand Merkel in der Union das Wasser reichen kann, setzt Kramp-Karrenbauer mittlerweile wichtige Akzente. Sie reist nach Brüssel. Sie mischt sich in die EVP-Debatte über den umstrittenen ungarischen Regierungschef Viktor Orban ein. Vor einer Woche veröffentlicht sie ein eigenes Europa-Manifest, als Kontrapunkt zu den Vorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Das dürfte zwar bis in die Details mit Merkel abgestimmt gewesen sein - doch hängen bleibt, dass nicht die Kanzlerin, sondern die CDU-Chefin auf den Franzosen reagiert hat.

Dass ihr umstrittener Karnevalswitz über Toiletten für das dritte Geschlecht unionsintern nicht schaden muss, kann Kramp-Karrenbauer dann auch bei der Jungen Union wieder hören. Der überraschend klar gewählte neue JU-Chef Tilman Kuban hatte ihrer Karnevalsbemerkung in seiner Bewerbungsrede noch ein paar Umdrehungen hinzugefügt und sich über die «Schultoilette des dritten bis 312. Geschlechts» heiß geredet. Die Delegierten johlen.

Hoch angerechnet wird Kramp-Karrenbauer nicht nur bei vielen im Unions-Nachwuchs, dass sie trotz scharfer Kritik nicht eingeknickt ist und auf eine Entschuldigung für den derben Faschingswitz verzichtet hat. Beim politischen Aschermittwoch von Demmin war sie stattdessen sogar zum Gegenangriff übergegangen und hatte ihren Kritikern künstlich verkrampfte Aufregung attestiert: «Das ist doch alles ein Wahnsinn, was wir hier erleben.»

Aber nicht alle in der CDU sind bei diesem Punkt begeistert von AKK. Selbst in der Unionsfraktionsspitze gibt es Stimmen, die Äußerungen wie zur Genderfrage mitverantwortlich dafür machen, dass die Union in den Umfragen immer noch um die 30 Prozent herumkrebst. Die Äußerung zum dritten Geschlecht möge zwar AKKs Meinung sein, sie entspreche aber nicht mehr dem Lebensgefühl vieler, heißt es da. Die CDU müsse in der Gesellschaftspolitik moderner werden, die Themen Klimaschutz, gesunde Lebensmittel oder das Tierwohl seien große Baustellen für die Partei. Man müsse aufpassen, dass man nicht im ohnehin für die Union oft schwierigen Großstadtmilieu wichtige Wähler verliere.

Solch besorgte Stimmen muss sich Kramp-Karrenbauer auch in der Fragerunde des Unionsnachwuchses anhören. So zeigt sich etwa die schleswig-holsteinische JU-Landeschefin Birte Glißmann zwar erleichtert, dass «endlich wieder Sachthemen» im Vordergrund stünden und nicht mehr nur der GroKo-Streit oder die Selbstbeschäftigung in der Union. In der Umwelt- und Klimapolitik würden aber Impulse fehlen - und die seien eben wichtig, damit die «Latte-Macchiato-Mütter» vom Prenzlauer Berg in Berlin nicht zwangsläufig Grün wählen müssten.

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Jürgen Franke 19.03.19 10:33
Deutschland wird sich auf die
AKK als Kanzlerin vorbereiten müssen.