Wo ist Shergar?

Vor 40 Jahren wurde Irlands «Wunderpferd» entführt

Pferd Shergar mit dem Jockey Walter Swinburn im Sattel. Foto: Library Picture/Irish Examiner/dpa
Pferd Shergar mit dem Jockey Walter Swinburn im Sattel. Foto: Library Picture/Irish Examiner/dpa

DUBLIN: Vor 40 Jahren soll die Terrorgruppe IRA eines der wertvollsten Rennpferde in der irischen Geschichte entführt haben - der Fall Shergar wurde nie aufgeklärt. Die Täter bekamen kein Lösegeld, das Tier bezahlte jedoch mit seinem Leben.

Winternächte in Irland sind oft nasskalt und nebelig, wie perfekte Filmkulissen für einen Thriller. Genau wie die Nacht im Februar 1983, als maskierte und bewaffnete Männer ein Pferd entführten. Nicht irgendeins, sondern schon zu Lebzeiten eine Legende: Shergar, nach heutigem Kurs 11,5 Millionen Euro wert. Bis heute ist der irische Vollblut-Hengst, der die größten Rennen in England und Irland mit bis zu zwölf Längen Vorsprung gewann, spurlos verschwunden und gilt schon lange als tot.

Die Erinnerungen der Iren an ihr «Wunderpferd» sind hingegen quicklebendig. Seine Geschichte ist «eine so bizarre und beschämende Episode in der irischen Vergangenheit, dass sie nur Sinn ergibt, wenn man sie mit den unglaublichen Szenen und dem ekstatischen Jubel seiner unsterblichen Saison in Relation setzt», schrieb Keith Duggan kürzlich in der Zeitung «Irish Times».

Der Journalist meint damit Szenen wie diese: «Man braucht ein Teleskop, um den Rest des Feldes zu sehen», rief BBC-Radiomoderator Peter Bromley, als Shergar und sein 19 Jahre alter Jockey Walter Swinburn am 3. Juni 1981 mit zehn Pferdelängen Vorsprung das berühmte Epsom Derby gewannen. Der Zweitplatzierte John Matthias sagte, er habe am Ende der Zwei-Kilometer-Strecke kurz geglaubt, er sei der Sieger - weil Shergar schon längst über dem Hügel hinter der Ziellinie verschwunden war.

Zuvor hatte das von Briten trainierte «Wunderpferd» in vier Rennen in England drei erste und einen zweiten Platz belegt. Der Vorsprung von zehn Längen, den Shergar dann in Epsom erlief, ist bis heute der größte in der Geschichte des Rennens. Besitzer Karim al-Husseini, besser bekannt als Aga Khan IV., verkaufte nach dem Sieg Dutzende Anteile an dem Pferd, was ihm zehn Millionen Pfund einbrachte, und gründete ein Besitzersyndikat.

Dies war den Entführern - aller Wahrscheinlichkeit nach Mitglieder der katholisch-republikanischen Terrorgruppe IRA - offenbar nicht bewusst. Die Paramilitärs, die im jahrzehntelangen Bürgerkrieg für eine Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik Irland kämpften, hofften allen Annahmen zufolge mit Shergar auf dringend benötigte Einnahmen für ihren «Feldzug».

Die 1980er Jahre waren in Irland eine schwierige Zeit, wirtschaftlich wie politisch. Der Erfolg Shergars stand für etwas, «das noch unbezahlbarer (als sein Geldwert) war: eine unkomplizierte irische Erfolgsgeschichte», so Journalist Duggan.

Die Realität war düster: Irlands Wirtschaft war so kaputt, dass die größte Fernsehunterhaltungsshow eine Sonderausgabe zum Thema Auswanderung brachte. Die Boomtown Rats veröffentlichten ein Album mit dem Titel «Banana Republic». Tatsächlich sahen viele Iren ihr Land - korrupt und instabil - selbst als Bananenrepublik.

In diesen Zeiten galoppierte Shergar in die Herzen der Bevölkerung. Nach zwei weiteren Siegen im irischen The Curragh und im englischen Ascot und einem überraschend schlechten vierten Platz in Doncaster durfte Shergar in Rente gehen - auf dem Ballymany-Gestüt im County Kildare. Shergar war nicht nur für viele in Irland ein emotionaler Anker, sondern auch rein kommerziell gesehen heiße Ware: Die Zuchtzulassung kostete 80.000 Pfund.

In der Nacht des 8. Februar 1983 holten dann Maskierte den leitenden Stallknecht Jim Fitzgerald zu Hause ab und zwangen ihn, Shergar zu identifizieren - es gab kaum Sicherheitsvorkehrungen, die Entführung war ein leichtes. Dank der zeitgleichen Pferde-Verkäufe in einem nahe gelegenen Auktionshaus hatte die Polizei keine Chance, die Spuren der Kidnapper zu verfolgen. Fitzgerald wurde laufen gelassen. Doch die Entführer und ihre vierbeinige Geisel blieben verschwunden.

Obwohl die Operation die Handschrift der IRA trug, bekannte sich die Terrorgruppe nie offiziell zu der Tat. Sean O'Callaghan, ehemaliger IRA-Kommandeur und Polizeispitzel, sprach jedoch über Details: Weil die meisten Besitzer im Syndikat gut versichert waren, sei die Lösegeldforderung von zwei Millionen Pfund nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Das hätten die Entführer nicht bedacht.

Besonders tragisch war demnach aber der zweite Fehler: Die Kidnapper hatten unterschätzt, wie kompliziert ein Vollblut-Hengst im Umgang ist. Laut O'Callaghan verletzte sich das aufgeregte Pferd beim Verladen schwer am Bein. Unter dem Druck umfassender Polizeipräsenz seien die Entführer in Panik geraten. Anstatt Shergar frei zu lassen, hätten sie das Tier erschossen. «Überall war Blut», sagte O'Callaghan der «Irish Times», «das Pferd rutschte auf seinem eigenen Blut aus. Es wurde viel geflucht und geschimpft, weil das Pferd nicht sterben wollte. Es war ein sehr blutiger Tod.»

Obwohl Shergar vermutlich nicht mehr lebte, versuchten die Täter - oder Trittbrettfahrer - immer wieder, Lösegeld zu fordern. Stets erfolglos. Shergar blieb verschwunden, und auch seine sterblichen Überreste wurden nie gefunden.

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