Staunen über das Macron-Wunder

Foto: epa/Christophe Petit Tesson
Foto: epa/Christophe Petit Tesson

PARIS (dpa) - Emmanuel Macron wurde aus dem Nichts französischer Staatspräsident. Nun steht seine junge Partei vor einem triumphalen Sieg im Parlament. Doch auf dem Erfolg liegt ein Schatten: eine extrem niedrige Wahlbeteiligung.

Der Präsident nimmt sich Zeit. Vor dem Rathaus des schicken Badeorts Le Touquet am Ärmelkanal schüttelt Emmanuel Macron bei strahlender Sonne die Hände vieler Schaulustiger und posiert für Selfie-Bilder. Einem kahlköpfigen Mann küsst er sogar auf die Stirn. Dann gibt der 39-Jährige, begleitet von Frau Brigitte, seine Stimme ab. Die Parlamentswahl - für Macron eine weitere Etappe auf dem Weg zur Macht.

«Frankreichs Kennedy», wie er gelegentlich genannt wird, wirkt ruhig, kontrolliert, gelegentlich sogar entspannt. Doch der äußere Schein trügt. In Frankreich läuft eine von ihm und seiner Partei La République En Marche ausgelöste Revolution der friedlichen Art ab.

Erster Akt: Die Wahl Macrons am 7. Mai zum jüngsten Präsidenten aller Zeiten. Zuvor galt der frühere Wirtschaftsminister und Investmentbanker lange als chancenloser Außenseiter. Zweiter Akt: Ein programmierter Sieg bei der Wahl zur Nationalversammlung, dem französischen Unterhaus.

La République En Marche (Die Republik in Bewegung) und die verbündete Mitte-Partei MoDem kamen in der ersten Runde auf mindestens 32 Prozent der Stimmen. Bis zu 440 der zusammen 577 Abgeordnetenplätze könnten laut einer Hochrechnung auf Macrons Lager entfallen. Endgültige Ergebnisse wird es erst nach dem zweiten Durchgang in einer Woche (18. Juni) geben. Bisher ist die Macron-Partei überhaupt nicht in der Volksvertretung präsent. Ihr Aufstieg ist beispiellos.

Schattenseite des Erfolgs: Jeder zweite Wahlberechtigte blieb zuhause. Die Menschen seien nach einem monatelangen Marathon mit Vorwahlen und Präsidentenkür ermüdet, meinen Beobachter. Viele hätten im Mai Macron gewählt, um die Rechtspopulistin Marine Le Pen zu verhindern. Nun sei der Schwung raus. Im Eck-Café ist immer wieder zu hören, dass sich die Sympathie für Macron bei vielen in Grenzen hält.

Sozialisten und die bürgerliche Rechte, die seit einem halben Jahrhundert die Geschicke des Landes bestimmten, sind ausgebremst. Sozialisten-Parteichef Jean-Christophe Cambadélis befürchtet nach der schweren Schlappe bereits «eine Nationalversammlung ohne echte Kontrollmacht und ohne demokratische Debatte».

Die rechtsextreme Front National (FN) von Le Pen spielt nur noch eine Nebenrolle. Manche reiben sich die Augen: Es ist noch gar nicht solange her, dass ein Sieg Le Pens bei der Präsidentenwahl als durchaus möglich angesehen wurde. Ganz Europa zitterte, denn die 48-Jährige propagierte ganz unverhohlen den Ausstieg aus dem Euro.

Mit einer Parlamentsmehrheit im Rücken kann der sozialliberale Staatschef Reformen in die Tat umsetzen, um sein Land gegen islamistischen Terror zu wappnen und die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Frankreich leidet unter einen hohen Arbeitslosigkeit von zehn Prozent und einem hohen Schuldenberg von 96 Prozent der Wirtschaftsleistung.

«Es ist eine solide Mehrheit zur Unterstützung des Präsidenten nötig, damit man morgen handeln kann, vor allem gegen die Straße», sagt der Macron-Vertraute und Ex-Sozialist François Patriat ganz offen im Wochenblatt «Journal du Dimanche». Er dürfte die Lockerung des Arbeitsrechts im Auge haben, die zu Protesten führen dürfte. Macron will die Reform im Eilverfahren per Verordnung durchpeitschen, was zu Unmut führt.

Der Macron-Tsunami wird viele Politikneulinge in die Nationalversammlung bringen. Ein bisschen wie 1981, als der Sozialist François Mitterrand an die Macht kam und ein politisches Erdbeben auslöste. Unter Macrons Kandidaten sind der Chef der früheren Polizeieliteeinheit RAID, Jean-Michel Fauvergue, und die ehemalige Stierkämpferin Marie Sara. Die künftigen Parlamentarier müssten «aufmerksam betreut werden, um ein Durcheinander zu verhindern» - so zitiert das Enthüllungsblatt «Le Canard enchaîné» den jungen Staatschef, der sich um jedes Detail kümmert.

Turbulenzen gibt es bereits, aber in der Regierung, die erst seit wenigen Wochen amtiert. So gibt es Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Beschäftigung von Mitarbeitern bei Europaabgeordneten der MoDem von Justizminister François Bayrou. Wohnungsbauminister Richard Ferrand - ein enger Weggefährte Macrons - ist wegen einer Immobilienaffäre seit Wochen in den Schlagzeilen.

Macron machte vor der Abstimmung vor allem auf internationaler Bühne Wahlkampf, traf Kremlchef Wladimir Putin und drückte US-Präsident Donald Trump auffallend energisch die Hand. «Macron hat sich vorher Videos mit allen Handschlägen Trumps angesehen», vertraute ein Mitarbeiter der Zeitung «Le Monde» an.

Besonders eng ist das Verhältnis zu Deutschland. Seine erste Auslandsreise führte ihn nach Berlin, zu Kanzlerin Angela Merkel. «Dass die deutsch-französische Achse mit Macron und der Bundeskanzlerin gut funktioniert, da habe ich keinen Zweifel», resümiert die CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt.

Lange vor seiner Wahl sagte der frühere Wirtschaftsminister und Ex-Investmentbanker, sein Land brauche einen «jupiterhaften» Chef. Seit Amtsübernahme im Mai wird der frühere Jesuitenschüler aus dem nordfranzösischen Amiens deshalb in den Medien häufig «Jupiter» genannt. Der war im alten Rom Chef aller Götter.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.