Neuwahl in Katalonien

Foto: epa/Omer Messinger
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BARCELONA (dpa) - Beim Weihnachtsfest 2017 geht es für die Katalanen um mehr als Kerzenschein und fromme Lieder. Das Schicksal ihrer Region steht auf dem Spiel, wenn drei Tage vor Heiligabend die mit Spannung erwartete Neuwahl stattfindet. Ihr Ergebnis wird entweder die Rückkehr zur Normalität einleiten oder die Fortsetzung der Unabhängigkeitsbestrebungen in der nordostspanischen Region bedeuten. Sicher ist, dass es sich um eine ungewöhnliche, ja in Europa einzigartige Wahl handelt - denn einige Kandidaten sitzen unter dem Vorwurf der Rebellion in Untersuchungshaft oder harren, wie Ex-Regionalchef Carles Puigdemont, im «Exil» in Brüssel aus.

Die Frage ist: Können die separatistischen Parteien erneut eine Mehrheit erringen, wodurch der Machtkampf mit der Zentralregierung in Madrid vermutlich unvermindert weiterginge? Oder strömt die so genannte «schweigende Mehrheit», die für ein Verbleiben Kataloniens in Spanien ist, dieses Mal massenhaft an die Urnen? Die Zeitung «La Vanguardia» prophezeite zuletzt eine Wahlbeteiligung von mehr als 80 Prozent. Insgesamt sind 5,5 Millionen Katalanen wahlberechtigt.

Seit Wochen veröffentlichen spanische Medien Umfragen, die zeigen, wie gespalten die Region ist. Demnach wird es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen beider politischen Lager kommen. Ob eine Koalition auf die für eine absolute Mehrheit nötigen 68 Sitze kommt, ist derzeit mehr als fraglich - aber wahrscheinlicher ist dies trotz allen Ärgers für die Separatisten als für ihre Gegner.

Ein Rückblick auf den «heißen Herbst» in Spanien: Am 1. Oktober lässt Puigdemonts Regionalregierung trotz eines Justizverbots ein Referendum über die Loslösung Kataloniens von Spanien durchführen. Rund 90 Prozent der Wähler sprechen sich dafür aus - bei einer Wahlbeteiligung von gerade einmal 42 Prozent. Wenige Wochen später verabschiedet das Parlament in Barcelona einen Unabhängigkeitsbeschluss.

Die spanische Regierung unter Mariano Rajoy reagiert mit aller Härte und entmachtet die Regionalregierung. Seither hat sie selbst die Kontrolle in der aufmüpfigen Region. Der Verfassungsartikel 155 erlaubt dies, allerdings war er bisher noch nie angewendet worden. Gleichzeitig ruft Rajoy eine rasche Neuwahl für den 21. Dezember aus. Viele Beobachter werten dies als cleveren Schachzug des Ministerpräsidenten, um Kritikern der Machtübernahme den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Lage schnell zu normalisieren.

Aber die Schäden der Krise sind bereits unübersehbar. Rund 2500 Firmen haben ihren Sitz aus Katalonien wegverlegt, alle großen Banken sind abgewandert. Und auch die Touristenzahlen gehen laut Statistiken zurück. «Es wird lange dauern, bis die wirtschaftlichen Schäden, die durch das Unabhängigkeitsprojekt verursacht werden, überhaupt quantifiziert werden können», so die Zeitung «El País».

Keine gute Ausgangsposition für die «Independentistas» (Unabhängigkeitsparteien), denen langsam die Argumente ausgehen, die aber trotzdem gebetsmühlenartig weiter auf eine Abspaltung pochen. Sie würden weiter «falsche Versprechungen» machen, um die Tatsache zu verstecken, dass ihre Abspaltungspläne grandios gescheitert seien, kommentierte «El País». Tatsächlich sind sich die Separatisten kurz vor der Wahl weniger einig als man vermuten mag.

So schaffte es Puigdemont nicht einmal, von Brüssel aus eine überparteiliche Liste aufzustellen. Er geht mit einer Gruppe von Kandidaten unter dem Namen JxCat (Gemeinsam für Katalonien) ins Rennen. Kehrt er nach Spanien zurück, droht ihm die Festnahme. Genau wie seine Mitstreiter riskiert er wegen Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Mittel eine lange Haftstrafe. Der 54-Jährige hofft auf eine massive Wahlbeteiligung seiner Anhänger und versprach: «Ich werde das Risiko einer Verhaftung eingehen, um als Präsident eingesetzt zu werden.»

Aber würde er denn als gewählter Abgeordneter keine Immunität genießen? Der in Barcelona ansässige Jurist Carlos Wienberg erklärt: «Solange Puigdemont nicht den Abgeordneteneid leistet, wozu bisher immer das Erscheinen im Parlament erforderlich gewesen ist, genießt er keine Immunität und kann auf der Fahrt zum Parlament festgenommen werden.» Eine Festnahme ließe sich aber selbst dann noch juristisch rechtfertigen, wenn es Puigdemont gelingen sollte den Amtseid zu leisten und so die Abgeordneteneigenschaft zu erlangen - dann nämlich, wenn sein Handeln als «delito flagrante» (auf frischer Tat ertappt) qualifiziert werde, so der Experte.

Der frühere linksnationalistische Partner Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) tritt dieses Mal alleine an. Die Partei wollte das Bündnis mit Puigdemont nicht weiterführen. Umfragen zufolge liegt sie sogar deutlich vorne - und das, obwohl ERC-Spitzenkandidat Oriol Junqueras seit Wochen im Gefängnis sitzt. Dritte im Bunde wäre wohl wieder die von vielen ungeliebte linksradikale CUP, die den Separatisten nach der letzten Wahl 2015 zu einer Mehrheit im Parlament verholfen hatte.

Hoffnungsträgerin der Gegner der Unabhängigkeit ist die katalanische Ciudadanos-Partei unter Inés Arrimadas (36). Die liberale Bürgerpartei könnte zweitstärkste Kraft im neuen Parlament werden. Aber selbst wenn sich Arrimadas mit der konservativen Volkspartei (PP) und den Sozialisten (PSC) auf eine Koalition einigt, ist es unwahrscheinlich, dass die «Constitucionalistas» (Verfassungsparteien) auf eine absolute Mehrheit kommen.

Die Rückkehr zur politischen Normalität könnte somit lange dauern. Jurist Wienberg sagt: «Wenn das Ergebnis Koalitionsverhandlungen erforderlich macht, womit zu rechnen ist, kann sich die Regierungsbildung noch bis zu fünf Monate hinziehen.» Scheitert sie hingegen gänzlich, müsste es wieder eine Neuwahl geben. In all dieser Zeit bliebe der Artikel 155 weiter in Kraft.

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