Neulich, am Strand: Lotterie

Neulich, am Strand: Lotterie

Vor zwei, drei Tagen: Ich sitze am Strand auf dem Promenadenmäuerchen und genieße den Tag. Da wird die Glückseligkeit jäh unterbrochen.

Eine mächtig angetrunkene Thai steht in ihrer schmuddeligen Aufmachung vor mir. Ihre Saufkumpanen sind derweil im Schatten unter dem nächsten Baum liegengeblieben. Ohne Umschweife kommt sie gleich zur Sache: Ob ich ihr ein Bier zahle, will sie wissen. Genauso klar, kurz und unmissverständlich meine Antwort: „No!“

Sie setzt sich trotzdem neben mich. Sie möge die Farangs eigentlich nicht, beginnt sie. Zugleich fängt sie an, den Dreck unter ihren Fingernägeln mit einem getrockneten Blattstiel herauszukratzen. Die herausge­pulte Paste streicht sie direkt neben mir an der Mauer ab. „Das reicht jetzt. Du kannst gehen“, wimmle ich sie ab. Völlig überrascht springt sie auf. Dass sich ein Farang erdreistet, auf dieselbe Weise einer Thai zurückzugeben, erbost die angesäuselte Dame. Eine Kaskade von Nettigkeiten folgt, unterbrochen von meinen zustimmenden Gesten. „Du Sch...Farang hast genug Geld, Du könntest leicht ein Bier bezahlen. Aber du Sch...Farang willst ja nicht.“ Sie baut sich vor mir auf, stemmt die Hände in die Hüfte, Ellenbogen raus. Wie ein Kommandant vor seinen Rekruten. Was ist denn nun, zahlst du jetzt mir ein Bier, soll die Vorstellung bedeuten, während sie weiter über mich „sch....Farang“ usw. lästert.

Der lautstarke Monolog der beschwipsten Thai hat eine weitere, ältere Obdachlose auf den Plan gerufen. Sie stellt sich vor mich hin und lässt in Lautstärke und Tonart keine Zweifel aufkommen, was sie von der anderen hält. Diese zieht ab und geht wieder zu ihrer Gruppe. Die zweite setzt sich nun neben mich, mitten in den gepulten Fingernageldreck der anderen. Ausschweifend entschuldigt sie sich für die Betrunkene.

„Lottelie, Lottelie!“

Da erscheint eine Lotterielosverkäuferin. Ich winke sie herbei. Offensichtlich erfreut, endlich einen Kunden gefunden zu haben, öffnet sie ihre Holzbox mit den Losen. Ich beginne die Nummern zu begutachten. Die Losverkäuferin macht ihre Empfehlungen. Deutet mal auf das eine oder andere Los. Nicht eins oder zwei Lose solle ich kaufen. Nein. Wenn ich gleich zehn oder mehr kaufe, hätte ich auch viel mehr Glück, sicher! „Geschäftstüchtig die Dame“, denke ich. Obwohl es eigentlich egal ist, welches der Lose ich nun nehme, mache ich den Hokuspokus um das He­rausfinden des richtigen Loses mit. Ich zupfe mal hier, mal da an einem Los. Vergleiche die Nummern und versuche den Eindruck zu vermitteln, ich könne die richtige Zahl errechnen.

Ein todsicherer Lottotipp

Meine Thailady neben mir mischt sich unverhohlen in das Geschehen ein, schaut in den Kasten mit den Losen und zeigt auf eines. Dieses muss es sein. Beschwörend schaut sie mich an. „Aber all die anderen?“, frage ich. Mit tiefem Blick und fast religiös anmutende Formeln murmelnd, deutet sie mir auf dieses Los. Nur dieses soll ich kaufen. Nun gut. Ich kaufe das Los. Beide Damen strahlen über ihre Gesichter. Da tippt mich die empfehlende Dame an und vermittelt mir mit dem Victoryzeichen, ich solle zweimal dasselbe Los kaufen. Na, klar. Auch ich, Dussel, verstehe den Deal: Was soll denn der Farang mit zwei gleichen Lose? Aber bei zwei Leuten mit dem gleichen Los, da können beide gewinnen. Thailogik! Ich kaufe also das zweite mit derselben Nummer. Die Losverkäuferin ist überglücklich. Nur so zum Schein tue ich so, als ob ich nun beide Lose in meine Tasche stecken wolle und schaue dabei die beratende Platzherrin an. Ein Erschrecken ist in ihr Gesicht geschrieben. „Nein, der will doch nicht etwa beide Lose einstecken?“, sieht man, was in ihr vorgeht. Doch zum Gaudi aller, gebe ich ihr dann doch noch das zweite Los. Mit einem überschwänglichen Wei mit dem Los in den Händen bedankt sie sich bei mir, und mit dem obligatem am Herzreiben des Loses, verstaut sie es in ihrer Hosentasche. So habe ich mich wenigstens bei ihr für ihre Hilfe von eben revanchieren können. Unter dem Strich hätte ich zwar billiger ein Bier zahlen können. Das Los ist teurer, als ein Bier. Aber dafür habe ich jetzt eine neue Thaifreundin.

Mein damaliges Tagesfazit: Eine Attacke auf meine Kohle abgewehrt, dafür aber eine andere eingesteckt, diese aber wenigstens auf eine sympathische Weise. Eine Thai verärgert, eine als Freundin gewonnen. Nicht schlecht.

Heute, am Tag nach der Ziehung der Lottozahlen, hocke ich nun wieder auf demselben Mäuerchen. Leider sei aus dem Jackpot nichts geworden, wende ich mich zu der Lady mit demselben Los. Doch die gibt ihrer Verärgerung deutlich Ausdruck. Ausgiebig palavert sie in klarstem und somit für mich nichtverständlichem Thai, dass es wohl doch besser gewesen wäre, wenn ich ihr mit dem Geld für das Los eine Flasche Bier gekauft hätte. Mit einer zackigen Armbewegung deutet sie mich an, ich solle ihr ein Bier auf dem Markt gegenüber holen gehen.

Es sei ja schließlich ihre Wahl gewesen, die Losnummer. Zudem habe auch ich den Einsatz verloren, haben wir doch dieselbe Nummer gespielt. Eigentlich sollte ich mich bei ihr beschweren. Ist doch ihr „todsicherer“ Lottotipp gründlich in die Hose gegangen. Kein Wort davon, dass ich die Lose finanziert habe.

Sie erkennt, dass nichts mehr zu holen ist. So steht die gescheiterte Wahrsagerin auf, nicht ohne weiteres Fluchen über die „Sch...Farangs“. So schnell ist die Thailiebe vorbei. Jetzt bin ich auch noch schuld, dass die falschen Lottozahlen gezogen wurden. Na, danke. Ich werde mein kürzliches Fazit revidieren müssen. Eigentlich hätte ich es ja wissen müssen, Jackass!

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