KOH SAMUI: Wären Nico und Anna aus Heidelberg heute noch am Leben, wenn: Sich ein russischer Urlauber an das Tempolimit gehalten hätte? Sie nicht abends um 21 Uhr bei schlechter Witterung noch mit ihrem Motorroller unterwegs gewesen wären? Wenn Thailand und Koh Samui allgemein erkennbare Maßnahmen gegen den Blutzoll auf den Straßen ergreifen würden? Vermutlich ja, die beiden Studenten wären wohlbehalten in ihrer Heimat und nicht in Särgen von Koh Samui nach Frankfurt überführt worden.
Am 20. August ereignete sich auf der Ringstraße vor Hua Thanon, direkt unterhalb des Provinzgerichtes Koh Samui, ein Unfall, dessen Horror und Tragödie so weit reichen, dass wir tiefer in die Aufklärung vorgedrungen sind als es in der Tagesberichterstattung üblich ist. Wenn ein junges Urlauberpaar aus dem Raum Heidelberg tot auf der Straße einer Ferieninsel liegt, zwei blühende Leben binnen Sekunden ausgelöscht, geht das auch an leiderprobten Beobachtern nicht spurlos vorbei.
Nach widersprüchlichen Verlautbarungen des Unfallhergangs und unrichtigen Schlussfolgerungen in sozialen Netzwerken sahen wir uns in der Pflicht, in mehrtägiger Recherche herauszufinden, weshalb Nico und Anna sterben mussten. Die Touristenpolizei und die Sachbearbeiter der Polizeistation in Nathon leisteten ganze Arbeit und kamen nach mehrfacher Unfallortbesichtigung und Einvernahme eines halben Dutzend Zeugen zu einem objektiv klingenden Ergebnis.
Polizei: Russe fuhr viel zu schnell
Der mutmaßliche russische Unfallfahrer (46) eines weißen Chevrolet Pickup sitzt seit der tödlichen Nacht im Gefängnis. Er soll, so sagen es zuvor von ihm überholte Verkehrsteilnehmer, mit weit überhöhter Geschwindigkeit von Lamai Richtung Nathon unterwegs gewesen sein. Ein bei ihm durchgeführter Alkoholtest ergab keinen hohen Promillewert, aber doch eine leichte Trunkenheit – in Thailand gelten im Straßenverkehr 0,0 Promille.
Der aus Weinheim stammende Nico, als Fahrer eines gemieteten Motorrollers Honda Click, war mit seiner Freundin Anna gegen 21 Uhr in Richtung des Badeortes Lamai unterwegs gewesen. Beide trugen Sturzhelme und es war nicht zu ermitteln, weshalb sie zu so später Stunde noch den weiten Weg zu ihrem Hotel in Maenam vor sich hatten. Ein kurz zuvor von Nico passierter Thai-Motorradfahrer (24) sah trotz leichten Nieselregens und der dunklen Nacht, wie sich der tödliche Unfall ereignete. Er sah noch, wie Nico an einem langsam vor ihm fahrenden alten Pickup eines weiteren Thailänders vorbei wollte –danach ging alles rasend und tödlich schnell.
Der russische Urlauber, der seinen Leihwagen rasant über die Ringstraße gesteuert haben muss, hielt sich in der klar ausgeschilderten 45 km/h-Zone nicht ans Tempolimit, obwohl sich dort eine langgezogene unübersichtliche Kurve befindet. Kalkulationen der Unfallermittler ergaben, dass er mindestens mit 100 und möglicherweise bis zu 130 km/h unterwegs war.
Die beiden Deutschen waren sofort tot
Für Nico, der sich zu diesem Zeitpunkt und laut Angaben zweier Zeugen auf halber Höhe beim Überholvorgang bewegte und in der Straßenmitte, muss das plötzlich aus der Dunkelheit aufgetauchte Fahrzeug ein Schock gewesen sein. Er bremste panisch ab und die Honda Click rutschte weg. Er und Anna fielen auf die Straße und wurden Sekundenbruchteile später von dem Auto erfasst und mindestens 30 Meter mitgeschleift. Ihr Motorrad wies trotz des furchtbaren Unfalles kaum Schäden auf. Laut Unfallermittlern ist es von dem Chevrolet nur touchiert und weggestoßen worden.
Die Studenten aus Heidelberg müssen sofort tot gewesen sein, sie hatten keine Überlebenschance. Der Helm von Anna war noch auf ihrem Kopf und eingedrückt. Die herbeigeeilten Rettungssanitäter konnten nichts mehr tun. Der russische Autofahrer blieb unverletzt und wurde auf die Station der Touristenpolizei in Bophut mitgenommen und frühmorgens ins Provinzgefängnis überstellt. Dort sitzt er bis heute ein und beteuert seine Unschuld.
Weil in diesem Fall – und das ist nicht bei jedem tödlichen Verkehrsunfall selbstverständlich – alle Polizeikräfte an einem Strang zogen, ging das Ermittlungsresultat weit über einen Polizeirapport in Kurzform hinaus. Mehrere Seiten umfasst die Akte und die Polizeiexperten kamen zu einem Schluss: Ein Teilverschulden des jungen Todesopfers Nico läge vor, weil er trotz durchgezogener Linie und in Dunkelheit und bei nasser Straße einen Überholvorgang gestartet habe. In ihrer Gesamtbeurteilung sehen sie den russischen Touristen als Hauptverantwortlichen.
Unfallfahrer sitzt seit 20. August im Gefängnis
Der 46 jährige, der den Chevrolet Pickup bei einer Thailänderin privat angemietet hatte, ist bis heute nicht auf Kaution freigelassen worden, da die Polizei ebenso Fluchtgefahr attestierte wie der Ermittlungsrichter. Der Russe war zudem zum Zeitpunkt des tödlichen Unfalls zwei Tage illegal im Land gewesen: Overstay. Das, die Alkoholisierung und insbesondere die Geschwindigkeitsüberschreitung könnten ihm mehrere Jahre Haft auf Koh Samui eintragen. Zweifache fahrlässige Tötung, in besonders schwerem Fall, wird auch in Thailand hart bestraft, wenn sie vor einem Gericht verhandelt wird.
Ein deutscher Volontär bei der Touristenpolizei, der in die Ermittlung involviert war und mit unserer Redaktion den Unfallort und beide am Unfall beteiligten Fahrzeuge inspiziert hatte, sprach von einem beachtlichen Ergebnis einer akribischen Polizeiuntersuchung. „Ich habe die Bilder vom Tatort gesehen“, sagte er. „Solche Fotos vergisst man nie wieder.“ Eine lückenlose Aufklärung sei man den Toten und ihren Angehörigen und Freunden in Deutschland schuldig gewesen.
Das Sterben auf Thailands Straßen, in weltweiten Unfallstatistiken als Nummer 2 eingestuft, geht weiter. Bei Hua Thanon war nur wenige Meter vom Unfallort der beiden Deutschen entfernt ein Thailänder (23) einen Tag zuvor bei einem Zusammenstoß seines Mopeds mit einem Auto getötet worden. Einen Tag nach Nico und Anna starb ein französischer Langzeiturlauber auf seinem schweren Motorrad in Chaweng, als er sich zu früher Morgenstunde vor dem Kreisverkehr am CentralFestival überschlug.
Gestern Abend in Maenam: Wieder tödlicher Unfall
Und gestern, um 20.30 Uhr, hörten Restaurantgaeste am Bamboo Park Maenam einen lauten Knall. Ein plötzlich wendender Pickupfahrer hatte einen Pizzakurier auf seinem Motorroller übersehen. Die Ehefrau des Mannes und seine Tochter wurden verständigt und sahen 20 Minuten später den sterbenden Vater im Straßengraben liegen. Es waren erschütternde Szenen. Wieder einmal.
Anwohner hatten vergeblich versucht ihm zu helfen. Dass sie ihm zur Kühlung hilflos Luft zu fächelten, war dem tödlich verletzten Zweiradfahrer nicht mehr bewusst gewesen. Der Rettungswagen fuhr gleich weiter ins Staatliche Krankenhaus Nathon. Dort werden alle Toten auf Koh Samui vorübergehend eingelagert, bis die behördliche Freigabe erfolgt.