Nachgeschichte eines doppelten Unfalltodes

Nico (26) und Anna (24) starben, weil vieles auf einmal falsch lief

Das nur leicht beschädigte Kleinmotorrad der getöteten Heidelberger. Nico und Anna wurden von einem weißen Chevrolet überfahren und mitgeschleift – sie waren laut Ermittlern beide sofort tot. Fotos: Samui Rescue
Das nur leicht beschädigte Kleinmotorrad der getöteten Heidelberger. Nico und Anna wurden von einem weißen Chevrolet überfahren und mitgeschleift – sie waren laut Ermittlern beide sofort tot. Fotos: Samui Rescue

KOH SAMUI: Wären Nico und Anna aus Heidelberg heute noch am Leben, wenn: Sich ein russischer Urlauber an das Tempolimit gehalten hätte? Sie nicht abends um 21 Uhr bei schlechter Witterung noch mit ihrem Motorroller unterwegs gewesen wären? Wenn Thailand und Koh Samui allgemein erkennbare Maßnahmen gegen den Blutzoll auf den Straßen ergreifen würden? Vermutlich ja, die beiden Studenten wären wohlbehalten in ihrer Heimat und nicht in Särgen von Koh Samui nach Frankfurt überführt worden.

Am 20. August ereignete sich auf der Ringstraße vor Hua Thanon, direkt unterhalb des Provinzgerichtes Koh Samui, ein Unfall, dessen Horror und Tragödie so weit reichen, dass wir tiefer in die Aufklärung vorgedrungen sind als es in der Tagesberichterstattung üblich ist. Wenn ein junges Urlauberpaar aus dem Raum Heidelberg tot auf der Straße einer Ferieninsel liegt, zwei blühende Leben binnen Sekunden ausgelöscht, geht das auch an leiderprobten Beobachtern nicht spurlos vorbei.

Nach widersprüchlichen Verlautbarungen des Unfallhergangs und unrichtigen Schlussfolgerungen in sozialen Netzwerken sahen wir uns in der Pflicht, in mehrtägiger Recherche herauszufinden, weshalb Nico und Anna sterben mussten. Die Touristenpolizei und die Sachbearbeiter der Polizeistation in Nathon leisteten ganze Arbeit und kamen nach mehrfacher Unfallortbesichtigung und Einvernahme eines halben Dutzend Zeugen zu einem objektiv klingenden Ergebnis.

Polizei: Russe fuhr viel zu schnell

Der mutmaßliche russische Unfallfahrer (46) eines weißen Chevrolet Pickup sitzt seit der tödlichen Nacht im Gefängnis. Er soll, so sagen es zuvor von ihm überholte Verkehrsteilnehmer, mit weit überhöhter Geschwindigkeit von Lamai Richtung Nathon unterwegs gewesen sein. Ein bei ihm durchgeführter Alkoholtest ergab keinen hohen Promillewert, aber doch eine leichte Trunkenheit – in Thailand gelten im Straßenverkehr 0,0 Promille.

Der aus Weinheim stammende Nico, als Fahrer eines gemieteten Motorrollers Honda Click, war mit seiner Freundin Anna gegen 21 Uhr in Richtung des Badeortes Lamai unterwegs gewesen. Beide trugen Sturzhelme und es war nicht zu ermitteln, weshalb sie zu so später Stunde noch den weiten Weg zu ihrem Hotel in Maenam vor sich hatten. Ein kurz zuvor von Nico passierter Thai-Motorradfahrer (24) sah trotz leichten Nieselregens und der dunklen Nacht, wie sich der tödliche Unfall ereignete. Er sah noch, wie Nico an einem langsam vor ihm fahrenden alten Pickup eines weiteren Thailänders vorbei wollte –danach ging alles rasend und tödlich schnell.

Der russische Urlauber, der seinen Leihwagen rasant über die Ringstraße gesteuert haben muss, hielt sich in der klar ausgeschilderten 45 km/h-Zone nicht ans Tempolimit, obwohl sich dort eine langgezogene unübersichtliche Kurve befindet. Kalkulationen der Unfallermittler ergaben, dass er mindestens mit 100 und möglicherweise bis zu 130 km/h unterwegs war.

Die beiden Deutschen waren sofort tot

Für Nico, der sich zu diesem Zeitpunkt und laut Angaben zweier Zeugen auf halber Höhe beim Überholvorgang bewegte und in der Straßenmitte, muss das plötzlich aus der Dunkelheit aufgetauchte Fahrzeug ein Schock gewesen sein. Er bremste panisch ab und die Honda Click rutschte weg. Er und Anna fielen auf die Straße und wurden Sekundenbruchteile später von dem Auto erfasst und mindestens 30 Meter mitgeschleift. Ihr Motorrad wies trotz des furchtbaren Unfalles kaum Schäden auf. Laut Unfallermittlern ist es von dem Chevrolet nur touchiert und weggestoßen worden.

Die Studenten aus Heidelberg müssen sofort tot gewesen sein, sie hatten keine Überlebenschance. Der Helm von Anna war noch auf ihrem Kopf und eingedrückt. Die herbeigeeilten Rettungssanitäter konnten nichts mehr tun. Der russische Autofahrer blieb unverletzt und wurde auf die Station der Touristenpolizei in Bophut mitgenommen und frühmorgens ins Provinzgefängnis überstellt. Dort sitzt er bis heute ein und beteuert seine Unschuld.

Weil in diesem Fall – und das ist nicht bei jedem tödlichen Verkehrsunfall selbstverständlich – alle Polizeikräfte an einem Strang zogen, ging das Ermittlungsresultat weit über einen Polizeirapport in Kurzform hinaus. Mehrere Seiten umfasst die Akte und die Polizeiexperten kamen zu einem Schluss: Ein Teilverschulden des jungen Todesopfers Nico läge vor, weil er trotz durchgezogener Linie und in Dunkelheit und bei nasser Straße einen Überholvorgang gestartet habe. In ihrer Gesamtbeurteilung sehen sie den russischen Touristen als Hauptverantwortlichen.

Unfallfahrer sitzt seit 20. August im Gefängnis

Der 46 jährige, der den Chevrolet Pickup bei einer Thailänderin privat angemietet hatte, ist bis heute nicht auf Kaution freigelassen worden, da die Polizei ebenso Fluchtgefahr attestierte wie der Ermittlungsrichter. Der Russe war zudem zum Zeitpunkt des tödlichen Unfalls zwei Tage illegal im Land gewesen: Overstay. Das, die Alkoholisierung und insbesondere die Geschwindigkeitsüberschreitung könnten ihm mehrere Jahre Haft auf Koh Samui eintragen. Zweifache fahrlässige Tötung, in besonders schwerem Fall, wird auch in Thailand hart bestraft, wenn sie vor einem Gericht verhandelt wird.

Ein deutscher Volontär bei der Touristenpolizei, der in die Ermittlung involviert war und mit unserer Redaktion den Unfallort und beide am Unfall beteiligten Fahrzeuge inspiziert hatte, sprach von einem beachtlichen Ergebnis einer akribischen Polizeiuntersuchung. „Ich habe die Bilder vom Tatort gesehen“, sagte er. „Solche Fotos vergisst man nie wieder.“ Eine lückenlose Aufklärung sei man den Toten und ihren Angehörigen und Freunden in Deutschland schuldig gewesen.

Das Sterben auf Thailands Straßen, in weltweiten Unfallstatistiken als Nummer 2 eingestuft, geht weiter. Bei Hua Thanon war nur wenige Meter vom Unfallort der beiden Deutschen entfernt ein Thailänder (23) einen Tag zuvor bei einem Zusammenstoß seines Mopeds mit einem Auto getötet worden. Einen Tag nach Nico und Anna starb ein französischer Langzeiturlauber auf seinem schweren Motorrad in Chaweng, als er sich zu früher Morgenstunde vor dem Kreisverkehr am CentralFestival überschlug.

Gestern Abend in Maenam: Wieder tödlicher Unfall

Und gestern, um 20.30 Uhr, hörten Restaurantgaeste am Bamboo Park Maenam einen lauten Knall. Ein plötzlich wendender Pickupfahrer hatte einen Pizzakurier auf seinem Motorroller übersehen. Die Ehefrau des Mannes und seine Tochter wurden verständigt und sahen 20 Minuten später den sterbenden Vater im Straßengraben liegen. Es waren erschütternde Szenen. Wieder einmal.

Anwohner hatten vergeblich versucht ihm zu helfen. Dass sie ihm zur Kühlung hilflos Luft zu fächelten, war dem tödlich verletzten Zweiradfahrer nicht mehr bewusst gewesen. Der Rettungswagen fuhr gleich weiter ins Staatliche Krankenhaus Nathon. Dort werden alle Toten auf Koh Samui vorübergehend eingelagert, bis die behördliche Freigabe erfolgt.

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Jürgen Franke 03.09.17 22:32
Herr Wenz, diese Kommunikation
per Lichthupe bzw, Blinker ist übrigens in vielen Ländern nicht ungewöhnlich sondern teilweise auch üblich und sollte viel mehr im täglichen Verkehr auch hier angewandt werden.
Sitting Bull 01.09.17 16:37
@Swisshai
Absolut Ihrer Meinung. 13 Jahre Samuiverkehr ohne einen Kratzer ueberstanden. Wie? ALLE hatten IMMER Vorfahrt und ich ging hochkonzentriert und niemals auch nur angetrunken zugange. Nachtfahrten fanden kaum statt, und wenn dann sehr langsam und vorsichtig. Schon das Nichtverstehen der ungeschriebenen Thaiverkehrsregeln kann toedlich sein. Lichthupe bedeutet genau das GEGENTEIL wie in Europa. Wer das nicht weiss ist ruck zuck platt.
TheO Swisshai 01.09.17 15:45
Tatsachen
Es ist eine Tatsache, dass sich auf Samui die meisten Verkehrsteilnehmer nicht an die Verkehrsregeln halten. Das Tempolimit wird von praktisch niemandem eingehalten, was vermutlich auch mit der teils unsinnigen Beschilderung zu tun hat. Wer sich doch an das Tempolimit hält, wird auf kriminelle Weise gleichzeitig links und rechts überholt. Ausgezogene Sicherheitslinien halten dabei niemanden vom Überholen ab und sogar Gegenverkehr stellt kein wirkliches Hindernis dar. Mit eingeschaltetem Scheinwerferlicht wird dem entgegenkommenden Fahrzeug kurzerhand mitgeteilt, dass die zweispurige Strasse eigentlich auch breit genug für 3 Fahrzeuge ist. Ob Tag oder Nacht, spielt keine Rolle. Bei Dunkelheit kommt aber noch dazu, dass bei der Hälfte der Motorräder, mindestens 1 der 2 Lichter nicht funktioniert, was allerdings nichts an deren Fahrverhalten ändert. Das Motorrad fährt ja schließlich genau gleich schnell, ob mit oder ohne Licht. Um ein Motorrad zu steuern ist auch kein Führerschein nötig, lediglich die Beine müssen lange genug sein, damit das Motorrad beim Anhalten nicht umkippt. Ist diese Bedingung erfüllt, können gleich bis zu 5 Geschwister mitgeführt werden, Babys nicht mitgerechnet. Wenn zu dieser brandgefährlichen Verkehrssituation auch noch die nichtsahnenden, fahrerisch ungeübten Touristen dazukommen, hat das unausweichlich, tödliche Folgen. Wer dann im Dunkeln, bei einer ausgezogenen Sicherheitslinie und mit seiner Partnerin auf dem Rücksitz überholt, hat nicht Alle!
Sitting Bull 01.09.17 14:11
Nun mal ganz locker , Herr Gruber.
Die "3 fache" erlaubte Geschwindigkeit behaupten SIE aufgrund VERMUTUNGEN der Polizei. DIE spricht von 100km/h VERMUTLICH VIELLEICHT 130. Klar scheint das nicht zu sein. Meine Frage : WO ist das Begrenzungsschild und konnte man das zum Unfallzeitpunkt ueberhaupt segen? FAKT ist offenbar: Der Motorradfahrer hat bei offenbar miserablen Strassenbedingungen(Regen, Dunkelheit) TROTZ klarem Ueberholverbot ueberholt zudem in einer Kurve UND ist ohne Fremdverschulden !! gestuerzt! WER glauben Sie traege in D da die Hauptschuld? Der Unfallgegner war klar zu schnell, war aber und blieb offenbar auf seiner Strassenseite . Im Gegensatz zu dem Motorradfahrer. Ja, der Ausgang ist traurig aber auf Samui seit Jahren leider fast normal.
P.S. Ich bin die Strecke selbst jahrelang gefahren und 70 km/h an dieser Stelle ohne jedes Sicherheitsproblem. Ein Schild 45km/h habe ich da nie wargenommen.
Jürgen Franke 31.08.17 15:55
Jeder hat nun die Möglichkeit den Fall aus
seiner Sichtweise neu zu bewerten. Ich nehme lediglich einen Satz aus dem Bericht von Sam Gruber heraus, der mich persönlich sehr stutzig machte: "...es war nicht zu ermitteln, weshalb sie zu so später Stunde den weiten Weg zum Hotel..." Fakt ist, da sind zwei junge Menschen bei regnerischem Wetter in einem fremden Land ziemlich zügig unterwegs, um zurück ins Hotel zu kommen, mit einem Gefährt, mit dem sie, das unterstelle ich mal, sicherlich nicht in Deutschland fahren. Es mußte unbedingt noch ein Fahrzeug überholt werden, um schneller ins Hotel zu kommen. Und dann ist es passiert. Eine Parteinahme kann ich nicht erkennen. Vielleicht war es falsch, seine Nationalität zu nennen.
Sitting Bull 31.08.17 12:40
Ich frage mich...
wie der Bericht ausgefallen waehre, waehre der Autofahrer Deutscher gewesen. So leid mir der Ausgang tut, aber anhand der Schilderung sehe ich, trotz ueberhoehter Geschwindigkeit(wie schnell war eigentlich das Mororrad?) keine besonderer Schuld des Autofahrers WENN die Motorradbesatzung ihm DIREKT vors Auto fiehl.
Sitting Bull 31.08.17 11:15
Nun ja.....
Angesprochen wurde nicht das Thempo des Motorrads nachts im Nieselregen. Klar ist dass den Russen wohl wegen ueberhoehter Geschwindigkeit eine Mitschuld trifft, aber wer im Regen bei schlechter Sicht in unbekanntem Terrain nachts bei durchgezogener Linie im Gegenverkehr ueberholt , dem kann man sicher nicht nur eine kleine Teilschuld anlasten. Dazu duerften sich noch mangelnde oder gar keine Fahrkentnisse (hatte der Deutsche einen Motorradfuehrerschein? Warum wird das nicht erwaehnt?) gesellt haben. WER bitte haelt sich auf Samui an Geschwindigkeitsbegrenzungen? Mal ehrlich....SIE Herr Gruber? Hier kam so ziemlich alles zusammen was auf Samui im Argen liegt verkehrstechnisch. Ich sehe die Schuld bei beiden Fahrern, zumal dem Russen die Opfer praktisch vors Auto fiehlen. Haette der Motorradfahrer sich an das Ueberholverbot gehalten, waehre das wohl nicht passiert. So kann man auch agumentieren. Man sollte achon objektiv bleiben. Hier seh ich klare Parteinahme.
Jürgen Franke 31.08.17 11:11
Herr Wenz, ich gehe mal davon aus, dass Sie
sicherlich Verständnis dafür haben, dass ich auf Ihre Zeilen und den darin gemachten Unterstellungen nicht weiter eingehe, da es mir lediglich möglich ist, emotionslos und sachlich zu diskutieren. Der letzte Satz in Frageform Ihres Kommentars ist geradezu widerlich.
Jürgen Franke 30.08.17 14:03
Sehr geehrter Sam Gruber, vielen herzlichen Dank
erst einmal für Ihre Bemühungen, die Einzelheiten dieses schrecklichen Unfalles zu ermitteln und anschließend das Ergebnis in einem so super ausführlichen Bericht zusammenzufassen. Jetzt sind zu mindestens die Einzelheiten bekannt, wie es zu diesem tragischen Unfall gekommen ist. Unser Beileid gilt den Angehörigen. Wir bleiben traurig zurück und können lediglich hoffen, dass Lehren, bei den für Verkehr verantwortlichen und den Verkehrsteilnehmern, daraus gezogen werden.