Macrons Partei ringt um Identität

Foto: epa/ Friedemann Vogel
Foto: epa/ Friedemann Vogel

LYON (dpa) - Am Anfang stand der Anspruch, mit der «alten Welt» zu brechen. Die Dinge anders zu machen als die traditionellen Parteien, die in Frankreich für Viele ein Synonym verkrusteter Verhältnisse sind. Mit diesem Versprechen sind Emmanuel Macron und seine Bewegung La République En Marche an die Macht gestürmt. Doch wenige Monate später rumort es in der jungen Gruppierung: Die erwartete Kür des Macron-Vertrauten Christophe Castaner zum Parteichef an diesem Samstag wird vom Vorwurf mangelnder interner Demokratie überschattet.

Ein geschickt platzierter Brandbrief warf La République En Marche autokratische Strukturen vor. Und auch Gezerre um Abstimmungsregeln auf dem Parteitag in Lyon und konkurrierende Listen für die Besetzung des erweiterten Führungsgremiums der Partei sind Belege für ein gewisses Unbehagen.

«Was Macron bisher getan hat, ist ja geradezu eine Quadratur des Kreises», meint Frank Baasner, Leiter des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg. Auf der einen Seite das Versprechen einer Öffnung, auf der anderen Seite schlüpfte er nach der Wahl in die traditionelle Rolle eines starken Präsidenten, der dem Land ganz klar den Reform-Takt vorgibt. Dass das Manche frustriert, könne man verstehen, so Baasner. «Er muss versuchen, da einen stabilen Apparat hinter sich zu bringen, und das ist dann eben doch "alte Welt".»

Baasner sieht bei der Besetzung von Macrons Umfeld etwa einen Widerspruch zum Versprechen einer Öffnung: «So viele Abgeordnete im Parlament auch völlig neu sind mit ganz interessanten beruflichen Profilen, so viel sind die engeren Berater von Macron eben doch wieder alle Enarchen.» So werden die Absolventen der Elite-Verwaltungshochschule ENA genannt, die auch Macron besuchte.

Newcomer-Elan und Regierungszwänge - ein schwieriges Gleichgewicht. Für die heikle Mission hat Macron einen Parteichef auserkoren, der felsenfest hinter ihm steht. Castaner, Staatssekretär für die Beziehungen zum Parlament und bislang auch Regierungssprecher, wird in den Medien schon mal «der Mann des Präsidenten» genannt wird. Der 51-Jährige selbst hatte kürzlich in einem Interview sogar von einer «Liebesdimension» seiner Beziehung zu Macron gesprochen. Zugleich gilt der frühere Sozialist als beliebt in der Partei - er war beim En-Marche-Abenteuer von Anfang an dabei.

Vor dem Parteitag signalisierte er den Mitgliedern, dass er am Grundverständnis von La République En Marche festhalten will: «Wir werden die Parteipyramide umkehren, die Spitze wird der Basis zu Diensten sein, La République en Marche wird ständig in Bewegung sein», sagte er der Zeitung «Le Figaro».

Die erst im Frühjahr 2016 gegründete Gruppierung bezeichnet sich selbst weiterhin mit Vorliebe als Bewegung. Sie reklamiert 380.000 Mitglieder - doch nur ein Teil davon ist tatsächlich aktiv. Die Mitgliedschaft ist kostenlos, die im Sommer beschlossenen Statuten lassen den Ortskomitees große Freiheit. Zugleich sind die nationalen Gremien, vor allem der Parteitag, klar in der Hand der Funktionäre, insbesondere der Parlamentarier. Anders als etwa bei den konservativen französischen Republikanern können nicht alle Mitglieder in einer Urwahl über den neuen Parteichef abstimmen.

Baasner betont, es müsse jetzt Kanäle für die große Begeisterung der «Marcheurs» geben. «Wenn das von oben zubetoniert wird nach dem Motto "Wir wissen, wie es geht", dann wird das nicht funktionieren.» Er hält die Entwicklung bei La République En Marche für wichtig: Denn Macrons Legitimität komme nicht nur aus der Wahl, sondern auch «durch diesen Wind, den er entfacht hat». «Wenn das erlahmt, wäre glaube ich auch die Möglichkeit geringer, Reformen durchzusetzen.»

Nach Ansicht des Historikers Marc Lazar ist die große Bandbreite der Partei, die Macron bewusst jenseits klassischer Rechts-Links-Schemen positioniert hatte ein weiteres Problem. Sie müsse ihre Positionierung stärker definieren, sagte Lazar der Zeitung «Le Monde»: «Alles in allem auf die Frage antworten, was den ideologischen und kulturellen Zement des Macronismus ausmacht.»

Auf Castaner warten also große Herausforderungen. Frankreich-Experte Baasner sieht aber auch eine große Chance in dem Experiment der Macron-Partei: «Wenn das gelingt, könnte das auch für viele andere Länder ein Lehrbeispiel sein, wie man eben so eine Begeisterung, Partizipation und trotzdem stabile Institutionen hinkriegt.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Jürgen Franke 19.11.17 21:00
Es wäre zu hoffen, wenn Herrn Macron einiges
von dem gelingen könnte, was er angekündigt hat. Aber in erster Linie müssen die Reformen durchgesetzt werden, an dem seine Vorgänger bisher alle gescheitert sind. Doch es wird nach wie vor dagegen demonstriert.