HUA HIN: Vier Thailänder müssen sich heute vor dem Provinzgericht in Hua Hin wegen ihres aufsehenerregenden Gewaltausbruchs gegen eine britische Urlauberfamilie beim Sonkranfest am 13. April verantworten – ein ins Internet gestelltes Tatortvideo hatte zunächst in Thailand, dann in Großbritannien und schließlich weltweit das Ansehen des ganzen Landes beschädigt. Die Täter ermittelt, Thailands Polizei und Justiz entschlossen bei der Aufarbeitung: Alles wieder gut? Oder doch etwas faul im Urlaubsland mit dem angekratzten Image und einer Vielzahl weiterer Exzesse gegen Touristen?
Wenn heute Suphattha Baithong (32), Chaiya Jaiboon, 20, Siva Noksri, 20, und Yingyai Saengkhamin, 32, vor Gericht unter riesiger medialer Begleitung ihren Wai der Vergebung machen und ihren brutalen Auftritt im Zentrum von Hua Hin bedauern, wird der Druck der thailändischen Öffentlichkeit eine (ausnahmsweise) drakonische Strafe nach sich ziehen. Ein Videomitschnitt während der etwa zwei Minuten andauernden Gewaltorgie gegen Lewis Owen (68), seine 65 jährige Ehefrau Rosemary und ihren Sohn Lewis John (43) war zu eindeutig, vor allem die darin versteckte Botschaft, dass alkoholisierte thailändische Männer, wenn sie in einen Konflikt geraten, keine Rücksicht auf die Herkunft oder die Gesundheit nehmen.
Ein versehentlicher Rempler in der Menschenmenge des Sonkranfestes in Hua Hins Stadtmitte entfesselte den Streit, in dessen Folge die vier geständigen Thais die britischen Urlauber schlugen, in Kung-Fu-Manier niederstreckten und auf die am Boden liegenden Menschen eintraten, bis diese besinnungslos zurückblieben.
Ein Fall, wie er sich überall in hektischen Touristenhochburgen wie Pattaya, Phuket oder auf Koh Samui ereignet haben könnte, wenn Alkohol und ungezügeltes Temperament eine unfassbare Aggression auslösen. Und dennoch war dieses Mal einiges anders. Die Verletzten zu alt, harmlose Rentner und keine britischen Hooligans. Der Urlaubsort Hua Hin nicht dafür bekannt, dass dort Touristen durch Gewalt zu Schaden kommen.
Wäre, ja wäre diese Kamera nicht gewesen – und hätte nicht irgendjemand diese Videoaufzeichnung ‚abgesaugt‘ und ins soziale Netzwerk gestellt. Für jedermann zugänglich und nicht mehr aufzuhalten, wie eine Lawine, die talwärts rauscht. Plötzlich war der Schaden groß und grösser, grösser auf jeden Fall der Gesichtsverlust als die Wunden der zusammengeprügelten Briten.
Nur wenige verwunderte es, dass Thailands Polizeielite den Frevel der Netzwerkverbreitung ähnlich kriminell einstuft wie die Tat selbst. Fieberhaft wird nach denen gefahndet, die diesen Gewaltausbruch gegen Touristen öffentlich gemacht haben, als wären sie die wahren Täter und nicht die vier Thaimänner, denen im Rausch des Sonkranfestes alle Sicherungen durchbrannten.
Besonnene Kommentatoren in den sozialen Netzwerken und in seriösen Zeitungen wie der ‚Bangkok Post‘ sehen einen Zusammenhang zwischen dieser Diskrepanz in der Wahrnehmung und der Aufarbeitung. Auch wenn heute Tourismusbehörden und Polizei die Familie Owen zu ihrem Zeugenauftritt vor dem Gericht in Hua Hin begleiteten und fürsorglich betreuten, kritische Geister können sich eines Verdachtes nicht erwehren: Was wäre gewesen, wenn die Anzeige der drei Geschädigten bei einer normalen Polizeidienststelle eingegangen wäre, ohne diese Videoaufzeichnung und den Druck der Weltöffentlichkeit?
Die Frage muss nicht wirklich beantwortet werden. Nicht ohne Grund beklagen auch Thailänder das eigentliche Problem – und dieses liegt in einer schwachen Polizeipräsenz, der oft lustlosen Arbeit der Royal Thai Police und einer daraus resultierenden Sicherheitslücke für Touristen im Lande. Nach Einbruch der Dunkelheit sind viele Orte in Thailand rechtsfreie Zonen. Je später die Nacht desto höher das Risiko, an die Falschen zu geraten und Schaden an Leib und Leben zu nehmen.
Die personelle Besetzung der thailändischen Polizei ist nicht üppig und nur bei VIP-Besuchen imposant. Dann stehen urplötzlich Hunderte in Uniform an den Straßen, wenn wichtige Behörden- oder Würdenträger vorbeirauschen. In solchen Stunden zeigt sich die Struktur des Apparates – streng hierarchisch organisiert, bedingungslose Ergebenheit in der Bedeutung des Wortes und Repräsentanten eines Systems, an denen in diesem Land keiner zu kratzen wagt.
Muss Thailands Polizei neu strukturiert werden und besser ausgestattet, personell, finanziell und nachgerade in ihrer Arbeitsmoral? – Für Nichtthailänder verbietet sich die direkte Einmischung in Belange des Gastgeberlandes – auch das bleibt ein unausgesprochenes Gesetz. Schweigen, still halten um der Räson willen? Oder doch den Aufschrei wagen, wenn am Strand von Koh Tao zwei tote junge Rucksacktouristen liegen, wenn im Badeort Chaweng auf Koh Samui ein deutscher Barbesitzer (45) von jugendlichen Thais zusammengeprügelt und abgestochen wird, wenn rasende Bus- und Minibus-Transporteure Schwerstunfälle mit Touristen verursachen und wenn Veranstalter von Ausflugstouren ohne Einhaltung jeglicher Sicherheitsstandards ihre menschliche Fracht an die Schwelle des Jenseits tragen?
Wir haben an dieser Stelle häufig Appelle formuliert, die ein verbessertes System zum Schutz der Millionen von Touristen erwirken sollten, nach jedem großen Unfall oder einer Gewalttat gegen Urlauber spült es diese Forderung nach oben: Erkennbare Polizeipatrouillen, vor allem nachts in Touristenhochburgen, Kontrollen von Transportdiensten, die jährlich Millionen von Urlaubern der Lebensgefahr aussetzen, eine verstärkte Touristenpolizei mit englischsprachigen Mitarbeitern.
Alle Appelle, selbst in thailändischen Medien in thailändischer Sprache artikuliert, verpufften in derselben Regelmäßigkeit wie es wieder neue erschreckende Straftaten oder Unfälle gab. Das Leben dreht sich weiter, schneller als in westlichen Kulturen, in denen der Verlust eines Menschen das Schwerwiegendste ist. Vor dieser Realität sind diejenigen nicht zu verdammen, die solche und ähnliche Videos ins Netz stellen. Sie erreichen mehr als unsere moralischen Kommentare und ihre Wirkung ist so enorm, dass Ministerpräsidenten und Thai-Polizeigeneräle sich nicht entziehen können.
In Großbritannien, dem Mutterland der in Hua Hin verprügelten Touristen, dem Mutterland der Koh Tao Mordopfer Hannah Witheridge und David Miller, dem Mutterland der meisten mysteriösen Todesfälle an thailändischen Stränden, dort findet zwischenzeitlich eine regelrechte Anti-Thai-Kampagne statt. Große britische Tageszeitungen und Fernsehstationen in Sonderbeiträgen – sie zeigen ein Gesicht des Lands des Lächelns, das dem der Reisekataloge auf schmerzhafte Art widerspricht.
Das ist schade und in der generellen Betrachtung Thailands nicht ganz gerecht. Die Mehrheit der Thais ist anders. Die Freundlichkeit gibt es nach wie vor an allen Ecken, mehr als in unserer zielstrebigen, kalt gewordenen Leistungsgesellschaft. Drei halb totgeschlagene englische Urlauber in Hua Hin stören auch das Empfinden der Thailänder. Keine Nachricht hat in den vergangenen Tagen für mehr Aufregung im Königreich gesorgt.
Die Forderung nach einer effizienteren Polizeiarbeit keimt längst auch in einheimischen Foren verstärkt auf. Es muss etwas dran sein, und wer sich mit Bekannten in Thailand unterhält, der nimmt die Vorbehalte gegen die eigene Polizeikaste unweigerlich mit auf. Im Videozeitalter, mit der Schnellstraße sozialer Netzwerke, da werden Kurzfilme mit kritischen Inhalten zu Brandsatzbeschleunigern. Wenn diese helfen Missstände zu beleuchten, dann nehmen wir dieses Paradoxon gerne in Kauf.
Leserkommentare
Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.