Britischer Parlamentspräsident unter Druck

Der Sprecher des britischen Unterhauses, Sir Lindsay Hoyle. Foto: epa/Neil Hall
Der Sprecher des britischen Unterhauses, Sir Lindsay Hoyle. Foto: epa/Neil Hall

LONDON: Der «Speaker» des Unterhauses ist einer der wichtigsten Hüter der vielen Traditionen des britischen Parlaments. Doch der Amtsinhaber soll nun selbst mit einer Gepflogenheit gebrochen haben.

Wegen seines Vorgehens in einer Verfahrensfrage ist der Sprecher des britischen Unterhauses, Lindsay Hoyle, schwer in die Kritik geraten. Bis zum Donnerstagnachmittag unterzeichneten 65 Parlamentarier - ein Zehntel der Abgeordneten - einen Antrag, dem «Speaker of the House of Commons» das Vertrauen zu entziehen. Dabei handelte es sich vor allem um Mitglieder der regierenden Konservativen Partei sowie der oppositionellen Schottischen Nationalpartei (SNP), deren Fraktionschef Stephen Flynn ein Misstrauensvotum forderte.

Das Amt des Speakers ist mit dem Posten des Bundestagspräsidenten vergleichbar. Hoyle ist seit November 2019 als Nachfolger von John Bercow, der in den Brexit-Debatten mit seinen «Order»-Rufe bekannt wurde, in dem überparteilichen Amt. Seine Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Labour-Partei ruht seither.

Hoyle hatte am Vortag eine Abstimmung über einen Änderungsantrag von Labour zu einem SNP-Antrag zugelassen, bevor über den eigentlichen SNP-Antrag abgestimmt wurde. Dabei ging es um eine Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen. Da sich die regierende Tory-Fraktion enthielt, wurde der Labour-Antrag angenommen und der SNP-Antrag kam nicht mehr zur Abstimmung. Die Sitzung ging daraufhin im Chaos unter.

Experten kritisierten Hoyles Vorgehen als Bruch der Traditionen. Demnach darf nur die Regierung Änderungen zu einem Oppositionsantrag beantragen. Der Speaker ließ aber sowohl den Labour- als auch den Tory-Antrag zur Abstimmung zu. Hoyle entschuldigte sich. Er habe den Abgeordneten ermöglichen wollen, in einer emotionalen Frage über eine breite Palette von Vorschlägen abzustimmen. Tory-Abgeordnete werfen dem 66-Jährigen vor, er habe sich dem Druck seiner früheren Partei gebeugt. Das weisen Hoyle und Labour zurück.

Premierminister Rishi Sunak kritisierte Hoyle scharf, aber betonte zugleich, der Speaker arbeite seinen Fehler auf. Sunak und die SNP hätten Labour eine politische Falle gestellt, betonten Kommentatoren. Bei einer ähnlichen Debatte vor einigen Wochen hatten Dutzende Labour-Abgeordnete entgegen der Vorgabe der Parteispitze mit der SNP gestimmt. Mit dem eigenen Antrag wollte Labour nun eine Wiederholung verhindern. «Parteipolitische Spielchen im Gaza-Konflikt bringen das Parlament in Verruf», schrieb die Chefin der Denkfabrik Institute for Government, Hannah White.

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