Asylsuchende auf Roms Straßen

 Migranten vor dem
Migranten vor dem "Baobab"-Zentrum. Foto: epa/Alessandro Di Meo

ROM (dpa) - Migranten in Rom haben oft keine andere Wahl, als sich auf den Straßen der Ewigen Stadt durchzuschlagen. Aktivisten wollen helfen - doch Roms populistische Bürgermeisterin macht da nicht mit.

Lässt Italien aus dem Mittelmeer gerettete Menschen im Stich, sobald sie trockenen Boden unter den Füßen haben? Ja, sagen Helfer. Kaum ein Tag vergeht ohne Bilder von Migranten, die im Mittelmeer aus überfüllten Booten gerettet werden. Italien steht in Europas Migrantenkrise an vorderster Front, für seine Rettungseinsätze auf See gibt es viel Lob. An Land sieht die Lage jedoch anders aus, wie Helfer beklagen.

«Diese Menschen kommen hierher, und es ist deutlich zu sehen, dass sie gefoltert wurden und psychische Traumata erlitten haben», sagt Andrea Costa von der freiwilligen Hilfsorganisation «Baobab Experience». «Sie sind noch sehr jung, und das ist nicht die Behandlung, die sie verdient haben.»

In der Hauptstadt Rom gibt es keine offizielle Migrantenunterkunft. Viele Migranten, die in der Stadt ankommen, übernachten daher im Freien in der Nähe des Tiburtina-Bahnhofs, erklären Helfer. Sie unterstützen die Menschen mit Kleiderspenden, Essen, Schlafsäcken und Zelten. Jede Nacht schlagen Migranten - viele von ihnen aus Eritrea und Somalia - ihre Zelte in einem provisorischen Lager bei der Busstation am Bahnhof auf. Morgens werden die Zelte wieder abgebaut. Dies sei eine «stillschweigende Vereinbarung» mit den Behörden, sagt Costa. Manchmal breche die Polizei diese Übereinkunft und vertreibe die Migranten. Seit Mitte April kam das mindestens dreimal vor. Aber am nächsten Tag seien die Zelte wieder da.

Chaled Karri hat am Tiburtina-Bahnhof gelebt, der 27-Jährige aus Damaskus hat aber mittlerweile eine bessere Bleibe gefunden. Er lernt Italienisch und arbeitet als Freiwilliger mit Baobab. «Drei Kriege» habe er miterlebt, erzählt der Syrer der Deutschen Presse-Agentur. Der erste war der Konflikt in seinem Heimatland, dann folgte die Flucht nach Europa durch die Türkei und Griechenland. Der dritte sei die Odyssee durch Europa wegen des Dublin-Verfahrens gewesen.

Das Dublin-System sieht vor, dass grundsätzlich jenes Land für das Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Migrant erstmals den Boden der Europäischen Union betreten hat. Das macht Länder wie Italien und Griechenland für eine große Zahl von Anträgen zuständig - und für Migranten wird es dadurch schwieriger, nach Deutschland oder in andere Länder im Norden Europas zu gelangen.

«Leute wie ich wollen nach Schweden, in die Schweiz oder nach Deutschland», sagt Karri. «Aber dieses Dublin-System ist für uns wie ein neuer Krieg.» Im Februar wies ihn die Schweiz nach sieben Monaten aus, weil seine Fingerabdrücke schon in Italien registriert waren. «Man beginnt zu lernen und versucht, sich ein normales Leben aufzubauen, aber dann weisen sie dich wegen Dublin aus. Man wird zurückgeschickt in ein Land, in dem man keine Rechte hat.» Karri redet sich seinen Frust von der Seele: Dies alles sei schwer zu verkraften. «Manche haben sich deshalb schon umgebracht.»

Seit Jahresbeginn sind knapp 37.000 Migranten per Boot in Italien angekommen, am Osterwochenende allein waren es 8.000. Im Jahresvergleich gibt es einen Anstieg von knapp 44 Prozent, wie das Innenministerium mitteilt. Auch nach Rom kommen mehr Menschen. Helfer Costa zufolge übernachten derzeit 80 Menschen in dem Baobab-Camp, viermal so viele wie im Januar. Im Sommer könnten viele hinzukommen, denn dann wagen mehr Migranten die Überfahrt.

Forderungen der Helfer nach einer offiziellen Migrantenunterkunft wurden bislang von Roms Stadtregierung unter Bürgermeisterin Virginia Raggi von der eurokritischen Fünf-Sterne Bewegung nicht erfüllt. Baobab betrieb eine Unterkunft in einem verlassenen Fabrikgebäude, diese wurde aber Ende 2015 von der Polizei geräumt.

Seitdem versprechen die römischen Behörden eine dauerhafte Lösung. In «sieben, acht oder auch neun Monaten» solle ein Wohnheim eröffnet werden - dies sei die neueste Auskunft der Behörden, sagt die Aktivistin Valentina Brinis. Der Grund für die Verzögerungen sei unklar. Raggi ist jedoch unter Druck von rechten Oppositionsparteien wie der Lega Nord und Fratelli d'Italia, die immer wieder gegen Migranten demonstrieren. Erst kürzlich forderten sie bei einem Protestmarsch «Italiener zuerst» und «Nein zur Invasion.»

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