Anzeichen für mögliche Annäherung

Die Bildkombo zeigt Benjamin Netanjahu (l), Ministerpräsident von Israel, und Mohammed bin Salman, Kronprinz von Saudi Arabien. Foto: Abir Sultan/-/epa Pool Via Ap/saudi Press Agency/dpa
Die Bildkombo zeigt Benjamin Netanjahu (l), Ministerpräsident von Israel, und Mohammed bin Salman, Kronprinz von Saudi Arabien. Foto: Abir Sultan/-/epa Pool Via Ap/saudi Press Agency/dpa

RIAD/TEL AVIV/WASHINGTON: Bisher sind es nach US-Darstellung - wenn überhaupt - Vorgespräche. Eine allgemeine Unterhaltung darüber, wie eine Annäherung Israels und Saudi-Arabiens aussehen könnte, läuft aber. Der Weg zur Lösung des Nahost-Puzzles wäre lang und voller politischer Fallstricke.

Die Rede ist von nicht weniger als dem heiligen Gral der US-Politik im Nahen Osten, vom großen Umbruch im arabisch-israelischen Konflikt: Saudi-Arabien, Wiege des Islams und wichtige Schutzmacht der Palästinenser, spricht mit den USA laut Medienberichten über eine Annäherung mit Israel. Was lange undenkbar schien, ist plötzlich konkretes Thema unter Beratern im Weißen Haus.

Es ist ein komplexes diplomatisches Puzzle, an das Vertreter der US-Regierung sich nach Informationen von «Wall Street Journal» (WSJ) und «New York Times» (NYT) gesetzt haben. Der Weg zur Lösung wäre lang und voller Hürden, viele Folgen noch gar nicht absehbar. Am Ende könnte laut WSJ in rund einem Jahr aber eine Einigung stehen, die strategische Interessen Saudi-Arabiens, Israels und der USA bedient - und die vor allem gegen den Iran und China gerichtet wäre.

Es gebe noch «kein Verhandlungspaket» und «keinen vereinbarten Rahmen» mit Blick auf eine mögliche Normalisierung, sagte John Kirby, Sprecher des nationalen Sicherheitsrats der USA, am Mittwoch. Sollte wohl heißen: Es laufen, wenn überhaupt, lediglich Vorgespräche. Ranghohe US-Vertreter hätten bei Besuchen in Riad aber ausgelotet, «was im Rahmen des Möglichen» sei.

Saudi-Arabien: Neue strategische Interessen

Das Prestige des Königreichs in der arabischen und muslimischen Welt beruht auf seiner Rolle als Hüter der beiden heiligsten Stätten des Islams, Mekka und Medina. Die drittheiligste ist der Tempelberg (Al-Haram al-Scharif) in Jerusalem. Der Kampf für dessen Status und eine gerechte Lösung der Palästinenserfrage ist eigentlich zentraler Teil im Selbstverständnis Saudi-Arabiens als eine beherrschende Kraft in der arabisch-muslimischen Welt. Saudi-Arabien hatte Israel schon 2002 den Frieden angeboten, unter anderem mit der Forderung, dass Israel sich aus allen 1967 besetzten Gebieten zurückzieht.

Aber dieser Konflikt rückt in den Hintergrund. Mohammed bin Salman, faktischer Herrscher Saudi-Arabiens, zeigt heute deutlich weniger Interesse am Status der Palästinenser als sein Vater, der inzwischen recht greise König Salman (87). Für den Kronprinzen seien sie «lästiges Hindernis für sein Verhältnis zu Israel», das er «so rasch wie möglich beseitigen» wolle, schrieb Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik vor einigen Jahren.

Eine viel größere Trophäe wären für den Prinzen Sicherheitsgarantien der USA, die jetzt im Gespräch sein sollen, vergleichbar mit Zusagen an die Nato-Partner oder an Südkorea 1953. Zudem, so die Berichte, könnte Riad für eine Anerkennung Israels Zugang zu fortgeschrittenen US-Waffensystemen erhalten sowie Unterstützung beim Aufbau eines zivilen Atomprogramms. Die alten ideologischen Linien Riads scheinen neuen strategischen Interessen zu weichen.

So könnte Saudi-Arabien den Iran und dessen Verbündete in Syrien und im Libanon im Ernstfall mit einem neuen Partner Israel bekämpfen, dessen Luftwaffe zu den besten der Welt zählt. Trotz der im März angekündigten Normalisierung der Beziehungen mit Teheran betrachtet Riad - ähnlich wie Israel - den Einfluss des Irans weiter als Gefahr.

Israel: Außenpolitische Hoffnung, innenpolitische Krise

Für Israel und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wäre die Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien vor allem ein großer außenpolitischer Erfolg. Seit seiner Rückkehr ins Amt im Dezember hatte er sie als eines seiner Hauptziele beschrieben. Ein Abkommen würde «den Lauf der Geschichte» ändern, erklärte der 73-Jährige.

Etwa 30 von weltweit knapp 200 Staaten haben keine diplomatischen Beziehungen zu Israel, die meisten davon sind mehrheitlich muslimisch. Nicht alle würden dem Schritt folgen, etwa Algerien, Pakistan oder der Irak, in dem Kontakt mit Israel inzwischen unter Strafe steht. Eine teilweise Entspannung im Verhältnis Israels mit der muslimischen Welt wäre trotzdem denkbar.

Eine Einigung könnte Netanjahu womöglich auch dabei helfen, von der schweren internen Krise in Israel abzulenken, die seine Regierung mit ihrer umstrittenen Justizreform ausgelöst hat. Weil er derzeit die am weitesten rechts stehende Regierung in der Geschichte seines Landes anführt, ist aber völlig unklar, wie mögliche Zugeständnisse an die Palästinenser aussehen und ob Netanjahu diese innerhalb seiner rechts-religiösen Regierung wirklich durchsetzen könnte.

Darüber hinaus pochen Israels Sicherheitsvertreter nach Berichten darauf, dass der «Qualitätsvorsprung» der israelischen Armee auch im Rahmen eines US-Sicherheitspakts mit Saudi-Arabien garantiert bleiben müsse. Der Aufbau eines dortigen zivilen Atomprogramms berge zudem «eine echte Gefahr», schreiben Analysten des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv. «Denn andere Länder im Nahen Osten könnten ähnliche Forderungen stellen und dies würde das Risiko der Verbreitung von Atomwaffen in der Region erhöhen.»

USA: Saudi-Arabien als Schauplatz für den Wettkampf mit China

Die USA bemühen sich um eine bessere Positionierung in der Region, deren Ölgeschäfte und Seewege eine entscheidende Rolle spielen für die Weltwirtschaft. Denn China, der größte Abnehmer saudischer Ölexporte, drängt ebenfalls nach Saudi-Arabien und half dem Land laut US-Berichten schon bei Schritten zum Aufbau eines zivilen Atomprogramms. Der Besuch dort von US-Präsident Joe Biden vergangenen Sommer lief nüchterner ab als der warme Empfang für Chinas Staatschef Xi Jinping wenige Monate später.

Der Mord am Journalisten Jamal Khashoggi, für den US-Geheimdienste den Kronprinzen verantwortlich machen, belastete die Beziehungen mit den USA schwer. Auch über die Drosselung der Ölförderung, die die von Saudi-Arabien angeführten Opec-Länder bestimmt haben, zeigte sich Washington verärgert. Aber das Königreich ist Schlüssel beim Versuch, China aus der Region zurückzudrängen und ein Ende des Kriegs im Jemen herbeizuführen. Für die Palästinenser wollen die USA von Riad ein «beispielloses Paket» an Finanzhilfen, berichtet die NYT - für den schwerreichen Golfstaat wäre das durchaus denkbar.

Biden scheint an einem Friedensdeal viel gelegen. Er könnte das Camp David-Abkommen über einen ägyptisch-israelischen Frieden von 1979 noch übertreffen. Die Regierung von Bidens Vorgänger Donald Trump hatte 2020 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Israels mit den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Bahrain vermittelt, Marokko und der Sudan folgten. Im anlaufenden US-Wahlkampf gegen Trump könnte Biden den Deal als eigenen großen Wurf im Nahen Osten präsentieren.

Auch in Washington ist der Weg dorthin steinig. Bidens Verhältnis zu Netanjahu ist angeschlagen, eine Einladung in die USA ließ monatelang auf sich warten. Dazu kommt der US-Senat, in dem harte Kritiker Riads sitzen, der Sicherheitsgarantien zustimmen müsste.

Besorgte Blicke nach Teheran

Selbst wenn das Puzzle sich lösen lässt: Die Umwälzung zum großen Frieden wäre es für den krisengeplagten Nahen Osten nicht, schreiben die Experten Steven Simon und Aaron David Miller. Denn das Kräfteverhältnis würde sich insgesamt nicht wesentlich ändern: Im Fokus stünden eigene Interessen, die auch die Emirate, Bahrain, Marokko und den Sudan bei ihrer Annäherung an Israel leiteten.

Die Blicke würden sich vor allem auf den Iran richten. Israel gilt seit der Islamischen Revolution von 1979 als Irans Erzfeind, und auch Netanjahu sieht im Iran den «wichtigsten Feind». Saudi-Arabien stünde mit Beziehungen zu beiden Seiten in der Mitte - und hätte sich einmal mehr als ernstzunehmender internationaler Akteur positioniert.

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Ingo Kerp 10.08.23 13:30
Sollte es tatsächlich zu einer friedlichen Vereinbarung zwischen Israel und Saudi-Arabien kommen, unter Berücksichtigung das Israel den Zugestandnissen an die Palästinenser zustimmt, dann wäre das mit der rechtsextremen Regierung in Israel eine Situation, von der man sagen koennte, sie haben das Rad neu erfunden.