Aderlass in der City - Banken ziehen Jobs aus London ab

Foto: epa/Facundo Arrizabalaga
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LONDON (dpa) - Seit dem Brexit-Votum rechnet London mit einem Verlust von Jobs in der Finanzbranche. Jetzt wird es konkreter. Viele europäische Städte, darunter Frankfurt, stehen als Konkurrenten in den Startlöchern. Doch den Rang als Finanzhauptstadt Europas wird London so schnell keine ablaufen.

Frankfurt, Paris, Dublin, Madrid - schon seit längerem lecken sich europäische Städte die Finger nach Banken, die angesichts des Brexits ihr Europa-Geschäft aus London in die EU verlegen wollen.

Das scheint nun näher zu rücken. Nachdem die britische Premierministerin Theresa May Anfang der Woche angekündigt hatte, ihr Land aus dem EU-Binnenmarkt zu führen, mehren sich die Anzeichen, dass es doch noch zu Abwanderungen in der Finanzindustrie kommt. Die Geldhäuser fürchten, sonst ihre Finanzprodukte nicht mehr in der EU anbieten zu können.

Tausende Jobs könnten nach Paris und andere europäische Städte verlegt werden, hatten die Chefs der britischen HSBC und der schweizerischen UBS beim Weltwirtschaftsforum in Davos angekündigt. Die US-Investmentbank Goldman Sachs wollte entsprechende Medienberichte zwar nicht bestätigen, ließ aber wissen, man «spiele alle möglichen Folgen des Brexits durch». Auch Barclays-Chef Jes Staley, kündigte an, dass die Bank Teile ihres Geschäfts künftig von Deutschland oder Irland aus machen könnte.

Ob die Folgen für London so schwerwiegend sein werden, wie in manch düsterer Prophezeiung vorausgesagt, wird inzwischen aber angezweifelt. «Großbritannien wird weiterhin die finanzielle Lunge Europas sein», sagt Staley in einem BBC-Interview am Donnerstag. Auch der Chef der britischen Großbank Lloyds, António Horta-Osório, bricht in Davos eine Lanze für London. Die Stadt habe viele Vorteile: Zeitzone, Sprache, Attraktivität für Talente, Infrastruktur. Es scheint also weniger ein Exodus zu werden, als ein verkraftbarer Aderlass.

Die Stimmung in der Londoner City ist trotzdem gedrückt. Hört man sich bei Bankern um, ist von «Ernüchterung» und «Frustration» die Rede. Vor allem die vielen ausländischen Beschäftigten vom europäischen Festland seien niedergeschlagen, berichtet eine Analystin, die bei einer europäischen Großbank in London arbeitet. «Einige schauen sich inzwischen nach Job-Angeboten auf dem Kontinent um oder versuchen, in einem Sektor unterzukommen, der nicht von den Verlagerungen betroffen ist», sagt sie. Die Hoffnung sei, dass die Veränderungen nur langsam vor sich gehen, «damit man Zeit hat, sich anzupassen».

Die Bankenchefs versichern unisono, dass sie keine Eile hätten. Denn erst einmal müssten die Details des Brexits ausgehandelt werden und dann gebe es eine Übergangsphase. Es sei noch etwa zwei Jahre Zeit, sagt Sergio Ermotti, Chef der Schweizer Großbank UBS, auf einer Banken-Diskussionsrunde in Davos. Doch allzu lange dürfte es nicht mehr dauern, meint ein Branchenkenner. Immerhin sind schon rund sechs Monate vergangen, seit die Briten sich für den Austritt aus der EU entschieden haben. «Irgendwann wird die Finanzbranche das Risiko der Unsicherheit nicht mehr mittragen», sagt er.

In Paris wurde die Ankündigung der Großbank HSBC, 1.000 Jobs in die französische Hauptstadt zu verlagern, mit Freude aufgenommen. «Paris zieht die Investoren und die Unternehmen an», schrieb die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo beim Kurznachrichtendienst Twitter.

Auch Frankfurt, Madrid und Dublin dürfen sich Hoffnungen auf ein Stück vom Kuchen machen, glaubt man Medienberichten. Seit dem Brexit-Votum wirbt die hessische Politik über Parteigrenzen hinweg offensiv für die Finanzstadt am Main. Als sicher gilt, dass der Aderlass Londons zu einer stärkeren geografischen Aufteilung der Finanzbranche in Europa führen wird.

Umstritten ist, ob der Finanzstandort London im globalen Vergleich zurückfallen wird. Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein bezeichnete New York bereits als «ein bisschen der Gewinner» des Brexit-Votums. Seine Bank habe in der Folge nur noch zögerlich Unternehmensteile nach London verlegt, um nicht zweimal umziehen zu müssen, sagte er in einem Bloomberg-Interview.

Ganz anders sieht das HSBC-Verwaltungsratschef Douglas Flint. Er hat keine Bedenken, dass sich London gegenüber den großen Finanzzentren wie New York, Singapur und Hongkong behaupten kann. Alleine schon weil es geographisch genau dazwischen liegt. Der Zeitunterschied ist lange nicht so drastisch wie zwischen Asien und Amerika: «Es gibt eines in London, was einzigartig ist - und das ist die Greenwich Mean Time», sagt Flint.

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