Ferdinand Marcos Jr. wird 65

Wie ein Land seine Geschichte vergisst 

Präsident der Philippinen Ferdinand 'Bongbong' Marcos Jr. Foto: epa/Rolex Dela Pena
Präsident der Philippinen Ferdinand 'Bongbong' Marcos Jr. Foto: epa/Rolex Dela Pena

MANILA: Der Name Marcos prägt seit Jahrzehnten das Schicksal und die Politik der Philippinen. Diktatur, Kriegsrecht, Vertreibung und schließlich das Comeback: Ferdinand Marcos Jr. ist seit Juni der neue Präsident des Landes. Hat der Inselstaat die Vergangenheit vergessen?

Den Malacañang-Palast am Ufer des Flusses Pasig kennt Ferdinand Marcos Jr. von Kindesbeinen an. «Bongbong», wie der im Juni vereidigte neue Präsident der Philippinen genannt wird, war sieben Jahr alt, als seine Familie 1965 in den Regierungspalast einzog. Sein Vater, der Diktator Ferdinand Marcos (1917-1989), herrschte im Inselstaat mit eiserner Faust. Seine Mutter Imelda (93) häufte derweil schamlos Reichtümer an und ließ das Gebäude gleichzeitig aufwendig renovieren. Nach vielen Wirren und Jahren des Exils ist der Junior seit Juni in den Palast seiner Jugend zurückgekehrt. Am Dienstag (13. September) wird er 65 Jahre alt.

«Es war schön», erinnerte sich Marcos Jr. im April, kurz vor der Präsidentenwahl, in einem Fernsehinterview an seine Kindertage in dem historischen Gebäude. «Man wurde ein bisschen verwöhnt und sehr gut betreut und umsorgt.»

Als er die Wahl im Mai haushoch gewann, rieben sich viele im Ausland verwundert die Augen. Zumal Marcos Jr. seine Eltern und ihr Erbe immer verteidigt hat. Selbst in seiner Antrittsrede behauptete der neue Regierungschef, nur sein Vater habe es in all den Jahren vollbracht, dem Volk Nahrungsmittelsicherheit zu verschaffen. Experten erinnern hingegen an Hunger, Armut und massive Inflation von bis zu 50 Prozent unter Marcos Senior.

Haben die Filipinas und Filipinos vergessen, dass ihr eigenes Volk 1986 die Dynastie aus dem Land trieb, nachdem der Diktator jahrelang mit Kriegsrecht regierte? Mord, Folter und das Verschwindenlassen politischer Gegner waren zuvor an der Tagesordnung. Nach der Flucht wurden im Malacañang-Palast Tausende Paar Schuhe sowie Hunderte Handtaschen und Kleider von First Lady Imelda gefunden. Das Paar soll über die Jahre Milliardensummen aus der Staatskasse abgezweigt haben.

Einer der Gründe für das Comeback des Clans ist, dass die Schulen die Historie des Landes kaum aufarbeiten. «Die Geschichtsbücher in unserem Land stehen dem Kriegsrecht, der Unterdrückung und der Plünderung nicht sehr kritisch gegenüber», sagt Geraldine Po (69), die eine Buchhandlung in Manila führt. «Als ich in der Schule war, haben wir die Ereignisse nicht analysiert. Uns wurde nur beigebracht, Daten auswendig zu lernen», erzählt die frühere Aktivistin.

Deshalb fehle es heute an kritischem Denken: Viele Filipinos glaubten, was immer ihnen an Informationen eingetrichtert werde - so etwa, dass die Marcos-Jahre das «goldene Zeitalter der Philippinen» gewesen seien, wie «Bongbong» gern bekräftigt. Der Historiker Manuel Luis Quezon erzählt, dass Geschichtsprofessoren im Land immer wieder geschockt seien, wenn junge Filipinos von «der wunderbaren Zeit unter dem Kriegsrecht» schwärmten.

Quezon führt noch einen anderen Grund für das Marcos-Revival an: Im Wahlkampf habe «Bongbongs» Team massiv auf soziale Medien gesetzt, in denen der Präsidentschaftskandidat mehr als Prominenter und weniger als Politiker porträtiert wurde. «Mittlerweile zählt Promi-Kultur mehr als politisches Ansehen», ist der Historiker überzeugt. Und der Marcos-Clan sei auf jeder Plattform aktiv gewesen, auf der Filipinos nach Klatsch, Tratsch und Unterhaltung suchen.

Diejenigen, die das Marcos-Angstregime früher selbst erlebt hätten, seien mittlerweile eine Minderheit in dem Land mit rund 110 Millionen Einwohnern. Etwa 30 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre. Die Abermillionen, die zur Zeit der Diktatur noch nicht gelebt haben, seien einer Art «Gehirnwäsche» unterzogen worden, in der die Gräueltaten der Vergangenheit nicht vorkommen, sagt Quezon.

Dazu passt auch ein Big-Budget-Film, der seit vergangenem Monat in den philippinischen Kinos läuft. «Maid in Malacañang» heißt das Epos, in dem Diktator Marcos als sanfter, aber strenger Herrscher porträtiert wird, der Gewalt ablehnt. Sein Sturz 1986 wird als von der Opposition inszenierte Machtergreifung dargestellt. Und die für ihren verschwenderischen Lebensstil berüchtigte Familie liebt auf der Leinwand auf einmal die einfache Küche. «Dies ist ein Werk der Wahrheit», jubelte Senatorin Imee Marcos, die Schwester des Präsidenten, die den Streifen produziert hat.

Wer aber ist Ferdinand Marcos Jr.? 1957 in Manila geboren, studierte er - Berichten zufolge ohne Abschluss - in Großbritannien und den USA. Er ist seit Anfang der 1990er Jahre mit einer Anwältin verheiratet und Vater von drei Söhnen. Bereits 1980 geht er in die Politik, flieht nach dem Ende der Marcos-Diktatur aber mit der Familie in die USA.

Nach der Rückkehr in die Heimat sitzt er zunächst als Abgeordneter im Repräsentantenhaus und wird 2010 in den Senat gewählt. Als er bei der Präsidentschaftswahl 2016 als unabhängiger Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten antritt, verliert er gegen die liberale Leni Robredo. Bei der Abstimmung im Mai dieses Jahres ist die 57-Jährige erneut seine schärfste Rivalin - dieses Mal kann er sie deutlich besiegen.

Seither ist politisch noch nicht viel passiert. Im August kündigte Marcos Jr. an, dass sein Land dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag nicht wieder beitreten werde. Sein Vorgänger Rodrigo Duterte hatte 2018 den Rückzug von dem Gericht angekündet, nachdem dieses wegen seines brutalen Krieges gegen Drogenkriminelle gegen ihn ermittelt hatte. Die im Wahlkampf versprochene drastische Senkung der Reis-Preise lässt hingegen auf sich warten.

«Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass der Familie Marcos erneut eine Reihe von Fehlern unterlaufen wird», ist Historiker Quezon überzeugt. Und gerade weil «Bongbong» bei der Wahl eine so große Mehrheit erzielt habe, sei die Gefahr, dass er am Ende das Volk massiv enttäuscht, extrem groß. «Dann werden die Leute hinterfragen, was ihnen beigebracht wurde zu glauben - aber erst dann.»

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