Mit Premierministerin Borne kommt Macrons Frontfrau nach Berlin

Französische Premierministerin Elisabeth Borne in Straßburg. Foto: epa/Julien Warnand
Französische Premierministerin Elisabeth Borne in Straßburg. Foto: epa/Julien Warnand

PARIS: Als bloße Antrittsvisite gedacht und dann verschoben, steht die Berlinreise von Frankreichs Premierministerin Borne nun im Zeichen deutsch-französischer Verstimmungen. Gucken, dass die Chemie bald wieder stimmt, lautet Bornes Auftrag beim Treffen mit Kanzler Scholz.

Von nachgeholter Antrittsreise zu Beziehungscheck - Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne soll mit ihrer Berlinreise die deutsch-französischen Beziehungen wieder beleben. Dazu trifft sie am Freitag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Unterschiedliche Positionen in Kernfragen und mangelnde Kommunikation haben die deutsch-französische Achse ins Holpern gebracht, was mit der Verschiebung eines gemeinsamen Ministerrats Ende Oktober deutlich wurde.

Mit einer Serie von Ministertreffen sind beide Länder nun bemüht, ihr Tandem wieder in die Spur zu bringen. Mit Borne trifft der Kanzler in Berlin auf eine zunächst unterschätzte Premierministerin, die sich inzwischen Respekt erarbeitet hat.

Bei Bornes Antritt im Mai gab es noch manchen Zweifel, ob sie sich lange an der Regierungsspitze wird halten können. Seit 30 Jahren und zum zweiten Mal überhaupt kam mit der Ex-Arbeitsministerin wieder eine Frau in das Spitzenamt, das in Frankreich im Schatten des mächtigen Staatspräsidenten steht. Nach sechs Monaten aber ist klar, die 61-Jährige hat nicht nur die Zügel fest in der Hand. Sie ist für Präsident Emmanuel Macron in seiner innenpolitisch schwierigen zweiten Amtszeit zudem zur Frau an vorderster Front geworden.

Der Start schon war nicht einfach: Nach der Präsidentschaftswahl verlor das Macron-Lager im Juni die absolute Mehrheit im Parlament. Damit wurden für den Liberalen wichtige Reformvorhaben schwierig und Parlamentsdebatten verwandelten sich mangels Kompromisskultur in einen Stellungskrieg der Opposition gegen die Regierung. In dieser Lage schickte der 44-jährige Macron, der sonst gerne alles selbst bestimmt, mehrfach schon Borne vor, um das Terrain für mögliche Kompromisse zu erkunden - wenn auch mit begrenztem Erfolg.

Bei all dem wirkt die als Technokratin geltende Ex-Sozialistin nach außen unaufgeregt, sachlich und gibt kaum Einblick in ihre Pläne oder Strategie. Borne, die sich in Strickjacke mit Energiesparappellen an die Franzosen wendete, ist ein vollkommener Gegenpol zum auf Außenwirkung und Auftreten bedachten Macron. Die Ingenieurin macht keinen Wirbel um sich selbst, versprüht wenig Charisma und erinnert teils an Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Als Langstreckenläuferin verfügt sie über Durchhaltevermögen, nicht nur auf der Piste.

Kaum gefragt sein wird dies bei ihrem vergleichsweise kurzen Treffen mit Kanzler Scholz. Bei dem geht es für Borne, wie in Paris zu hören ist, kaum darum, gleich den großen Durchbruch in strittigen Punkten wie Energiepolitik, Verteidigung oder einer einheitlichen Reaktion auf amerikanischen Protektionismus zu erzielen. Ziel ist vielmehr, die deutsch-französischen Beziehungen an sich wieder in Schwung zu bringen - insbesondere angesichts vielfältiger Krisen und der historischen Verantwortung beider Länder.

Wenn denn die Missklänge beseitigt sind und die Chemie wieder stimmt, könnten bilaterale Fragen und europäische Fragestellungen wieder reibungsfreier von Frankreich und Deutschland angegangen werden, der Schulterschluss sei dafür unerlässlich, hieß es im Élyséepalast. Bei all dem drängt auch ein wenig die Zeit - am 22. Januar kommenden Jahres soll der 60. Geburtstag des Élysée-Vertrags gefeiert werden, der den Grundstein der Freundschaft zwischen beiden Ländern legte.

Zur Arbeit an den Sachfragen von Energiepreisdeckel, Luftverteidigungsschutzschirm, der Vernetzung der Strom- und Gasversorgung oder einer gemeinsamen Industriepolitik setzte indes eine rege Reisediplomatie ein. In dieser Woche zog es Frankreichs Kulturministerin Rima Abdul Malak nach Berlin, in Paris waren Finanzminister Christian Lindner (FDP) sowie Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) zu Gast.

Was dabei auffiel und was ungewöhnlich ist, dass die beiden grünen Schwergewichte in der Bundesregierung sowie Lindner jeweils auch von Präsident Macron empfangen wurden - möglicherweise neben Beziehungspflege auch Strategie.

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