Let's talk about sex, Irland: «Aufklärung ist ein Menschenrecht»

Teenager halten Plakate mit der Aufschrift
Teenager halten Plakate mit der Aufschrift "We Want Real Sex Education". Foto: epa/Andy Rain

DUBLIN: In Irland ist Aufklärungsunterricht ein sperriges Thema, trotz schwerer und teils dramatischer Folgen. Ein Ende der sexuellen Unsicherheit fordern jetzt Pädagogen. Nun stellen sie ein neues Curriculum zusammen.

Ungeplante Schwangerschaften, unsicherer Umgang mit Verhütungsmitteln, ungeahnt hoher Porno-Konsum - in Irland wird der Ruf nach besserer Aufklärung laut. Lehrerverbände und das Bildungsministerium für weiterführende Schulen erarbeiten einen neuen, modernen Lehrplan. Doch parallel herrscht Unmut über neue Vorgaben der katholischen Kirche für Aufklärung in Grundschulen.

Ana Kriégels Tod war der traurige Höhepunkt einer lange gewachsenen sexuellen Unsicherheit, die sich in Unwissen, Frustration und Gewalt niederschlägt. Die Alarmglocken von Eltern, Lehreren und Politikern schrillten, als zwei 13 Jahre alte Jungen im Mai 2018 die 14-jährige Ana sexuell missbrauchten und töteten. Bei einem der Täter fanden die Ermittler mehr als 12.500 Bilder «pornographischer Natur».

Seit 1997 ist Sexualkunde in sechs Stunden pro Schuljahr Pflicht, aber wie sie unterrichtet wird, ist Sache der jeweiligen Schule. «Noch. Das soll sich ändern», sagt Siobhan O'Higgins von der Universität in Galway. Die Psychologin ist Mitbegründerin des «Active* Consent»-Programms, das an Universitäten, weiterführenden Schulen und in Sportvereinen eine positive und gesunde Einstellung zum Thema Sex vermitteln soll.

«Sexual- und Beziehungserziehung ist ein Menschenrecht, und die jungen Leute hier müssen lernen, sich zu fragen: Was ist okay? Was nicht? Ist die Person, mit der ich zusammen bin, damit einverstanden?», sagt O'Higgins. Zu oft würden junge Menschen Antworten auf ihre Fragen in der Pornografie suchen. Das verzerre das Verständnis von Sexualität und respektvollem Umgang.

Die Dringlichkeit zeigt sich auch in den Folgen der Unkenntnis: Mehr als ein Drittel der irischen Frauen zwischen 17 und 45 hatte laut einer Studie der Irish Family Planning Association eine ungeplante Schwangerschaft, weil das Verhütungsmittel versagt hat. 38 Prozent der irischen Paare verwenden gar keins, während sich 30 Prozent auf Coitus interruptus verlassen. Erst dann folgen Kondom und Pille.

Ein Grund für mangelnde Aufklärung: Viele der etwa 730 weiterführenden Schulen sind in Kirchenhand. «Das, was bislang unterrichtet wird, hat sehr wenig mit dem zu tun, was Schüler im Alltag und im Internet erleben», sagt O'Higgins. «Und erst recht nichts mit dem Vergnügen am Kennenlernen des eigenen und anderer Körper.» Auch Sexualwissenschaftlerin Emily Power Smith sieht einen Mangel: «Es wird in Schulen nie über Lust gesprochen, und nicht über Menschen, die nicht cis-geschlechtlich, heterosexuell oder verheiratet sind und Kinder haben wollen.»

Das überrascht. Zwar ist das EU-Land zutiefst katholisch geprägt, aber die Bevölkerung hatte per Referendum sowohl für die gleichgeschlechlichte Ehe als auch gegen das strenge Abtreibungsgesetz votiert.

Eine Erhebung in den Schulen hat jedoch gezeigt, dass Jugendliche sich verlässliche und fundierte Informationen von Menschen wünschen, die eine positive Einstellung zum Thema Sex haben. Während an den Grundschulen seit kurzem das von der Bischofskonferenz erstellte und kontrovers diskutierte Sexualkunde-Programm unterrichtet wird, setzen die Lehrergewerkschaft Association of Secondary School Teachers in Ireland (ASTI) und das National Council for Curriculum and Assessment (NCCA) bei der positiven und offenen Einstellung an.

«Sexuelle Beziehungen sollten nicht nur den Akt an sich betreffen, den biologischen Vorgang», sagt Deirdre MacDonald, bis vor kurzem ASTI-Präsidentin und derzeit Mitglied in der NCCA-Entwicklungskommission. «Es ist wichtig, dass die Beziehung zu anderen Menschen eine Rolle spielt.» Für das neue Curriculum werde derzeit auf den Umgang mit dem Thema in anderen Ländern geschaut.

«Um eine halbwegs entspannte Atmosphäre zu schaffen, sollte Sexualkunde nur in kleineren Gruppen von 12 bis maximal 16 Jugendlichen unterrichtet werden. Das ist ein sensibles Thema, bei dem niemand bloßgestellt werden soll», sagt MacDonald. «Deswegen ist es wichtig, dass die Lehrkräfte erfahren, geschult, ressourcenorientiert und selbstbewusst sind.» Bis jetzt würde das Thema viel zu oft «nur nebenbei» erwähnt. «Der neue Lehrplan muss bindend sein für alle weiterführenden Schulen.»

Das steht im Gegensatz zu dem neuen Programm der katholischen Kirche für Aufklärungsunterricht in Grundschulen. «Pubertät ist ein Geschenk Gottes», heißt es dort oder auch: «Wir sind von Gott perfekt entworfen, um uns (...) fortzupflanzen.» Auch mit Blick auf solche Vorgaben sagt O'Higgins: «Es gibt noch immer Menschen, die grundlegende Dinge verbieten wollen, wie die Erklärung der Benutzung von Kondomen, oder die ihre Kinder aus der Schule nehmen wollen, wenn es um jegliche Sexualerziehung geht.» Der neue Lehrplan soll so schnell wie möglich eingeführt werden, vielleicht schon mit Beginn des nächsten Schuljahres. «Er muss umfassend ausgestattet sein. Das ist ein großer Schritt», sagt Deirdre MacDonald.

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