Sexskandal: „Wollen Sie noch ein Dessert, Sir?“

Wie Teenagerprostitution, Korruption und Willkür ein Land lähmen

Schwerer Vorwurf gegen hohe Politiker und Polizeibeamte in Mae Hong Son und Mae Sariang in Nordthailand: Wie weit geht ihre Mittäterschaft im Fall des Prostitutionsrings minderjähriger Teenager?
Schwerer Vorwurf gegen hohe Politiker und Polizeibeamte in Mae Hong Son und Mae Sariang in Nordthailand: Wie weit geht ihre Mittäterschaft im Fall des Prostitutionsrings minderjähriger Teenager?

MAE HONG SON/BANGKOK: Zum Abschluss der Feier an der Hong Son Sueksa Schule im nordthailändischen Grenzort Mae Hong Song gab’s eine Überraschung für geladene Festgäste: „Wollen Sie noch ein Dessert, Sir?“, lautete die Frage und wer dies bejahte, hatte auf Wunsch bald einen minderjährigen weiblichen Teenager auf dem Schoss sitzen. Weitere Verwendung später: Privatsache.

Im Mai 2017 erschüttert dieser Sexskandal um Jugendprostitution und mutmaßliche behördliche Drahtzieher Thailand. Hohe Polizeibeamte und Regierungsvertreter sollen aktiv beteiligt gewesen sein, wechselweise in der Rolle der Freier oder als finanzielle Nutznießer eines ausgedehnten Mafia-Konstrukts, in dem junge Mädchen der Region zu Dienstleistungen verhökert wurden, die jahrelang stillschweigend in Anspruch genommen wurden – bis die Mutter eines Opfers auspackte und Antikorruptionsbehörden innerhalb der Polizei alarmierte.

Das Datum der ominösen Feier an der thailändischen Schule am 1. Oktober ist aktenkundig und zwischenzeitlich noch viel mehr. Polizeioffiziere sind verhaftet oder auf inaktive Posten versetzt worden. In seriösen Tageszeitungen wie der ‚Bangkok Post‘ und ‚The Nation‘ wird offen spekuliert, welcher Gouverneur von Mae Hong Son nun eine gewichtige Rolle in dem Menschenhändlerring eingenommen haben könnte: der aktuelle oder sein Vorgänger?

Die Zeugen, die diesen Sexskandal ins Rollen brachten und sehr bald um ihre Sicherheit fürchteten, waren zunächst von gedungenen Polizeikollegen der Tatverdächtigen heimgesucht worden, später dann laut eigenen Angaben von Politikern im Range von Bürgermeistern und Landräten. Wie hoch hinauf die Beteiligung von Behördenvertretern tatsächlich führt, bleibt bisher ein Ermittlungsgeheimnis, aber in allen thailändischen Zeitungen kursieren Namen und Verbindungen hochoffizieller Personen. Die zwangsprostituierten Mädchen hatten zumeist ein Erkennungsmerkmal auf die Brust tätowiert: eine Nachteule. Davon wurden unvorsichtigerweise belastende Fotos mit den Mädchen und ihren Freiern geschossen.

Milliardenerbe als Unantastbarer:

Nicht alleine dieser jüngste Skandal rüttelt an den Fundamenten thailändischer Glaubwürdigkeit in Menschenrechtsfragen und damit einhergehender Ermittlungsmoral. Der Bangkoker Red Bull Enkel ‚Boss‘ Vorayuth Yoovidhya (27) narrt seit Jahren die Justizbehörden seines Landes, obwohl es eindeutige Beweise dafür gibt, dass er im September 2012 in Bangkok mit seinem Ferrari einen Polizeibeamten überfuhr und mitschleifte. Im Gefängnis saß er keinen Tag und zu einem Verhör konnte der Milliardenerbe niemals überredet werden.

Der ‚Boss‘ ist auf der Flucht im Ausland und musste jüngst nach einer vertraulichen Information aus Justizkreisen überhastet seinen Privatjet in Singapure stehen lassen und mit einem Charterflugzeug flüchten. In den USA entzieht er sich bis heute seiner Festnahme. Mit Spannung wird erwartet, welche Wirkung eine neue Strafaktion gegen ihn entfalten könnte: der thailändische Reisepass von Vorayuth Boss Yoovidhya ist Anfang Mai für ungültig erklärt worden – ein für hiesige Verhältnisse erstaunlicher Schritt gegen ein Mitglied einer Familie der Unantastbaren.

Tote Rettungssanitäter in Trang:

Szenenwechsel, neuer Tatort, neuerliche Tragödie: In der gestrigen Nacht mussten vier Bedienstete eines Rettungswagens in der südlichen Provinz Trang ihren Einsatz für ein Menschenleben mit ihrem eigenen bezahlen (der FARANG berichtete aktuell). Ein laut ersten Erkenntnissen möglicherweise angetrunkener Pickup-Lenker raste um 1.30 Uhr in eine Unfallstelle, in der gerade ein verletzter Motorradfahrer behandelt wurde und geborgen werden sollte. Auch Polizisten wurden verletzt sowie weitere Unfallzeugen. Nicht ganz unerwartet wurde umgehend eine adäquate Unfallursache herbei stilisiert: Bremsversagen an dem Pickup, denn damit träfe die Schuld keinen Thailänder, sondern den außerthailändischen Fahrzeughersteller…

Unfassbar: Abt Phra Dhammakaya:

In den sozialen Netzwerken thailändischer und westlicher Nutzer ist in diesen Tagen eine erstaunliche Wut herauszulesen. Der Fall des unverhaftbaren und weiter flüchtigen Supermönchs Phra Dhammakaya vom gleichnamigen Tempelorden wird dort ebenso lebhaft debattiert wie die Dreistigkeit des Redbull-Todesfahrers Vorayuth oder die täglich aktualisierte Geschichte von weiteren Polizei- und Justizskandalen im Land. Es ist nicht so, dass davon nichts an die Öffentlichkeit dringt oder keine Ermittlungen erfolgten. Es wird im weltweiten Netz aber so wahrgenommen, dass es in keinem einzigen Fall ein tatsächliches Ergebnis – geschweige denn eine rechtskräftige Verurteilung gegeben hat.

150 Jahre für Menschenrechtsanwalt:

Unerschrockene Thailänder wagen Vergleiche, die sie Kopf und Kragen kosten könnten. Menschenrechtsanwalt Pranet Prapanukul (57) ist vergangene Woche unter dem Verdacht inhaftiert worden, er soll, so die Anklagevertretung der Militärregierung, in zehn Fällen gegen das gefürchtete Lèse-Majesté-Gesetz verstoßen haben. Sollte er jeweils die Höchststrafe von 15 Jahren erhalten, wäre Prapanukul mit 207 Jahren wieder frei.

Unter diesem Gesichtspunkt und im Vergleich mit anderen anhängigen Fällen taucht auf Twitter und bei Facebook immer wieder die Frage der Verhältnismäßigkeit auf. Wie viele Jahre soll ein aufrührerischer Student absitzen, der mit Bannern gegen das regierende Establishment protestiert? Wie lange ein Menschenrechtsanwalt, der ebenfalls in sozialen Netzwerken seine Gegenmeinung artikuliert hatte? Und wie lange ein Mörder oder Menschenhändler, wenn die Beweislage erdrückend ist, aber kaum die Ermittlungsmoral der Protagonisten?

Die Grundfrage wäre stets dieselbe: Woher droht Thailand Gefahr? Von einer sakrosankten institutionellen Kaste skrupelloser Profiteure oder von denjenigen, die ihre politische Gegenwehr unvorsichtigerweise nicht dem gesetzlichen Status Quo anpassen? Die Antwort kennen viele. Wer sie laut äußert oder gar schriftlich niederlegt, muss mit weiteren Fragen rechnen. Diese werden dann nicht mehr offen in sozialen Netzwerken gestellt, sondern hinter verschlossenen Türen und Mauern.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.