Religiöse Minderheiten in Indien unter Druck

Wenn aus Liebe Jihad wird

Eine Braut blickt durch ihren Schleier während einer Massenhochzeit. Foto: Rafiq Maqbool
Eine Braut blickt durch ihren Schleier während einer Massenhochzeit. Foto: Rafiq Maqbool

NEU DELHI: In Indien fühlen sich religiöse Minderheiten zunehmend unsicher. Schuld daran ist auch die hindunationalistische Regierungspolitik. Und die sieht sich durch Erfolge bei wichtigen Regionalwahlen bestätigt - ein Zeichen für die künftige Entwicklung des Landes?

Als Sajjad (Name geändert) seine Freundin heiraten wollte, erstattete ihre Familie Anzeige. Er saß daraufhin mehr als zwei Monate lang im Gefängnis und seine Freundin wurde währenddessen mit einem anderen Mann verheiratet. So erzählte es Sajjad dem indischen Magazin «Outlook». Eine Liebe wie die von Sajjad und seiner Freundin wird in Indien in der Regel nicht gern gesehen. Denn er ist Muslim, sie Hindu - und normalerweise bleiben die Religionsgruppen bei Ehen unter sich.

Doch inzwischen sind gemischt-religiöse Ehen nicht nur unerwünscht. Mehrere Bundesstaaten haben inzwischen Gesetze erlassen, die solchen Paaren das Heiraten erschweren. Auch gibt es immer wieder Berichte wie den von Sajjad, wonach muslimische Männer im Zusammenhang mit solchen Gesetzen zumindest zeitweise ins Gefängnis kommen, wenn sie eine Beziehung mit einer Hindu-Frau haben.

Die Gesetze werden oft im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den sogenannten «Love Jihad» genannt. Das ist eine Verschwörungstheorie radikaler Hindus, wonach muslimische Männer das Ziel hätten, ihren Bevölkerungsanteil in dem mehrheitlich hinduistischen Indien zu vergrößern - indem sie hinduistische Frauen heirateten, diese dann bewegten, zum Islam zu konvertierten, und mit ihnen viele muslimische Kinder hätten. Beweise für diese Theorie gibt es nicht, sagt Südasien-Experte Milan Vaishnav vom Carnegie Endowment for International Peace in Washington.

Trotzdem war der «Love Jihad» kürzlich selbst ein Wahlkampfthema in dem wichtigen Bundesstaat Uttar Pradesh, wo die hindunationalistische Regierungspartei diese Woche deutlich gewonnen hat. Den Sieg erklären sich Analysten unter anderem damit, dass die Hindunationalisten in dem 1,3-Milliarden-Einwohner-Land gezielt Spannungen zwischen der hinduistischen Mehrheit und Muslimen, der größten religiösen Minderheit, ausnutzen und befeuern. Ihren Sieg deuten viele als Zeichen für die künftige Entwicklung der größten Demokratie der Welt - sprich: mehr Polarisierung.

Die Hindunationalisten stellten teils Muslime und teils auch Christen als Gegner dar, sagt Vaishnav. Sie würden die hinduistische Mehrheit, die gut 80 Prozent der Bevölkerung ausmacht, repräsentieren und das Land damit zur «ethischen Demokratie» machen, in der religiöse Minderheiten zu Bürgern zweiter Klasse werden, erläutert der Politologe Christophe Jaffrelo in einem Podcast von «Democracy Paradox».

Die Idee hinter der Strategie der Hindunationalisten ist es, die ursprüngliche Kultur Indiens zu fördern - und Einflüsse von 1200 Jahren «Sklaverei» zu bekämpfen, sagt Vaishnav. Bei der Sklaverei würden sie sich auf die britischen Kolonialherrscher mit dem Christentum und auf frühere Mogul-Herrscher mit dem Islam beziehen. Sie bekämpfen oft Konvertierungen zu diesen Religionen - aber begrüßen Konvertierungen von diesen Religionen zurück zum Hinduismus.

In diesem Stimmungsumfeld berichten auch christliche Organisationen immer wieder von Problemen. Kurz nach Weihnachten etwa erhielt die Organisation «Missionarinnen der Nächstenliebe» der verstorbenen Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa (1910-1997) zeitweise eine regelmäßig erneuerungspflichtige Bewilligung zum Erhalt ausländischer Gelder nicht. Auf diese Geldspenden ist die katholische Ordensgemeinschaft mit Sitz in Kolkata aber angewiesen, um Waisenhäuser und Kliniken für arme Menschen in ganz Indien zu betreiben. Zunächst teilte das indische Innenministerium mit, dass «nachteilige Informationen» der Grund seien. Nach vielen internationalen Schlagzeilen erhielt die Organisation schließlich die Bewilligung. Die indische Presseagentur ANI schrieb dazu, dass notwendige Dokumente eingereicht worden seien.

Immer wieder gibt es in Indien auch Angriffe von radikalen Hindu-Gruppen auf religiöse Minderheiten - etwa auf Muslime, die in die Schlachtung von Kühen, die für Hindus heilig sind, involviert sind, auf Kirchen oder christliche Schulen. Bei solchen Angriffen herrsche der verbreitete Glauben, dass die Behörden und die Regierung diese oft nicht schnell verurteilten oder dagegen vorgingen, betont Vaishnav. Dies gebe den Angreifern dann eine Art moralische Legitimität und würde zu weiteren solchen Übergriffen anregen.

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