Mehr als 60 Tote bei Anschlag in Moskau

Suche nach den Tätern

Das Feuer erhebt sich über dem brennenden Konzertsaal der Crocus City Hall nach einer Schießerei in Krasnogorsk, außerhalb von Moskau. Foto: epa/Vasily Prudnikov
Das Feuer erhebt sich über dem brennenden Konzertsaal der Crocus City Hall nach einer Schießerei in Krasnogorsk, außerhalb von Moskau. Foto: epa/Vasily Prudnikov

MOSKAU: Unbekannte haben eine Veranstaltungshalle nordwestlich von Moskau angegriffen. Ermittler sprechen von mehr als 60 Toten und ermitteln wegen Terrors. Nach den Tätern wird gesucht.

Bei dem mutmaßlichen Terroranschlag auf eine Veranstaltungshalle am Stadtrand von Moskau sind mehr als 60 Menschen getötet worden. Das meldete die Nachrichtenagentur Tass am frühen Samstagmorgen unter Berufung auf das Staatliche Ermittlungskomitee Russlands. Spezialeinheiten der russischen Nationalgarde waren an der Crocus City Hall in der Stadt Krasnogorsk im Moskauer Gebiet im Einsatz und suchten nach den Tätern. Zudem wurden Personen in Sicherheit gebracht. Um wie viele Angreifer es sich handelte, war zunächst nicht bekannt. Auf Videos war zu sehen, wie Menschen um ihr Leben rannten. Die Hintergründe des Angriffs waren zunächst unklar. Das Ermittlungskomitee nahm ein Verfahren wegen eines mutmaßlichen Terrorakts auf, wie die Behörde im Nachrichtendienst Telegram mitteilte.

Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte den Anschlag für sich, wie das IS-Sprachrohr Amak am Freitag im Internet unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen meldete. Experten gingen davon aus, dass dieses Bekennerschreiben echt ist.

Am Freitagabend gab es Behördenangaben Schüsse und Explosionen in der Veranstaltungshalle. Mehrere Unbekannte in Kleidung in Tarnfarben hätten die Crocus City Hall kurz vor einem Konzert der Rockgruppe Piknik gestürmt und das Feuer eröffnet, teilte die russische Generalstaatsanwaltschaft mit. Westliche Botschaften hatten zuletzt vor Terroranschlägen in Moskau gewarnt. Der Kreml hatte dies als Provokation des Westens bezeichnet.

Das russische Zivilschutzministerium teilte mit, dass das Gebäude, in dem auch eine Konzerthalle mit Tausenden Sitzplätzen ist, auf einer Fläche von 13.000 Quadratmetern in Flammen stand. Auch Löschhubschrauber waren im Einsatz. An dem Gebäude waren lodernde Flammen zu sehen und eine riesige Rauchwolke. Das Dach soll eingestürzt sein. Dutzende Rettungswagen waren im Einsatz und viele Busse, um Menschen in Sicherheit zu bringen. Die Lage war über Stunden unübersichtlich. Das russische Gesundheitsministerium sprach von 145 Verletzten, zu denen auch Kinder zählten. 115 von ihnen seien in Krankenhäuser gebracht worden. Etwa 60 Erwachsene seien schwer verletzt.

In der Crocus City Hall gibt es mehrere Veranstaltungssäle, die auch für Messen genutzt werden. Es ist eine der beliebtesten Freizeitstätten für die Moskauer und die Menschen im Umland der russischen Hauptstadt. Immer wieder sind dort auch Stars aufgetreten. Am Freitagabend hätte es ein Konzert der russischen Rockband Piknik geben sollen.

Russlands Präsident Wladimir Putin ließ sich nach Kremlangaben «seit der ersten Minute» über die Geschehnisse informieren. Er erhalte über die entsprechenden Dienste ständig alle wichtigen Informationen über das Geschehen und die eingeleiteten Maßnahmen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge.

Die Chefin des Föderationsrats, dem Oberhaus des russischen Parlaments, Valentina Matwijenko, drohte den Drahtziehern des Anschlags mit Vergeltung. «Diejenigen, die hinter diesem fürchterlichen Verbrechen stehen, werden die verdiente und unausweichliche Strafe dafür erhalten», schrieb sie auf ihrem Telegram-Kanal. Der Staat werde zugleich alles tun, um den Hinterbliebenen zu helfen, kündigte sie an.

Das ukrainische Außenministerium wies den Verdacht einer ukrainischen Verwicklung zurück. Die USA mahnten in einer ersten Reaktion ebenfalls an, keinen Zusammenhang mit der Ukraine herzustellen. «Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Ukraine oder Ukrainer mit den Schüssen zu tun hatten», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, in Washington. Man könne noch nicht viel zu den Details mitteilen, rate aber zu diesem frühen Zeitpunkt eindringlich von der Annahme ab, dass es eine Verbindung zur Ukraine gebe. Das US-Außenministerium riet amerikanischen Staatsbürgern vor Ort, große Menschenansammlungen zu meiden.

Die Europäische Union verurteilte den Angriff. Die EU sei schockiert und entsetzt, schrieb EU-Kommissionssprecher Peter Stano auf der Plattform X (früher Twitter). Die EU verurteile jegliche Angriffe auf Zivilisten. «Unsere Gedanken sind bei allen betroffenen russischen Bürgern.» UN-Generalsekretär António Guterres und der UN-Sicherheitsrat verurteilten den Anschlag ebenfalls.

Das Auswärtige Amt schrieb auf X von einem «furchtbaren Angriff auf unschuldige Menschen». Die Hintergründe müssten rasch aufgeklärt werden. «Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer», hieß es weiter. Auch Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sprach ebenfalls auf X von einem «feigen Angriff auf Menschen, die einfach nur Musik hören wollten».

Als Konsequenz des Anschlags bleiben am Wochenende alle Theater und Museen in Moskau geschlossen, darunter weltberühmte wie die Tretjakow-Galerie und das Puschkin-Museum. Zuvor hatte der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin gesagt, dass alle Großveranstaltungen in Europas größter Stadt abgesagt seien. Auch im Moskauer Umland sagten die Behörden Massenveranstaltungen ab.

2002 hatten tschetschenische Bewaffnete 850 Menschen in einem Musical-Theater in ihre Gewalt gebracht. Am vierten Tag des Dramas betäubte der Inlandsgeheimdienst die Geiselnehmer und die Geiseln mit einem Gas. Die Terroristen wurden erschossen. 135 Geiseln kamen ums Leben, die meisten von ihnen durch unzureichende medizinische Versorgung.


Kiew dementiert Beteiligung an Terroranschlag in Moskau

KIEW: Kurz nach dem mutmaßlichen Terroranschlag in Moskau werden die ersten Verdächtigungen Richtung Kiew laut. Doch die Ukraine wehrt sich entschieden gegen solche Verdächtigungen.

Vertreter Kiews haben den Verdacht einer ukrainischen Verwicklung in den mutmaßlichen Terroranschlag bei Moskau zurückgewiesen. «Die Ukraine steht in absolut keiner Beziehung zu den Vorgängen», betonte Mychajlo Podoljak, Berater von Präsidentenbürochef Andrij Jermak, in einer Videobotschaft bei Telegram am Freitag. Sein Land stehe mit Russland und der russischen Armee in einem Krieg und werde diese mit «entschiedenen Offensivhandlungen» zerschlagen. Gleichzeitig hob er hervor: «Die Ukraine hat im Unterschied zur Russischen Föderation niemals terroristische Methoden der Kriegsführung, Terrorismus als solchen angewandt.»

Für eine Beteiligung russischer Sicherheitskräfte an solchen Aktionen gebe es hingegen Präzedenzfälle in der jüngeren Vergangenheit, sagte er. Es seien schon ähnliche Terrorakte gegen eigene Bürger als Rechtfertigung für das Vorgehen gegen andere ethnische Gruppen im Land genutzt worden. Podoljak spielte damit auf Sprengstoffanschläge gegen Moskauer Hochhäuser im Sommer 1999 an, die der damalige Regierungschef Wladimir Putin als Begründung für den Zweiten Tschetschenienkrieg verwendete. Bis heute gibt es Spekulationen über eine Beteiligung des Inlandsgeheimdienstes FSB an den Explosionen.

Der ukrainische Militärgeheimdienst lastete den Anschlag ebenso russischen Geheimdiensten an. «Letztendlich begann Diktator Putin so seinen politischen Weg und mit genau diesen Sachen versucht er diesen zu beenden», sagte der Vertreter des Militärgeheimdienstes, Andrij Jussow, dem Onlineportal NV. Die auf ukrainischer Seite kämpfende Einheit russischer Paramilitärs «Legion Freiheit Russlands» machte ebenfalls den Kreml für den Anschlag in der Crocus City Hall verantwortlich.

Podoljak und Jussow verwiesen zudem auf Warnungen westlicher Botschaften. «Die Vorbereitung dieser Spezialoperation, dieser Terroranschläge von Seiten der russischen Geheimdienste ist für niemanden auf der Welt ein Geheimnis», behauptete Jussow.


Terrorexperte: IS-Bekennerschreiben zu Anschlag bei Moskau echt

LONDON: Der Terrorexperte Peter Neumann vom King's College in London hält das Bekennerschreiben der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zum Anschlag bei Moskau für echt. Das bestätigte Neumann am Freitag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. «Die Bekennernachricht lief über alle offiziellen IS-Kanäle. Ich und meine Kollegen können das 100%ig bestätigen», schrieb Neumann zudem auf X (vormals Twitter).

Der aus Deutschland stammende Wissenschaftler warnte auch vor Falschnachrichten, die auf russischen Telegram-Kanälen kursierten mit der Behauptung, die IS-Mitteilung sei gefälscht. Es gebe «bereits massenweise Fake-News -- vermutlich, um das Narrativ zu spinnen, die Ukraine sei für Anschlag verantwortlich», schrieb Neumann.

In einer auf dem Telegram-Kanal des IS-Sprachrohrs Amak verbreiteten Mitteilung hatte es zuvor geheißen, IS-Kämpfer hätten den Anschlag mit Dutzenden Toten und vielen Verletzten in der Stadt Krasnogorsk in der Region Moskau ausgeführt und sich anschließend in Sicherheit gebracht.

Dass der IS den Anschlag für sich reklamiert, ohne tatsächlich dahinterzustecken, hält Neumann für sehr unwahrscheinlich. Das Bekennerschreiben alleine sei noch kein hundertprozentig zuverlässiger Hinweis, aber in Verbindung mit den anderen Indizien halte er es «für ziemlich sicher, dass es was mit dem IS zu tun hat», sagte der Professor für Security Studies der dpa. Er wies unter anderem darauf hin, dass die US-Botschaft in Moskau bereits Anfang März vor der Gefahr eines Anschlags in Russland gewarnt hatte.

Neumann verwies insbesondere auf den IS-Ableger in Afghanistan, der sich Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) nennt und schon seit einigen Jahren einen bewaffneten Konflikt mit den militant-islamistischen Taliban austrägt. Der ISPK rekrutiere sehr aktiv in ex-sowjetischen Staaten in Zentralasien und im Kaukasus und werde auch mit Anschlagsplänen an Weihnachten in Köln, Wien und Madrid in Verbindung gebracht.


Moskauer Bürgermeister sagt alle Großveranstaltungen ab

MOSKAU: Nach dem mutmaßlichen Terroranschlag auf ein Veranstaltungszentrum sind in Moskau alle Massenveranstaltungen abgesagt worden. Dutzende Rettungswagen waren im Einsatz, um die Verletzten zu behandeln.

In Moskau sind nach dem mutmaßlichen Terroranschlag in der Crocus City Hall alle Massenveranstaltungen abgesagt worden. Das teilte Bürgermeister Sergej Sobjanin am Freitagabend mit. Alle Sport-, Kultur- und sonstigen Veranstaltungen seien abgesagt worden für das Wochenende, teilte der Bürgermeister in seinem Telegram-Kanal mit. Er bitte um Verständnis für die Maßnahme. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hatte zuvor bestätigt, dass es in der Crocus City Hall Tote und Verletzte gegeben habe.

Medien berichteten von etwa 40 Toten und mehr als 100 Verletzten sowie weiteren Explosionen nach Schüssen in einem Konzertsaal und einem Brand. Die Zahl wurde nicht offiziell bestätigt. An dem Gebäude waren lodernde Flammen zu sehen und eine riesige Rauchwolke. In den Zuschauersälen gibt es Tausende Plätze.

Das Dach des berühmten Gebäudes soll eingestürzt sein. Die Lage war unübersichtlich. Nach Behördenangaben waren Dutzende Rettungswagen im Einsatz und viele Busse, um Menschen in Sicherheit zu bringen.

Zuletzt hatten westliche Botschaften vor Terroranschlägen in Moskau gewarnt. Der Kreml hatte dies als Provokation des Westens bezeichnet.

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