Neulich, am Strand: Hugo, der Hahn

Neulich, am Strand: Hugo, der Hahn

Hugo, der Hahn unseres Nachbarn, wurde sehr alt. So alt, dass wir glaubten, er könne bei seinem irdischen Ende höchstens noch als Suppenhuhn etwas hergeben, oder er wird gleich im Miststock vergraben. „Den müsste man tagelang kochen, so zäh wird der sein“, witzelten wir. In Erinnerung blieb mir aber Hugo wegen seines einzigartigen Geschrei. Bei jedem Auto, bei jedem Passanten, bei allem was vorbei kam, schrie er. Oder besser gesagt: er krächzte. Den ganzen Tag, aber auch mitten in der Nacht. Hugo schien nie zu schlafen. Und sein Schrei war dermaßen markant, den konnte man nicht mehr vergessen! Jeder im Dorf kannte Hugo. Doch das ist nun schon Jahrzehnte her.

So laufe ich nun in Richtung Strand die Straße hinunter. Vorbei an leeren Bars, in denen sich die Mädels die Zeit mit ihren Handys vertreiben, statt mit Farangs. Diese sind, nach und nach, praktisch alle wieder zurück in die Heimat heimgereist, um frisches Geld für die nächste Saison zu verdienen. Das wichtigste Organ eines Farangs ist und bleibt halt immer noch die Geldbörse. Etwas weiter eine Massage, deren 10 bis 12 Damen und „Damen“ sich mit Herrichten, Schminken, graue Haare zupfen und dergleichen beschäftigen. Ihr Geplapper erinnert mich an das Gackern von Hühnern. Aufgeregtes diskutieren. Gekicher und Mauscheleien. Damenkränzchen halt. Nix mit Boxen, Fussball oder anderen wichtigen Dingen. Blumenschleifchen und Nagellack vermutlich. Als Farang verstehst du ja doch nichts. Und als Mann erst recht nicht!

Aber die Ladys lassen sich immerhin sehen. Eine ist hübscher als die andere. Eine Augenweide. Verständlich, träumen in Europas Betten einige Herren den letzten Ferien hinterher. Und sollte doch einmal Makel in der Erscheinung sein: mit Schminke und Paste kann alles großzügig zugespachtelt werden. Im Visuellen funktioniert das. Doch dann der Moment, der alles zunichte macht: „Welcame!“ Wehe, wenn sie das Maul aufmachen! „Welcaame!“, schreit eine Dame. Einige andere Masseusen schauen von ihren Spiegeln auf. Kollektives „Welcaame!“ folgt. Ich lache zurück. Doch da war noch etwas. Urplötzlich sieht mein geistiges Auge Hugo, den alten zähen Schreihals. Eine der Damen hat eine Stimme, die dem stolzen Gockel zur Zierde gereicht hätte. Doch welche? Mein Interesse war geweckt. So stelle ich mich vor die Damenschar und spiele verschmitzt den Dummen. „Was habt ihr gerufen?“, deute ich mit meiner Hand am Ohr an. Die Damen sind amüsiert. Gegenseitig kichern sie sich an. „Was will der Farang da von uns?“, fragen sie sich gegenseitig. „Welcaaame!!!“, gibt auf mein Zeichen zu den Damen eine nach der anderen zurück. Bis da die letzte ein Gekrächze von ihr gibt, die exakt dem von Hugo entspricht. Das gibt's doch nicht, durchfährt es mich. Hugo, er lebt!

Hugo lebt

Da sitzt zwar ein Ladyboy vor mir auf den Stufen, aber für mich steht fest: Er schreit wie Hugo! Wenigstens für mich. Dass es ein Ladyboy ist, tut nichts zur Sache. Schon mein Kumpel hat festgestellt, dass die schönsten Frauen Männer seien! Selbst den anderen Ladys fällt nun das kratzige Rufen der kräftig gebauten „Dame“ auf. Aufgeregt bereden sie die herbe Stimme des umgebauten Herrn. „Ja, alles lässt sich halt auch nicht machen. Eine helle heitere Stimme ist einem gegeben, oder eben auch nicht“, scheint das Thema zu sein. „Was nützt da alles Silikon?“, denke ich und ziehe weiter. Den Damen scheint es egal zu sein. Ha, dass ich dem Hugo nochmals in meinem Leben begegne, dass hätte ich auch nicht gedacht.

Selbst in meiner Stammkneipe herrscht Flaute. Herrlich für mich. Ich kann nun wieder meinen Lieblingsplatz einnehmen. Keine Pöbeleien, kein dummes Gelabbere, die Helden sind alle wieder abgezogen. Der Lärmpegel ist wieder erträglich, man kann sogar die Hintergrundmusik wieder hören. Die Ladys tummeln sich in den Sesseln herum und bearbeiten ihre Handys. Vermutlich chatten sie mit ihren diversen internationalen Bekanntschaften. Der heimgekehrte Farang will gepflegt, sprich bearbeitet, werden. Auch zu Hause im fernen Europa. Einige Damen haben mehrere Handys. Für jeden Farang eins, da behält man den Überblick leichter. Norwegen, Deutschland, England... Ordnung muss sein. Und die nächste Saison muss auch gut organisiert sein. Was, wenn zwei Farangs gleichzeitig da wären? Doch sie wären keine Thais, wenn sie solche Lappalien nicht organisieren könnten. Da wird vielleicht die Mutter im Isaan krank, oder der Büffel ist versoffen. Etwas wird ihr schon in den Sinn kommen, um den überzähligen Farang hinzuhalten.

Eigentlich hätte ich gerne ein Bier bestellt. Doch die Ladys sind dermassen auf ihre iPhone fixiert, dass ich nicht wahrgenommen werde. Erst bei meinem Tischklingeln bequemt sich eine Dame in knappen Hotpants, ihren Blick auf ihr iPhone fixiert und weiter die Tasten drückend, mir ein Bier hinzustellen. In der Hochsaison wurde ich aber schneller bedient, denke ich. Die Nebensaison ist zwar schön, aber hat auch seine Schattenseiten. Aber lassen wir die Damen ackern. Da schreit Hugo in der Ferne: „Welcaame!“

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