Zwischen Rinnsal und Tsunami

Die Kölner und der heilige Fluss

Collage: DER FARANG
Collage: DER FARANG

KÖLN: Die Kölner sind mit dem Rhein seit 2000 Jahren auf das Engste verbunden. Der Fluss galt ihnen sogar als heilig. Und schon immer bestand ihre größte Angst darin, dass er eines Tages verschwinden könnte.

Kölner haben oft eine besondere Verbindung zum Rhein. «Der Rhein ist das Interessanteste an Köln», sagt die Feministin Alice Schwarzer, die von ihrem Büro in der «Emma»-Redaktion auf die tuckernden Frachter schaut. Und BAP-Sänger Wolfgang Niedecken erzählte vor einiger Zeit der Deutschen Presse-Agentur: «Für mich war der Rhein von Kind an immer schon die Hauptattraktion.»

Doch zurzeit bietet der stolze Strom ein trauriges Bild: Durch die extreme Trockenheit ist er zum Rinnsal verkommen. «Titanic»-Chefredakteur Moritz Hürtgen dichtet auf Twitter: «Kölle, dat war ming Stadt am Rhing, Jetzt kütt de Klimakrise, (...) d'r Rhing ist bald ne Wiese.»

Die Kölner und der Rhein - diese Beziehung ist deshalb so intensiv, weil sie unvorstellbar tief in die Geschichte zurückreicht. Schon der Aufstieg der Stadt zu einer der größten Römerstädte vor 2000 Jahren ging letztlich auf dieses Fließband zur Warenbeförderung zurück: Olivenöl, Fischsaucen aus Spanien, Feigen aus Afrika, Austern aus dem Mittelmeer, Pfeffer aus Indien - das kam alles über den Fluss.

Was heute in Vergessenheit geraten ist: Der Rhein war lange auch der wichtigste Energielieferant. Im Mittelalter, als Köln die größte deutschsprachige Stadt war, bot sich ein kurioses Bild: Kleine Häuser ragten aus dem Fluss auf. Sie hatten Namen wie Johann, Coni, Wienand oder Ludwig. Die merkwürdigen Gebilde waren schwimmende Mühlen, die den größten Teil des Kölner Getreides mahlten. Die Strömung trieb die Mühlräder an. Mit Ketten waren die Rheinmühlen im Untergrund des Flusses befestigt. Auf der ältesten Ansicht Kölns von circa 1411 im Wallraf-Richartz-Museum kann man diese Wunderwerke der grünen Energiegewinnung noch bestaunen.

Die Kölner betrachteten den Rhein damals als heiligen Fluss. Er besaß die Macht, Sünden abzuwaschen und Unglück fernzuhalten. Wie die Inder zum Ganges pilgerten die Kölner zum Rhein, um sich in seinem Wasser einer spirituellen Reinigung zu unterziehen. Der italienische Dichter und Humanist Francesco Petrarca (1304-1374) hat dieses Zeremoniell im Reportagestil beschrieben: «Manche hatten sich mit Kräutern geschmückt und die Ärmel bis zum Ellbogen aufgestreift. So wuschen sie in fröhlichem Durcheinander die weißen Arme im reißenden Strom und plauderten dabei in ihrer fremdartigen, einschmeichelnden Sprache.»

Derselbe Fluss, der so verehrt wurde, konnte aber auch «ein dunkler Gott» sein, wie es der Kölner Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll (1917-1985) ausgedrückt hat. Bei Hochwasser wurde der lebensspendende Strom zur tödlichen Gefahr. Die schlimmste Katastrophe ereignete sich im Jahr 1784, als der Rhein auf der Höhe von Köln zufror. Der Mittelrhein war aber noch teilweise offen, so dass immer mehr Eisschollen nach Köln getrieben wurden und sich dort zu gewaltigen Eisbergen auftürmten.

Mitte Februar setzte Tauwetter ein, und die Eisdecke brach: Köln wurde von einer riesigen Welle geflutet. Ein Augenzeuge übersah von einer Turmspitze aus die Folgen dieses Rhein-Tsunamis: «Ich sah ein ganzes Meer und Berge von Eisschollen!»

Trockenheit konnte aber auch ein Problem sein, weil dann die Schiffe nicht mehr von den Hafenkais aus beladen werden konnten. Der größte Alptraum der Kölner war, dass der Rhein eines Tages ganz verschwinden könnte. So unglaublich es sich anhört, zeitweise war diese Angst sehr konkret: Im 14. Jahrhundert spaltete sich der Rhein bei Hochwasser in zwei Arme: Der eine floss im gewohnten Bett an Köln entlang, der andere aber viel weiter östlich an Deutz vorbei. Und dieser Arm wurde immer breiter. Im Kölner Stadtrat wuchs die Sorge, der Rhein könnte sich auf Dauer ganz in das benachbarte Herzogtum Berg verdünnisieren. Dann hätten Köln buchstäblich auf dem Trocknen gesessen.

Deshalb ließen die Kölner Politiker das Ufer befestigen, vornehmlich durch Bepflanzung. Ende des 16. Jahrhunderts entstanden nach langwierigen Verhandlungen mit dem Kölner Erzbischof, dem das Territorium gehörte, Dämme aus Eichenstämmen und Basalt, die weit in den Fluss hineinragten und sich dreieinhalb Meter hoch aus dem Wasser erhoben. Die Maßnahmen hatten tatsächlich Erfolg - der Rhein blieb den Kölnern erhalten. Diesmal hat der Stadtrat noch keine so innovative Idee entwickelt. Es bleibt nur die Hoffnung - auf Regen.

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