Dortmunder «Tatort» über Hetze und Fake News

​Zwischen den Extremen

Fotokonferenz zum Tatort Dortmund. Archivfoto: epa/BERND THISSEN
Fotokonferenz zum Tatort Dortmund. Archivfoto: epa/BERND THISSEN

DORTMUND: Ein Mord in einem Dortmunder Hochhauskomplex setzt nicht nur Ermittlungen, sondern auch eine Woge von gefährlichen Lügen in Gang. Erstmals ist Stefanie Reinsperger als neue Kollegin Herzog mit dabei.

War das Schloss schon aufgebrochen und wem gehört der Bolzenschneider am Tatort? «Kann das mal einer rausfinden?» Der allererste Auftritt der neuen Ermittlerin im Dortmunder «Tatort» ist schroff. Aber wohl genau deshalb lässt sich vermuten, dass sie sich einfügen wird in das spezielle Team um den einsamen Wolf Peter Faber (Jörg Hartmann) und seine Kollegen. Stefanie Reinspergers Debüt als Hauptkommissarin Rosa Herzog in der Episode «Heile Welt» am Sonntag (Das Erste, 20.15 Uhr) ist ein packender Fall rund um Rassismus, Hetze, Vorverurteilung und vermeintliche Wahrheiten ohne Grautöne.

In einer Dortmunder Hochhaussiedlung ist eine Frau erschlagen worden. Einiges deutet auf eine versuchte Vergewaltigung hin, Spuren hochwertigen Kokains am Tatort weisen in eine ganz andere Richtung. Um Beweise zu vernichten, legte der Täter jedenfalls offenbar Feuer. Ganz Dortmund spricht über die Tote im sozialen Brennpunkt.

Schnell drängen sich Verdächtige auf. Besonders Hauptkommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt) ist überzeugt, im Sohn des Imams einen potenziellen Mörder gefunden zu haben. Immerhin ist der Nachbar des Opfers schon wegen Kokainbesitzes aufgefallen. Sie glaubt, dass die junge Frau sterben musste, weil sie im Kellerraum deponiertes Kokain gefunden und den jungen Dealer Hakim Khaled (Shadi Eck) zur Rede gestellt hat. Als der in Handschellen abgeführt wird, nutzen das rechte Hetzer prompt, um ihre Klientel aufzustacheln.

In einer anderen Internetblase wird Bönisch dagegen zum angeblichen «Nazi über Nacht», wie sie selbst resümiert. Jemand hat gefilmt, wie sie den jungen Khaled sehr ruppig abführt, als er sich gegen die Festnahme wehrt. Das Video landet im Netz. Im Kontext mit weiteren vermeintlichen Recherchen eines linken Internet-Blogs wird das Bild einer offen rassistischen, gewalttätigen Polizistin konstruiert. Ein Shitstorm zieht auf, mit gravierenden Folgen nicht nur für Bönisch.

«Je mehr die Leute sehen, desto blinder werden sie», lautet ein Schlüsselsatz aus Fabers Mund zum Thema von «Heile Welt» (Buch: Jürgen Werner; Regie: Sebastian Ko). Von Emotionen und dem Wunsch nach eigener Weltbildbestätigung getrieben, schaukeln sich vor allem in den sozialen Medien extreme Auffassungen, Angst und Vorverurteilungen hoch. Schon die Anfangsszene lässt anklingen, dass die Lage nur 48 Stunden nach dem Mord und der Brandstiftung eskalieren wird.

Auf dem Weg dahin lernt der Zuschauer die neue Kollegin Rosa Herzog kennen. Sie folgt auf Nora Dalay (Aylin Tezel), die sich als Ermittlerin verabschiedet hat. Man erlebt Herzog als nachdrücklich, gründlich und durchaus empathisch. Ihre ersten Auftritte lassen gleichzeitig neugierig auf die neue Figur werden: Was hat sie erlebt, dass sie gelegentlich nervös und unsicher, dann in Gefahrensituationen emotional aufbrausend reagiert? Sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihren eigenen Kopf und viel Herz hat. Wird das in dem Team aus lauter Einzelkämpfern auf Dauer gut gehen?

Und überhaupt Beziehungen zwischen einsamen Wölfen: Kaum hat Bönisch etwas mit einem Kollegen von der Spurensicherung am Laufen, scheint Faber klar zu werden, was er will. Treibt ihn Eifersucht oder das Zurückgeworfen-Sein auf die eigene Einsamkeit? Jedenfalls wird der ewig Parka tragende Einzelgänger geradezu zum Romantiker.

Dass die Dreharbeiten mitten im Coronajahr 2020 die Drehorte mitbestimmten, erkennen unterdessen höchstens Eingeweihte und Einheimische: Der schäbige Hochhauskomplex mit dem zunehmend verwaisten Einkaufszentrum ist für Ruhrgebietsstädte zwar durchaus typisch - das «Gerberzentrum» am Dortmunder Stadtrand aber fiktiv. Da man coronabedingt möglichst wenig hin und her reisen wollte, war ein Drehort im rheinischen Leverkusen zusätzlich zum Set in Köln gewählt worden, erklärte dazu der WDR.

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