Zwei Schwiegertöchter

Zwei Schwiegertöchter

Es war einmal eine Familie. Sie bestand aus Vater, Mutter und zwei Söhnen. Es war eine strebsame Familie. Genug zu essen war vorhanden, aber deshalb legten die vier die Hände nicht in den Schoß. Fleißig waren sie, und so gab es bald auch etwas Geld, um es auf die hohe Kante zu legen, wenig genug, aber viele Male wenig bringt schließlich viel. Ihr Erspartes nahmen sie und kauften sich dafür ein Stück Land, um Gemüse zu ziehen.

Durch ihren Eifer und Fleiß gedieh ihr Garten gut. Kräftig und gesund waren die Pflanzen, und es gab für ihr Gemüse viele Abnehmer, wenn sie es auf dem Markt feilboten.

Viele Jahre kamen und gingen. Vom Gewinn ihres Handels konnten sie sich ein schönes Stück Geld zurücklegen. Von diesem Gelde kauften sie Hühner, Enten und Schweine, die sie mit den Gemüseresten ihrer täglichen Ernte fütterten, so dass nichts mehr umkam und alles Nutzen brachte. Die Überbleibsel ihres Gemüses gaben sie also den Enten, Hühnern und Schweinen zu fressen, und diese gediehen prächtig.

Die Wirtschaft vergrößerte sich mit wachsendem Wohlstand ständig, und es wurde deutlich, dass sie zu viert die Arbeit nicht mehr schaffen konnten. Sie brauchten zwei kräftige Helfer.

Von Jahr zu Jahr hatten sie mehr Geld ersparen können, und so fiel es ihnen nicht schwer, einen Teil davon für Gold und Edelsteine abzuzweigen, die sie von den Eigentümern preiswert kaufen konnten. Einen anderen Teil ihrer Ersparnisse steckten sie in Grundstücke, wo sie Orangen-, Limonen- und Lamyai-Bäume pflanzten, gar viele hundert.

Eines Tages setzten sich die Eltern zusammen und berieten darüber, wie sie ihr wachsendes Vermögen verwalten sollten. Mit unermüdlichem Einsatz und beispielloser Ausdauer hatten sie sich viele Werte und Schätze geschaffen, die sich mehren sollten. Was würde geschehen, wenn ihre Söhne die Kunst des Haushaltens nicht beherrschten? Die beiden Alten waren sich einig: ihr Vermögen sollte jemandem anvertraut werden, der damit pfleglich umgehen würde. Die Mutter überlegte, und dann teilte sie dem Vater ihren Gedanken mit. Je mehr sie darüber nachdachten, desto besser gefiel ihnen ihre Idee. Jawohl! Was die Großmutter vorgeschlagen hatte, sollte geschehen.

Am Abend teilte der Großvater die Hälfte vom Inhalt seiner Schatztruhe auf. Jeder der beiden Söhne erhielt den gleichen Anteil. Die Mutter war inzwischen ausgegangen. Sie hatte ein Nachbarhaus besucht, wo bei den Eltern Zwillingsmädchen wohnten, die gerade erwachsen geworden. Diese Jungfrauen hatte die Alte für ihre Söhne auserkoren. Die Eltern wurden schnell einig und erbauten für die beiden jungen Paare in ihrem Gehöft zwei hübsche Häuschen.

Nachdem die beiden Söhne nun ihren eigenen Hausstand führten, machte die Mutter bei ihnen die Runde. Regelmäßig stattete sie ihren Söhnen Besuch ab und beobachtete ihre Schwiegertöchter dabei genau. Sie wollte erfahren, wie diese ihren Hausstand in Ordnung hielten und ihr Vermögen verwalteten. An dem einen Tag lud sie sich bei dem älteren Sohn und seiner Frau zu Gast, an dem anderen beim jüngeren, und beide Schwiegertöchter hielt sie dabei stets im Auge.

Bei einem ihrer Besuche hatte die Großmutter ein paar Nähnadeln mitgebracht. Jede der jungen Frauen erhielt von ihr ein Schächtelchen. Die Frau des Älteren legte ihre Schachtel auf den Tisch irgendwo zu den Lebensmitteln. Die Frau des Jüngeren verwahrte ihre Schachtel in einem kleinen Fläschchen, und dieses Fläschchen schloss sie an einem sicheren Ort ein.

Bei einer anderen Gelegenheit hatte die Mutter süße Tamarindenfrüchte bei sich, die sie in ihrem Garten gepflückt hatte, je ein Büschel. Ihre Schwiegertöchter bat sie um einen Gefallen, nämlich die Früchte zu entkernen. Die jüngere nahm die Kerne und pflanzte sie an der Grundstücksgrenze ein, damit dort ein Zaun entstehen konnte. Die ältere Schwiegertochter warf ihre Kerne fort.

Ein andermal brachte die Mutter zwei Dolden mit Areka-Nüssen, die sie eben erst in ihrem Garten geschnitten hatte. Jeder der beiden Frauen gab sie eine Dolde und bat, ihr die Nüsse abzudrehen. Die ältere Schwiegertochter ließ es sich bei der Arbeit gut schmecken und kaute manche Nuss klein. Um aber von der Alten keine Vorwürfe einstecken zu müssen, spülte sie sich anschließend den Mund, so dass ihre Zähne wieder strahlten. Dann brachte sie der Schwiegermutter die Nüsse ins Haus.

Die jüngere brachte der Mutter ihres Mannes ebenfalls die abgepflückten Nüsse, sobald sie fertig war. Unterwegs steckte sie sich eine in den Mund. Die Mutter verglich die Menge der Nüsse, die ihr ihre Schwiegertöchter gebracht hatten, und da zeigte es sich, dass die jüngere eine viel größere Menge abgepflückt hatte als die ältere. Das kam ihr eigenartig vor, und so fragte sie:

"Du hast von den Nüssen gekostet, nicht wahr? Wie kommt es aber, dass du mir viel mehr mitgebracht hast als deine Schwägerin, die ganz offenbar nichts davon zwischen den Zähnen hatte?”

Die Frau des Jüngeren antwortete:

"Ich habe dir alle Nüsse gebracht, die sich an meiner Dolde befunden. Nur eine verwachsene kleine habe ich in den Mund gesteckt, du hättet sie gewiss weggeworfen.”

Die Mutter hörte es und schwieg still.

Nach einer Weile nahm sie ihre Besuche wieder auf. Diesmal zog sie ein abgetragenes Kleid an, das schon hier und da einen Riss hatte. Sie bat ihre ältere Schwiegertochter, das Kleid auszubessern. Aber wie viel diese auch suchen mochte, sie konnte ihre Nähnadeln nicht finden. Die Mutter ging nun zu der jüngeren. Diese hatte die Nadeln alle gut aufbewahrt, sie waren vollzählig vorhanden. Als die Mutter sie bat, ihr das Kleid zu flicken, entgegnete sie nur:

"Die Nadeln, die du mir damals gegeben, sie liegen zur Benutzung bereit.”

Die Mutter vernahm es mit Vergnügen, sagte aber nichts.

Eine Weile später sprach sie wiederum bei ihrer älteren Schwiegertochter vor. Sie klagte über Hunger:

"Hast du etwas zu essen für mich?” fragte sie.

Die Frau ihres Ältesten bat ihre Schwiegermutter, sich zu gedulden. Sie müsse erst zum Markt gehen, um dort an den Speiseständen für sie einzukaufen. Die Alte war es zufrieden und wartete, bis die junge Frau wiederkam, es waren alles teure Leckerbissen und zum Nachtisch süßes Gebäck noch dazu. Die Mutter ass, verabschiedete sich und ging nach Haus.

Zwei oder drei Tage später besuchte sie ihre jüngere Schwiegertochter. Sie habe Hunger, behauptete sie. Die junge Frau war gerade dabei, Fisch zu braten, gewürzt mit frischen Tamarindenblättchen. Das sah die Schwiegermutter und fragte:

"Wo hast du denn diese hübschen zarten Blättchen her?”

Die Antwort lautete:

"Diese Tamarindensprossen sind aus den Kernen entstanden, die übrig waren, als ich dir damals die Tamarindenschoten entkernte.”

Das wunderte die Alte, und sie fragte weiter:

"Eh, Kind, wie hast du denn das gemacht? So schnell können die Kerne doch gar nicht gekeimt und ausgeschlagen haben!”

Die Schwiegertochter entgegnete:

"Ich habe sie in die feuchte Erde am Rande des Grundstücks gesteckt, damit dort eine Hecke entsteht. Gut gewässert haben sie schnell getrieben, und nun sind sogar schon Blätter gewachsen, liebe Mutter!”

Die Mutter konnte es nicht fassen. Sie schaute, wohin die Schwiegertochter deutete, und sah eine Reihe kleiner Tamarindenbäumchen, stramm aufgeschossen an der Grundstücksgrenze, ein richtiger lebendiger Zaun, eine Augenweide. Während sie noch in dem Anblick schwelgte, kam die Tochter und brachte ihr süsse Bananen in Kokosmilch, gekocht und gegart, mit einer Prise Salz bestreut und etwas Palmzucker überpudert. Davon sollte sie essen, damit ihr die Zeit nicht lang würde, während der Fisch noch briet. Als das Essen aufgetragen war, sprach sie ihm nach Herzenslust zu und ass alles auf, so gut schmeckte es ihr.

Nach Hause zurückgekehrt, erzählte sie ihrem Manne, was sie erlebt hatte, vom Anfang bis zum Schluss. Der Alte wusste nun, dass niemand anderes als die Frau seines jüngeren Sohnes seine Schätze und Reichtümer betreuen sollte.

Vater und Mutter übergaben ihren ganzen Besitz ihrem jüngeren Sohn und seiner Frau, ihn zu verwalten und zu mehren.

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