Zurück in die Zukunft? Union, Söder und Merz vor neuen Ungewissheiten

Der Vorsitzende der Christlich-Sozialen Union (CSU) Markus Soeder spricht während einer Pressekonferenz nach der Bundestagswahl in München. Foto: epa/Lukas Barth-tuttas
Der Vorsitzende der Christlich-Sozialen Union (CSU) Markus Soeder spricht während einer Pressekonferenz nach der Bundestagswahl in München. Foto: epa/Lukas Barth-tuttas

MÜNCHEN/BERLIN: Während sich die neue Ampel-Regierung in Berlin in möglichst geräuschloser Arbeit versucht, sucht die Union noch immer ihren neuen Kompass. Die Zeit drängt, denn schon bald wird wieder gewählt.

Was waren das noch für Zeiten: «Goldene Zwanziger» hatte sich Markus Söder Anfang der aktuellen Dekade gewünscht. Selbstverständlich mit ihm als unangefochtenen bayerischen Ministerpräsidenten und auch in Berlin als einflussreicher CSU-Chef, vielleicht hat er dabei sogar an seine eigene Kanzlerschaft gedacht.

Anfang 2022 - Söder hat gerade seinen 55. Geburtstag gefeiert - ist in seinem Alltag und auch in der Union so gar nichts golden: In Berlin hochkant aus der Regierung geflogen, CDU und CSU haben sich noch immer nicht vom heftigen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur erholt, in Bayern dümpelt die CSU in Umfragen nur noch bei 35 Prozent und die nächste Corona-Welle hat gerade begonnen. Regelrecht passend zur allgemeinen Lage fügt sich da die wegen Corona-Infektionen kurzfristig abgesagte Klausur der CSU-Landesgruppe ins Bild.

«Hoffentlich wird es ein besseres Jahr als das letzte», sagt Söder gleich zu Beginn seiner Rede beim CSU-Neujahrsempfang in die Kamera in der Münchner Parteizentrale. Wie so oft in den vergangenen Monaten muss die Veranstaltung digital abgehalten werden. In seiner Hand hält Söder eine Tasse des Film-Klassikers «Zurück in die Zukunft» («Back to the Future») und wer ihn kennt, weiß, dass er mit seinen Trinkgefäßen schon so manche Botschaft inszenierte.

Als der erste Teil der Trilogie über die Zeitreisen des Jugendlichen Marty McFly 1985 in die Kinos kam, war niemand anderes als Söders größtes Vorbild, Franz Josef Strauß, noch in Ämtern und Würden und die CSU hatte bei der zurückliegenden Landtagswahl 58,3 Prozent geholt.

Die Gegenwart von CSU und CDU ist anders. Nach 16 Jahren Regierung ist nun wieder Opposition angesagt. Und als reiche das nicht aus, steht die große Schwester CDU vor dem nächsten Wechsel an der Parteispitze - seit Söder 2018 den CSU-Vorsitz übernommen hat, gab es in der CDU mit Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet und dem in den Startlöchern stehenden Friedrich Merz drei Parteichefs. Nur wenige Fußballvereine im Abstiegskampf verschleißen mehr Trainer.

Söder will aber an das auch für ihn persönlich schlechte Jahr 2021 nicht mehr denken. Sein Fokus - und der der CSU - gilt einzig 2023. Dann wird in Bayern wieder gewählt, dann muss Söder ein gutes Ergebnis liefern, will er auch für ihn persönlich gefährliche Fliehkräfte verhindern. Denn eines ist klar, Söder sitzt in der CSU zwar noch immer fest im Sattel - aber eben nur solange, wie Basis, Funktionäre und auch die Landtagsfraktion ihm zutrauen, das Ruder wieder rumreißen zu können. 2023 wird Söders Schicksalsjahr.

Er wünsche sich zum Jahreswechsel mehr Optimismus und weniger Jammern, sagt Söder in seiner Ansprache und liefert gleich ein eigenes Beispiel dafür, dass auch er jetzt neu anpacken wolle. Seit dem perfekt inszenierten Treffen mit Merz vor wenigen Tagen am Kirchsee unweit von Bad Tölz sei er überzeugt, es werde nun besser. Mit Merz könne es gelingen, ein neues Kapitel für neue Gemeinsamkeiten in der Union aufzuschlagen.

Und als reiche das nicht, deutet er auch an, in Bayern sein Team neu aufstellen («verfeinern») zu wollen, um für 2023 gerüstet zu sein. Nicht wenige erwarten, dass Söder schon bald sein Kabinett umbildet.

Doch auch mit neuem Schwung durch neues Personal, auch Söder weiß dass die CSU in Bayern ohne eine gute Zusammenarbeit mit einer starken CDU auch keinen Erfolg haben wird.

Für Söder und die CSU ist das ein Arbeitsauftrag für 2022 und eine Erwartungshaltung der CDU: Anders als im auch gerade deshalb gescheiterten Bundestagswahljahr fordert die CDU unter Merz auch die klare Loyalität der CSU für die Landtagswahlen in den nächsten Monaten ein. Bei den Abstimmungen im Saarland, in Schleswig-Holstein, NRW und Niedersachsen geht es für die Union nicht nur um Erfolge für das angekratzte Seelenheil, es geht auch darum, zumindest über den Bundesrat noch einen politischen Machthebel in der Hand zu haben.

Während sich Merz in Erwartung seiner in wenigen Tagen anstehenden offiziellen Wahl auf dem CDU-Parteitag samt Briefwahl noch recht bedeckt mit Äußerungen hält, setzt Söder in seiner Ansprache gleich mal eine Messlatte für das neue Jahr. Zwar wolle er nicht Oppositionsführer in Berlin werden, aber die Liste der Kritikpunkte an der neuen Regierung von SPD, FDP und Grünen im Bund könnte oppositioneller nicht sein: Finanzen, Außenpolitik - in allen Bereichen wirft Söder der Ampel fundamentales Versagen vor. Söder wird mindestens bis zur Wahl keine Gelegenheit auslassen, Bayern als Gegenentwurf zur Bundesregierung zu präsentieren.

Der CSU (und der CDU) schreibt er ins Stammbuch, sie müsse sich als «liberal-konservativ-bürgerliche Kraft der Mitte» wieder verstärkt um Stammwähler kümmern, um eine «neue soziale Mitte». Zugleich müssten (für ein gutes Wahlergebnis) aber auch neue Zielgruppen etwa in Städten und Intellektuelle erreicht werden. Dabei müsse die neue Beinfreiheit genutzt werden, «wir sind nicht mehr Teil der Regierung, müssen nicht mehr um Kompromisse feilschen».

Doch die Corona-Krise hat die Union auch intern in Mitleidenschaft gezogen. Das Lager der Bürgerlich-Konservativen, darunter viele Mittelständler und Selbstständige, hadert mit den Auflagen. Wer Söder dieser Tage erlebt, hört einen nachdenklicheren Politiker, dem die ihn früher auszeichnende Leichtigkeit ein wenig abhanden gekommen scheint. Dazu passen auch Söders Schlussworte in der Ansprache: «Ich weiß auch, dass nicht alles perfekt ist, weder in der CSU noch in unserem Land. Aber das war es doch noch nie.»

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