«Die verlorene Tochter»: Leben mit der Lüge

Nach zehn Jahren drohen die Schatten der Vergangenheit Isa von Gems (Henriette Confurius) einzuholen in einer Szene der Miniserie «Die verlorene Tochter». Foto: Alexander Fischerkoesen/Zdf/dpa
Nach zehn Jahren drohen die Schatten der Vergangenheit Isa von Gems (Henriette Confurius) einzuholen in einer Szene der Miniserie «Die verlorene Tochter». Foto: Alexander Fischerkoesen/Zdf/dpa

BERLIN (dpa) - Vom Verlust von Erinnerung und Identität sowie familiären Abgründen erzählt eine ZDF-Miniserie. Der packende Sechsteiler ist mit Henriette Confurius, Claudia Michelsen, Christian Berkel und Götz Schubert erstklassig besetzt. Regie führt ein Grimme-Preisträger.

Mit dem Rückblick auf eine Schulparty 2009 beginnt jede Episode der sechsteiligen Event-Miniserie «Die verlorene Tochter». Gymnasiasten feiern. Sex, Drugs und Rock'n'Roll spielen eine Rolle. Ebenso eine Mutter und Elternratsvorsitzende, die im Auto vor der Schule mit einem der Väter rummacht - und dabei von ihrer Tochter Isa gesehen wird. Seither sind rund zehn Jahre vergangen. Und das junge Mädchen Isa bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Das Besondere an den sechs Einstiegs-Rückblicken ist, dass jedes Mal neue Facetten und Personen hinzukommen, die das undurchsichtige Geschehen immer komplexer machen.

Nur einer mag sich in dem Familiendrama mit Krimi-Elementen (Montag, 27. Januar, 20.15 Uhr im Zweiten) mit dem von Polizei und Familie angenommenen Tod der schönen Isa von Gems nicht abfinden: Peter Wolff (Götz Schubert, «Wolfsland»), der Liebhaber aus dem Auto, Ehemann, zweifacher Vater sowie damals ermittelnder Kommissar. Von der Behörde gekündigt, arbeitet er heute als Wachmann bei den von Gems. Das sind Brauereibesitzer, die in ihrem Schloss das 200. Jubiläum ihrer Firma vorbereiten. Wie ein einsamer Wolf streicht der struppige Mann durch das Gelände, verbeißt sich in seinem Schuppen in alte Akten. Bis er eines Nachts jemand im Auto dicht an ihm vorbeifährt.

«Ich habe Isa gesehen. Gerade eben», sagt Wolf zu einem ehemaligen Polizei-Kollegen. «Ich will die ganze Scheiße nicht wieder aufwühlen», lautet dessen barsche Antwort. Und auch die Reaktion der in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Familie von Gems erscheint ominös, als Isa (Henriette Confurius, «Tannbach») tatsächlich auftaucht. Vater Heinrich (Christian Berkel, «Der Kriminalist») etwa wirkt eher entsetzt. Gerade jetzt, da sein Sohn und Erbe Philipp (Rick Okon, «Tatort» Dortmund) Nachwuchs bekommen hat und die neue Generation helfen kann, die alte Wunde vernarben zu lassen, soll alles erneut in Frage gestellt werden?

Mutter Sigrid (Claudia Michelsen, «Ku’damm 59») dagegen schöpft Hoffnung: Sie sieht den Hauch einer Chance, dass nun alles so werden könnte, wie sie es sich einmal erhofft hatte. Dabei hat Isa das Gedächtnis verloren - und mit einer Lüge in Frankreich gelebt. Sie ist gekommen, um zu erfahren, wer sie ist. Soweit die Ausgangslage der vielschichtigen Geschichte, die der zweifache Grimme-Preisträger Kai Wessel (58, «Aufbruch ins Ungewisse») nach einem Drehbuch von Christian Jeltsch in der hessischen Provinz mit feinem Gespür für Atmosphäre und menschliche Zusammenhänge inszeniert hat. In oft malerischer Umgebung - Fachwerkstraßen, Wäldern, Schlossambiente - erzählt die Produktion von X Filme Creative Pool (Berlin) von Sexualverbrechen und Familiengeheimnissen, Tradition, Stolz und Wirtschaftskriminalität.

Vor allem jedoch geht es um Identität, Wahrheit und Glück. Und was Vergangenheit und Erinnerung beziehungsweise das Davonlaufen davor damit zu tun haben. Ein Thema, zu dem der Schauspieler Berkel auch persönlich viel zu sagen hat, schildert er doch in seinem Roman «Der Apfelbaum» (2018) das lange Zeit verdrängte Schicksal seiner eigenen Familie.

Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Hamburg plädiert Berkel dafür, dass sich am besten jeder mit seiner Vorvergangenheit beschäftigen möge. «Wenn man spürt, hier fehlt mir ein Kapitel in meiner Familiengeschichte, ist das auch eine Lücke in der eigenen Identität», meint Berkel. «Auch wenn man es nicht konkret empfindet, kann es in alle möglichen Richtungen führen. Jemand kann erstarren, trinken, depressiv, spielsüchtig oder drogensüchtig werden. Weil er etwas füllen muss.»

Für seine junge Kollegin Henriette Confurius war die komplexe, oft stumm bleibende Figur der Isa eine Herausforderung, wie sie der dpa in der Hansestadt erklärt. «Für mich war es emotional sehr schwierig, aber auch wahnsinnig spannend, das, was das Mädchen erlebt hat, so nah an mich ranzulassen und zu verarbeiten», sagt die 28-Jährige. Schon beim Lesen des Drehbuchs habe sich bei ihr Mitgefühl eingestellt.

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