Zum 150. Geburtstag

Barlachs Kunst weckt noch immer die Emotionen

Magdalena Schulz-Ohm, Geschäftsführerin, steht in der Ernst-Barlach-Stiftung im Atelierhaus zwischen den Plastiken
Magdalena Schulz-Ohm, Geschäftsführerin, steht in der Ernst-Barlach-Stiftung im Atelierhaus zwischen den Plastiken "Frierende Alte" (l-r, 1937) und "Magdeburger Ehrenmal" (1928/29). Foto: Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa

GÜSTROW (dpa) - Ernst Barlachs Plastiken sind in der ganzen Welt bekannt. Nun soll eine neue Ausstellung Besuchern den Künstler und sein Werk näher bringen.

Ernst Barlach ist einer der Künstler, die die Bildhauerszene des 20. Jahrhunderts geprägt haben. «Er schafft es, mit reduzierten, ruhigen Formen sehr starke Emotionen zu wecken», sagt Magdalena Schulz-Ohm. Die Kunsthistorikerin leitet die Ernst-Barlach-Stiftung im mecklenburgischen Güstrow. Im dortigen Atelier am Inselsee entstanden ab 1931 seine Spätwerke. Im Jubiläumsjahr anlässlich seines 150. Geburtstags (2. Januar) will die Stiftung die 20 Jahre alte Dauerausstellung im Atelierhaus neu gestalten. «Wir wollen neue Perspektiven auf sein vielseitiges Werk zeigen.» Das Atelier ist als einer der wenigen Orte erhalten geblieben, in denen Barlach (1870-1938) gearbeitet hat.

Barlach habe es stets geschafft, sich in seinen Werken auf das Wesentliche zu konzentrieren, betont Schulz-Ohm. In den Gesichtern sei eine unheimlich starke Ausdruckskraft. Barlach habe sich intensiv den menschlichen Emotionen gewidmet. «Diese Regungen sind heute genauso gültig sind wie zu seiner Zeit.»

Der Leiter des Barlach-Hauses in Hamburg, Karsten Müller, bestätigt diese Einschätzung. «Barlach hat so existenzielle Themen bearbeitet, dass sie zeitlos gültig bleiben.» So habe er Randfiguren wie Bettler oder Obdachlose ins Zentrum seiner Kunst gestellt. «Das waren für ihn Repräsentanten für uns alle, die sich nur nicht schützen können.»

Schulz-Ohm sieht, dass die Werke oft eher düster sind. Ein Grund dafür, dass sich die Menschen nicht gleich freudig auf seine Kunst stürzten. «Er zeigt viele grundlegende Emotionen wie Rache, Grauen, Angst oder Verlust.» Dies sei der Zeit geschuldet, die durch die Umbrüche wie die Verfolgung durch das NS-Regime geprägt war. Allerdings gebe es auch freudige Werke. In der Gesamtschau scheint es aber so, dass Barlach als ein eher schwieriger Mensch zu bezeichnen ist. Fotos eines glücklichen lächelnden Barlach seien nicht bekannt.

Barlach war auch als Schriftsteller tätig und schrieb Dramen. Experte Müller meint, dass bei Betrachtung der Dramen mit ihren Nonsense- und Slapstick-Momenten das Bild Barlachs komplett wird. «Da ist dann ein sehr dynamischer Barlach.» Die Skulpturen seien dagegen eher meditativ und introvertiert. Für heutige Bildhauer bergen sie die Botschaft: «Weniger ist mehr.»

Dabei habe Barlach unter den Wirren der NS-Zeit gelitten. Er gehörte zu den Künstlern, die als «entartet» diffamiert wurden, berichtet Schulz-Ohm. Mehrere hundert Arbeiten wurden in den 1930er Jahren beschlagnahmt. Sie verschwanden oder wurden verkauft. «Für ihn war es besonders schlimm, dass die Mahnmale für die Opfer des 1. Weltkriegs abgenommen und verfemt wurden.» Freunden Barlachs sei es zu verdanken, dass sein wohl berühmtestes Werk, «Der Schwebende» im Güstrower Dom, zumindest als Duplikat erhalten ist. In der Ahnung, dass die Bronzefigur eingeschmolzen wird, stellten sie einen Sicherheitsabguss her und versteckten diesen.

Als eher widersprüchlich und mit Forschungsbedarf behaftet erscheine Barlachs Beziehung zum Kunsthändler Bernhard Böhmer (1892-1945). Der ebenfalls in Güstrow lebende Böhmer war einer der vier von den Nazis autorisierten Händler, die die «entartete» Kunst verkaufen durften. Gleichzeitig habe er sich für Barlach eingesetzt und dessen Kunst vor der Vernichtung bewahrt. «Das Magdeburger Ehrenmal ist prominentes Beispiel dafür», sagt Schulz-Ohm.

Barlach, der später mit Böhmers Ex-Frau Marga liiert war, habe sehr früh erkannt, dass ihm die politischen Strömungen in Deutschland sehr große Schwierigkeiten bereiten werden. Trotz der besten Kontakte zu Böhmer habe er sich nie positiv dem Regime gegenüber geäußert, auch wenn er sich überreden ließ, 1934 den «Aufruf der Kulturschaffenden» zu unterzeichnen. Darin bekannten sich die Unterzeichner zu Hitler.

Diesen verschiedenen Facetten Barlachs, der am 24. Oktober 1938 in Rostock einem Herzinfarkt erlag, will sich die Ausstellung in Güstrow nähern. Ein Leit- und Informationssystem soll die Besucher auf eine Entdeckungsreise zu Barlachs Kunst mitnehmen. Die Authentizität des Ortes und die Arbeitsweise Barlachs soll erfahrbar gemacht werden.

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