Der zweite Entdecker Amerikas

250 Jahre Alexander von Humboldt

Ein Denkmal für Alexander von Humboldt steht vor dem Eingang der nach ihm benannten Universität. Foto: Maurizio Gambarini/Dpa
Ein Denkmal für Alexander von Humboldt steht vor dem Eingang der nach ihm benannten Universität. Foto: Maurizio Gambarini/Dpa

BERLIN (dpa) - Naturforscher und Gegner der Sklaverei - Alexander von Humboldt war seiner Zeit voraus. Zu seinem 250. Geburtstag sind seine Erkenntnisse aktueller denn je.

Seinen Namen tragen Berge, Flüsse, Städte und Nationalparks: Schon zu Lebzeiten galt Alexander von Humboldt (1769-1859) als berühmtester Wissenschaftler seiner Zeit. Der Forscher und Universalgelehrte hat das Naturverständnis nachfolgender Generationen wie kein anderer geprägt. «Alles hängt mit allem zusammen» - so lautete Humboldts grundlegende Ansicht, dass unsere Umwelt nur im Zusammenspiel mit den menschlichen Wirken zu betrachten sei.

Ob Artenvielfalt, Ressourcenschutz oder Klimawandel - zu Humboldts 250. Geburtstag an diesem Samstag (14. September) sind die Erkenntnisse des genialen Gelehrten aktueller denn je. «Sein vernetztes Denken passt in unsere Zeit», sagt der Romanist Ottmar Ette (Universität Potsdam), der auch Herausgeber zahlreicher Schriften ist. Denn Humboldt sei beides gewesen: Naturforscher und Kulturforscher und noch heute eine Leitfigur der Wissenschaft - von der Klimaforschung bis zur Anthropologie.

Neugierde und Begeisterungsfähigkeit waren Humboldts Antrieb, für seine Erkundungen auf dem amerikanischen Kontinent nahm er unglaubliche Strapazen auf sich, die heute, in Zeiten von Abenteuerurlaub und Massentourismus kaum vorstellbar sind. Zu Fuß, auf Mauleseln oder im Kanu reiste er Tausende Kilometer zwischen der Karibik und den Anden. Nach Christoph Kolumbus gilt er deswegen als «zweiter Entdecker Amerikas».

Mit seinem Begleiter, dem französischen Botaniker Aimé Bonpland (1773-1858), durchkreuzte er den Regenwald. Moskitos und die Angst vor Malaria gehörten dabei zu den kleineren Problemen. Mehrmals entkam Humboldt nur knapp dem Tod, etwa durch Curare-Gift oder Krokodil-Bisse.

Im heutigen Ecuador bestieg er den Vulkan Chimborazo. Bei dünner Luft und beißender Kälte kamen Humboldt und Bonpland im Juni 1802 auf etwa 5900 Meter, so hoch wie nach damaligem Wissen noch kein Mensch vor ihnen. Humboldts Naturgemälde des Chimborazo, auf dem er die Verteilung der Vegetationszonen aufzeichnet, beschäftigt bis heute die Wissenschaft.

Dabei wächst der Sohn eines preußischen Offiziers in komfortablen Verhältnissen auf. Auf dem Familienschloss in Berlin-Tegel, wo noch heute das Humboldt-Anwesen steht, genießt er mit seinem älteren Bruder Wilhelm (1767-1835) die beste Erziehung, die man in jener Zeit erhalten kann. Die Mutter gilt als streng, aber sie sorgt dafür, dass die beiden Brüder exzellente Hauslehrer bekommen.

Wilhelm merkt früh, dass Alexander bei seinen Streifzügen durch den Tegeler Forst unterschiedliche Beobachtungen miteinander verknüpfen konnte. «Diese Gabe zur Kombinatorik zeichnet ihn bis zu seinem Lebensende aus», sagt Ottmar Ette. «Heute nennen wir das Vernetzung».

Während des Studiums der Staatswirtschaftslehre in Frankfurt/Oder und später an der Freiberger Bergakademie schärft Humboldt seine Fähigkeiten für die Naturbeobachtung. Er führt Experimente am eigenen Körper durch, notiert jedes Detail, wenn sich als Folge etwa Ekzeme auf seiner Haut bilden. Die Wunden entzünden sich, doch Humboldt ist angesichts seiner Erkenntnisse glücklich, schreibt seine Biografin Andrea Wulf. Mit 22 Jahren wird er Bergbauassessor. Unter anderem erfindet er eine Grubenlampe, die auch bei wenig Sauerstoff in großer Tiefe noch Licht abgibt.

Aber Humboldt treibt es in die weite Welt. Er versucht zunächst in London und Paris eine Schiffspassage nach Amerika zu bekommen - vergeblich angesichts der Gefahren durch Seekriege und Piraten. Schließlich gibt ihm der spanische König die Erlaubnis, nach Neuandalusien, dem heutigen Venezuela, zu reisen.

Zur Finanzierung seiner Reise greift er auf das von der Mutter hinterlassene Erbe zurück. An Bord der Fregatte «Pizarro» landet er beladen mit Messinstrumenten - Sextant, Fernrohr, Teleskop, Längenuhr, Barometer und Thermometer - 1799 in Cumaná an der Karibikküste. Er ist sofort von der Landschaft hingerissen. «Wie die Narren laufen wir bis jetzt umher», berichtet er seinem Bruder.

Doch auch ein anderes Erlebnis hinterlässt tiefe Spuren: Der Sklavenmarkt von Cumaná, wo Menschen «wie auf dem Pferdemarkt» gehandelt wurden. «Zweifelsohne ist die Sklaverei das größte aller Übel, welche jemals die Menschheit betroffen», schreibt er später in einem Essay über Kuba.

Fünf Jahre lang reisen Humboldt und Bonpland zwischen Karibik und den Anden. «Ich fühle, dass diese Eindrücke mich auch künftig oft erheitern werden», berichtet er an einen Freund. Diese Mischung aus Garten Eden und Eldorado, diese Fülle der Natur, habe den Wissenschaftler geradezu berauscht, so Humboldt-Forscher Ette.

Wie im Rausch ist er auch unterwegs. Auf einer Piroge, einem einfachen Boot, entdecken Humboldt, Bonpland und seine örtlichen Helfer die Verbindung zwischen den Strömen Orinoco und Amazonas. Sie kartieren die Landschaft, registrieren Pflanzen und Tiere. Er reist nach Kuba und nach Mexiko und erforscht den kalten Strom an der Westküste Nordamerikas, der heute seinen Namen trägt.

Kistenweise lässt er seine Funde nach Europa verschiffen: Steinproben, Pflanzen, Tiere und Kulturobjekte. Bei seiner Rückkehr nach Europa wird er wie ein Star empfangen. In Berlin sind seine Vorträge Stadtgespräch. In mehr als 30 Bänden veröffentlicht er die Erkenntnisse der Amerikareise. Sein Buch «Kosmos» wird ein Bestseller. Angebote des Königs, Minister oder Botschafter zu werden, schlägt er aus. Als Liberaler ist Humboldt jede Verbindung zum königlichen Hof suspekt.

Aber er bleibt rastlos und schmiedet Pläne für eine Expedition nach Indien und dem Himalaya. Die Reise kann er jedoch nicht realisieren. Einen Kritiker des Kolonialismus wollten die Briten und Portugiesen nicht in ihre Territorien lassen.

Einen Ersatz für seine Orientpläne erhofft sich Humboldt von der Russland-Expedition. Der russische Finanzminister Georg von Cancrin lädt Humboldt zu einer Forschungsreise ein. Das Zarenhaus erhofft sich Erkenntnisse über Bodenschätze jenseits des Ural. Mit 59 Jahren reist Humboldt 1829 durch Russland und Sibirien bis an die Grenze nach China.

Eine Bedingung, die ihm Cancrin auferlegt: Der Forscher darf nicht über die Unterdrückung der Bauern und die feudale Gesellschaft auf dem Land berichten. Doch Humboldt hält sich nicht an die Auflage und an die vorgeschriebene Route und unternimmt einen 1500 Kilometer langen Abstecher in das Altai-Gebirge. Er findet heraus, wie sich die Abholzung und Verfeuerung von Wäldern auswirken und wie eine ineffiziente Energiegewinnung mit Großgrundbesitz, Staatsmonopol und Leibeigenschaft zusammenhängen.

In Berlin wird er 1848 Zeuge der revolutionären Bewegungen in ganz Europa. Er sehnt sich nach einem vereinigten Deutschland, bleibt aber ein Kosmopolit. Als sich im Frühjahr 1849 das Scheitern einer konstitutionellen Monarchie in Deutschland abzeichnet, versinkt Humboldt in Pessimismus.

Er hatte erlebt wie sich die Französische Revolution dem Autokraten Napoleon zuwandte. Aus der Nähe hatte er auch beobachtet, wie der lateinamerikanische Freiheitsheld Simón Bolivar (1783-1830) nach dem Kampf gegen die spanischen Kolonialherren selber zum Diktator wurde. Der Wunsch der Menschen nach Reformen werde aber nicht erlischen, schreibt er mit 80 Jahren.

Politisch lässt sich Humboldt aber schwer vereinnahmen, sagte Ottmar Ette. Zwar wurde er von der DDR ideologisch gerne in Anspruch genommen. Als Vordenker einer globalisierten Welt sei er aber glücklicherweise nie vom nationalistischen Diskurs vereinnahmt worden.

Zu Humboldts Tod im Jahr 1859 würdigt Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. den Republikaner Humboldt als «größten Mann seit der Sintflut». Zehn Jahre nach seinem Tod, zu Humboldts 100. Geburtstag, erinnerten bereits Menschen in aller Welt an «den größten Forschungsreisenden, der jemals gelebt hat» (Charles Darwin).

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