Zverev in Melbourne raus

​Zerhackter Schläger und «Scheiß-Woche» 

Zverev (Deutschland) - Shapovalov (Kanada): Alexander Zverev verlässt die Margaret Court Arena nach seiner Viertrunden-Niederlage. Foto: Hamish Blair/Ap/dpa
Zverev (Deutschland) - Shapovalov (Kanada): Alexander Zverev verlässt die Margaret Court Arena nach seiner Viertrunden-Niederlage. Foto: Hamish Blair/Ap/dpa

MELBOURNE: Alexander Zverev war nach Melbourne gereist, um die Australian Open zu gewinnen. Er verlässt Australien nach einem rätselhaften Auftritt tief ernüchtert. Wann kann der beste deutsche Tennisspieler seine eigenen Erwartungen erfüllen?

Im Moment seines überraschenden und unerklärlichen Tiefpunkts verschwendete Alexander Zverev an seinen ersten Grand-Slam-Triumph und die Weltranglistenspitze keinen Gedanken. Knapp ein halbes Jahr nach seinem Olympiasieg von Tokio ist das Gefühl des großen Glücks mit dem ernüchternden Achtelfinal-Aus bei den Australian Open verflogen. Das «furchtbare» 3:6, 6:7 (5:7), 3:6 gegen den alles andere als herausragenden Kanadier Denis Shapovalov ließ Deutschlands besten Tennisspieler am Sonntag in Melbourne ratlos zurück. Wie er seine Ziele wirklich erreichen soll, schien der 24 Jahre alte Hamburger am Sonntag in Melbourne selbst nicht zu wissen.

«Ich werde immer noch alles dafür tun, dass ich irgendwann die Grand-Slam-Trophäe hochhebe», sagte Zverev: «Im Moment ist es natürlich albern, darüber zu reden, weil ich gerade in der vierten Runde der Australian Open verloren habe, als Nummer drei Gesetzter. Deswegen bin ich jetzt momentan davon weit entfernt.» Er müsse über sich selbst nachdenken, sagte er: «Ich bin hierhergekommen mit dem Ziel zu gewinnen, und vielleicht die Nummer eins zu werden. Aber wenn ich so spiele, verdiene ich es nicht. So einfach ist das.»

Tief enttäuscht, langsam und schweren Schrittes schlich Zverev ein letztes Mal für dieses Jahr auf das Pressepodium von Melbourne. Er senkte den Kopf und nahm seine Akkreditierung ab. Selbst das Olympia-T-Shirt mit dem Bundesadler konnte in diesem Moment den Frust nicht lindern.

Nach Monaten, in denen vieles auf dem Tennisplatz wie selbstverständlich zu laufen schien, holte ihn der rätselhafte wie merkwürdige Auftritt gegen den 22 Jahre alten kanadischen Linkshänder auf den Boden der Tatsachen zurück. Mit diesem Ausscheiden war so nicht zu rechnen gewesen. Dass der serbische Weltranglisten-Erste Novak Djokovic fehlte, hatte die Chance auf einen Titel der wichtigsten Kategorie seiner Sportart, den er seit Jahren anstrebt, wachsen lassen. Nun ist selbst das Viertelfinal-Duell mit dem spanischen Topstar Rafael Nadal geplatzt.

Gegen den Weltranglisten-14. und Wimbledon-Halbfinalisten Shapovalov, der in Melbourne noch nie über die dritte Runde hinausgekommen war, waren nur wenige Emotionen zu erkennen, die darauf hoffen ließen, dass Zverev das Match in der Margaret Court Arena noch drehen könnte. Von dem Selbstbewusstsein, das ihn in den letzten Monaten der vergangenen Saison nach seiner Goldmedaille von Tokio ausgezeichnet hatte, war nichts zu sehen. Es sprach immerhin für ihn, dass er keine Ausreden suchte und die Schuld komplett auf sich nahm. «Am Ende des Tages war es einfach nicht gut genug», sagte er. «Ich habe mich schon extrem langsam gefühlt, ich habe mich nicht frisch gefühlt.»

Aus Frust hatte Zverev zu Beginn des zweiten Satzes seinen Schläger gleich dreimal auf den Betonboden gedonnert und zerhackt. Es war ein Verhalten, das an Zeiten erinnerte, die er doch eigentlich hinter sich gelassen hatte. Aber auch den Wutausbruch wandelte Deutschlands Sportler des Jahres nicht in Energie und sein Weltklasse-Tennis um. Die Partie erinnerte ein wenig an sein Achtelfinal-Aus 2019 in Melbourne gegen Shapovalovs Landsmann Milos Raonic, als er aus Zorn seinen Schläger neunmal vor seiner Bank auf den Boden gedonnert hatte. Fortschritt war wenig erkennbar. «Ich habe den Schläger kaputt gemacht. Das mache ich ja auch nicht einfach so. Wenn du so schlecht spielst, kannst du machen, was du möchtest, kannst du rumhüpfen wie du möchtest, es ändert nichts», meinte der US-Open-Finalist von 2020.

Boris Becker urteilte bei Eurosport: «So passiv habe ich ihn lange nicht gesehen.» Angesichts des trägen und energielosen Auftritts, der unsicheren Grundschläge, all der Passivität, der missglückten Schläge und Rahmenbälle sowie falsch getroffenen Entscheidungen fragte selbst Zverev-Kenner Becker, ob dem Hamburger etwas gefehlt habe.

Doch auf die Frage, ob er sich den Magen verdorben, schlecht geschlafen oder unter sonst etwas gelitten habe, antwortete der frühere Melbourne-Halbfinalist: «Ich könnte hier jetzt sitzen, und sagen: 'Ich habe eine Erkältung und noch was.' Aber nein, ich bin immer sehr ehrlich. Ich habe nichts. Ich habe einfach nur eine Scheiß-Woche gehabt, um ehrlich zu sein», sagte der 24-Jährige.

Schon in den drei Partien zuvor war er weit von der Form entfernt gewesen, in der er Ende November bei den ATP Finals in Turin den Jahresabschluss der Besten der Besten für sich entschieden hatte. Djokovic, der russische US-Open-Champion Daniil Medwedew und er hätten in den vergangenen Monaten das Herren-Tennis dominiert, hatte Zverev einmal gesagt. Er halte es für möglich, dass das auch 2022 so sein könne. Doch es bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass Zverev weiter keinen Top-Ten-Spieler bei einem Grand-Slam-Turnier besiegt hat. Gegen Nadal hätte er am Dienstag die nächste Chance gehabt. Auch gegen Spieler der Top 20, zu denen Shapovalov gehört, weist seine Bilanz weitaus mehr Niederlagen als Siege auf.

«Heute war es seit Wimbledon letztes Jahr glaube ich das schlechteste Match, das ich gespielt habe», bilanzierte Zverev, ehe er sich verabschiedete. Auch in Wimbledon war er im Achtelfinale gescheitert.

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