«Der Standard»: Deutschland erlebt gerade düstere Zeiten
WIEN: Zur Wahl in Thüringen und Sachsen schreibt die Wiener Zeitung «Der Standard»:
«Lägen Thüringen und Sachsen im Westen oder wäre am Sonntag in einem westdeutschen Bundesland abgestimmt worden - das Ergebnis für die Ampel hätte wohl auch nicht sehr viel besser ausgesehen. Die Koalition in Berlin gibt ein trauriges Bild ab. Man ist fertig miteinander, zusammen hält das unattraktive Dreierbündnis nur noch die Angst vor den Wählerinnen und Wählern.
Und dann passierte kurz vor den Wahlen auch noch der schreckliche Anschlag von Solingen. Er legte nicht nur tatsächliche Versäumnisse offen, sondern auch Emotionen, die weder Ex-Kanzlerin Angela Merkel noch ihr Nachfolger Olaf Scholz begriffen haben: Die Menschen haben Angst. Gegen die Furcht kommen die Zahlen, Fakten und Beteuerungen des Kanzlers immer weniger an. Wie Scholz aus diesem Dilemma herauskommen will, wie er wieder Vertrauen gewinnen will, ist unklar. Deutschland erlebt gerade düstere Zeiten. Nach diesen beiden Wahlen wird der Weg nicht leichter.
«Handelsblatt» zu Landtagswahlen
Trotz der drastischen Verschiebungen waren am Sonntagabend die Beschwichtiger unterwegs.
Die Kanzlerpartei SPD tröstete sich allen Ernstes damit, dass sie es über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft hat. Ein Aufstand gegen die Parteiführung und Kanzler Olaf Scholz wird damit wohl ausbleiben. Wie die Sozialdemokraten aber ihren Abstieg bremsen wollen, ist nicht erkennbar. Von der Parteiführung gab es die üblichen Phrasen, man müsse Sorgen ernst nehmen und Probleme lösen. Nicht weniger ratlos klangen die Vertreter der anderen beiden Ampelparteien. Die Grünen ergehen sich schon länger in Selbstmitleid und machen vor allem ein "Bashing" durch Union und Medien für ihre Schwäche verantwortlich. Dass es am eigenen inhaltlichen Angebot, etwa in der Migrationspolitik, liegen könnte, scheint in Teilen der Partei ein unerhörter Gedanke. Der Mangel an Selbstkritik wirkt auf viele Wähler wie ein zusätzlicher Anreiz zur Abstrafung an der Wahlurne.
«Münchner Merkur» zu Sachsen/Thüringen
Da haben die rebellischen Ossis ja was zusammengewählt! Sieg der Radikalen, Kollaps der Etablierten, Krise der liberalen Demokratie: Egal zu welcher Überschrift man greifen mag, von diesem Wahlsonntag geht 35 Jahre nach der Wiedervereinigung ein zweites Wendesignal aus.
1989 übernahmen die westdeutschen Parteien den Osten, mitsamt Westbindung und "American Way of Life". Geht es nach dem Willen von Sahra Wagenknecht, beginnt nun die "Konterrevolution", zurück in die offenen Arme Russlands. Egal ob die Ampel ihre faktische Abwahl durch den Souverän akzeptiert oder nur ihre Politik mal wieder "besser erklären" will: Die für die Republik zentrale Frage ist jetzt, ob die Union ihre Funktion als Deutschlands stabiles Zentrum verteidigen und konservative Wähler zurückgewinnen kann. Friedrich Merz und Markus Söder scheinen das verstanden zu haben. Jetzt müssen sie auch in der Kandidatenfrage schnell zueinanderfinden.
«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Wahl in Sachsen und Thüringen
(.) Es waren bundespolitische Streitthemen, die der AfD enormen Zulauf verschafften und dem Bündnis der Sahra Wagenknecht zu einem Senkrechtstart verhalfen.
(.) Im Bund werden diese Volksverführer und -verhetzer nicht so leicht auf Ergebnisse wie in Sachsen und Thüringen kommen. Dennoch muss der Wahlausgang allen Demokraten eine Warnung sein, wie nachhaltig politische Verhältnisse ins Wanken geraten können, wenn viele Bürger für grundfalsch halten, was eine Regierung entscheidet und macht. Dafür bekam die Ampel nun die Quittung. Wird sie deswegen die Macht abgeben? Wohl kaum. Wird sie das Jahr nutzen können, das ihr bleibt, um ihre Irrtümer zu korrigieren, was Deutschland sehr zu wünschen wäre? Die neuesten Botschaften, nun sogar aus dem Bellevue, hört man wohl, allein es fehlt einem mittlerweile der Glaube.
«NZZ am Sonntag»: Asylrecht muss Realitäten berücksichtigen
ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung am Sonntag» plädiert dafür, das heutige Asylsystem unvoreingenommen zu hinterfragen:
«Um den Migrationsströmen zu begegnen, setzt Europa zunehmend auf schärfere Grenzkontrollen und Abschreckung. Mit begrenztem Erfolg: Denn in einer globalisierten und vernetzten Welt bleibt der Anreiz für viele Migranten groß, auf gefährlichen Fluchtrouten ihr Leben zu riskieren, um in Europa eine bessere Zukunft zu finden. Zu sehr funkelt der Wohlstand auf unserem Kontinent. Sie versuchen dies vorwiegend mithilfe des Asylrechts, doch dafür ist es nicht vorgesehen - das ist ein Kern des heutigen Migrationsproblems.
Es muss deshalb möglich sein, das Asylsystem ohne Scheuklappen zu hinterfragen. Gleichzeitig ist die Verpflichtung der Genfer Flüchtlingskonvention zu respektieren, die den Schutz vor politischer Verfolgung, aber auch vor Krieg garantiert. Ein Lösungsansatz ist die nicht unumstrittene Idee, das Recht auf Asyl an sichere Drittstaaten auszulagern, so wie es Großbritannien mit Ruanda versucht hat. Diese Idee mag noch nicht ganz perfekt sein. Sie sollte uns dennoch Anlass geben, das Asylrecht so weiterzudenken, dass es die heutige Realität berücksichtigt.»