«Dennik N»: Barnier ist kalkuliertes Risiko für Macron
BRATISLAVA: Die slowakische Tageszeitung «Dennik N» schreibt am Samstag zur Entscheidung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für Michel Barnier als Regierungschef:
«Die Entscheidung für den ehemaligen Brexit-Verhandler als Premier ist ein kalkuliertes Risiko. Den Mitte-Rechts-Politiker mit migrationsfeindlicher Haltung auszuwählen, noch dazu, nachdem bei den Juli-Wahlen eine Allianz linker Parteien gewonnen hat, weckt bei jenen Wählern, die in der Vergangenheit Macrons Brandmauer gegen die Rechtsextremisten unterstützten, den Eindruck eines Verrats. Wenn sich überhaupt jemand freut, ist das Marine Le Pen: Die 143-Mitglieder-Fraktion ihrer Partei wird für die Unterstützung von Barniers Regierung wesentliche Bedeutung haben, damit diese im 577-köpfigen Parlament die Vertrauensabstimmung überlebt.
Dennoch erfüllt Barnier, der in seiner Dankesrede von der Notwendigkeit einer Zusammenarbeit aller Parteien sprach, einige Bedingungen, die aus ihm ein Risiko machen, das sich einzugehen lohnt. Seine europäischen Erfahrungen werden entscheidend sein, wenn es um die schmerzhafte Aufgabe geht, die auch von Brüssel kritisch beäugte französische Defizitspirale zu bremsen. Das wird ein solches Gürtel-enger-Schnallen erfordern, vor dem sich Macron während seiner ganzen Präsidentschaft drückte. Und Barnier hat bei den Brexit-Verhandlungen gezeigt, dass er auch Gegnern die Hand reichen kann.»
«The Irish Times»: Le Pen verfügt de facto über ein Vetorecht
DUBLIN: Die in Dublin erscheinende «Irish Times» kommentiert am Samstag den Amtsantritt von Frankreichs neuem Regierungschef Michel Barnier:
«Schon bei seiner Ernennung zum Premierminister gab es Spekulationen, dass Michel Barnier wohl kaum bis Weihnachten im Amt bleiben werde. In Dublin und Brüssel mag die Ernennung des sympathischen und geschätzten Ex-EU-Brexit-Unterhändlers durch Präsident Emmanuel Macron mit Begeisterung aufgenommen worden sein. In der französischen Nationalversammlung gab es jedoch wenig Beifall für den altgedienten Rechtspolitiker, dessen Partei Les Républicains kaum ein Sechstel der Sitze hält.
Die Gewinner der letzten Wahlen und größte Parlamentsfraktion, die linke Neue Volksfront, prangert die Ablehnung ihres eigenen Kandidaten für das Amt als Verweigerung von Demokratie an. Sie lehnt eine Mitarbeit in der neuen Regierung ab und kündigte an, ihr nicht das Vertrauen auszusprechen. Das Überleben der neuen Regierung, und sei es auch nur für kurze Zeit, wird von der Unterstützung oder zumindest Enthaltung des rechtsextremen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen abhängen. Der Grund für Macrons unbedachte Entscheidung, vorgezogene Neuwahlen anzusetzen, war angeblich, dass er ihr Macht oder Einfluss entziehen wollte. Doch nun verfügt das RN de facto über ein Vetorecht.»
«The Times»: Barnier steht vor einer gewaltigen Aufgabe
LONDON: Zum Amtsantritt des neuen französischen Regierungschefs Michel Barnier meint die britische Zeitung «The Times» am Samstag:
«Barnier ist mit 73 Jahren der älteste Premierminister in der jüngeren Geschichte Frankreichs, und er steht nun vor einer gewaltigen Aufgabe: Er muss die zerstrittenen Fraktionen in der Nationalversammlung so weit versöhnen, dass bis zum 1. Oktober einen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr erstellt werden kann. (...)
Sein Hauptproblem ist, dass er von der Linken so lautstark bekämpft wird. Jean-Luc Mélenchon, ebenfalls 73 Jahre alt, hat dieselbe Zeitspanne der Geschichte Frankreichs erlebt wie Barnier, zieht daraus jedoch ganz andere Schlüsse. Er behauptet vehement, der Erfolg seines Linksbündnisses bei den Wahlen sei «gestohlen» worden, und er ruft zu Protestmärschen in ganz Frankreich sowie zur Amtsenthebung Macrons auf.
Eine derart spektakuläre Zerrissenheit ist ein Luxus, den sich Frankreich nicht leisten kann: Bruno Le Maire, der scheidende Finanzminister, hat davor gewarnt, dass das öffentliche Defizit des Landes bald besorgniserregende 5,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen könnte, was sofortige Einsparungen in Höhe von 16 Milliarden Euro erfordern würde. Um in wirtschaftlicher Hinsicht glaubwürdig zu bleiben, müssen harte Entscheidungen über die öffentlichen Ausgaben und die Besteuerung getroffen werden, die wahrscheinlich sehr umstritten sein werden. Ein Scheitern der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU liegt in niemandes Interesse.»
«NZZ»: Viel Zeit bleibt Barnier nicht
ZÜRICH: Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier hat nach seiner Ernennung durch Präsident Emmanuel Macron mit der Sondierung für eine Regierungsbildung begonnen. Dazu heißt es am Samstag in der «Neuen Zürcher Zeitung»:
«Barnier hat schon signalisiert, dass die Auswahl seines Kabinetts Zeit in Anspruch nehmen werde. Denn wenn er im Sinne des Präsidenten handelt, soll seine Regierungsmannschaft im Parlament derart abgestützt sein, dass sie nicht gleich durch ein Misstrauensvotum wieder gestürzt wird. Die Parlamentswahl hatte ein in der jüngeren französischen Geschichte ungewöhnliches Ergebnis hervorgebracht: drei größere Blöcke, von denen keiner die absolute Mehrheit hat. Emmanuel Macron ließ denn am Freitag auch mitteilen, dass die Zusammenarbeit mit Barnier nicht einer Cohabitation gleichkäme, sondern einer «coexistence exigeante» - einer anspruchsvollen Koexistenz.
Damit baut der Präsident eine gewisse Distanz zu Barnier auf, der konservativere Positionen vertritt als Macron. Allerdings hat er sich mit Barnier einen erfahrenen Verhandler ausgesucht. Der frühere Brexit-Chefunterhändler blieb der Presse 2020 mit den Worten «Die Uhr tickt» in Erinnerung, die er immer wieder vortrug, wenn die Gespräche zwischen London und Brüssel zu scheitern drohten. Vier Jahre später steht Barnier wieder unter hohem Zeitdruck. Bis Anfang Oktober muss die neue Regierung den Haushaltsentwurf für 2025 vorlegen. Viel Zeit, für stabile Verhältnisse zu sorgen, bleibt «Monsieur Brexit» also nicht.»