«Handelsblatt» zu Scholz-Reise nach Kiew
Nun ist der Kanzler zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn in die Ukraine gereist.
Die überraschende Reiselust mit der Bundestagswahl in Verbindung zu bringen, verbietet sich angesichts der schrecklichen Lage der Ukrainer im Krieg mit Russland - eigentlich. Es sei "peinlich", ihm Wahlkampf auf dem Rücken der Ukraine zu unterstellen, sagte der Kanzler kürzlich. Doch erst am Wochenende auf dem Wahlparteitag der SPD rückte Scholz die Ukraine in den Mittelpunkt seiner Rede. Er wetterte gegen die "Kreml-Lautsprecher" von AfD und BSW, nannte die Grünen und CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz "Heißsporne", die die Gefahren einer Eskalation verkennen würden. (.) Mitten im deutschen Wahlkampfgetöse steht der ukrainische Präsident. Scholz hat ein Militärpaket von 650 Millionen Euro nach Kiew mitgebracht. Das ist viel Geld. Doch Wolodimir Selenski will eine Sicherheitszusage der Nato für sein Land und die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Von Scholz bekommt er weder das eine noch das andere.
«Stuttgarter Zeitung» zu Konflikt bei VW
Heute scheint die Klärung der Schuldfrage wichtiger zu sein als die Rettung des Unternehmens.
Der Betriebsrat wirft dem Management Versagen vor und blickt dabei gnädig darüber hinweg, dass es bei kaum einem anderen Großunternehmen so weitreichende Mitspracherechte gibt wie bei VW. Doch auch die Arbeitgeber führen im Kampf um die Deutungshoheit zweifelhafte Argumente an - etwa die Aussage, wonach die durchschnittlichen Personalkosten eines VW-Tarifbeschäftigten um 15 bis 20 Prozent über denen der Metallbranche liegen. Diese Diskrepanz erklärt sich auch daraus, dass ein Großunternehmen wie VW einen weitaus größeren Anteil an teuren Entwicklern beschäftigt als kleine Unternehmen.
«Frankfurter Rundschau» zu VW-Streik
Viel zu lange hat das VW-Management Probleme vor sich hergeschoben, anstatt sie anzugehen.
Für die Gewerkschaft IG Metall und den mächtigen Betriebsrats heißt das: An Einschnitten beim Personal und den Werken in Deutschland führt kein Weg vorbei. Die Frage ist, wie tief diese Einschnitte sind und ob sie einseitig zulasten der Beschäftigten ausfallen werden. Es geht jetzt also um eine starke Verhandlungsposition im Poker um die Zukunft des Wolfsburger Weltkonzerns. Und eine Position der Stärke erreicht man nicht durch Unterwürfigkeit. Die Eigentümer von VW werden keine Geschenke verteilen, Zugeständnisse müssen ihnen abgerungen werden. Die aktuellen Warnstreiks sind dazu ein wichtiges Instrument.
«Kommersant»: Moskau wurde in Syrien kalt erwischt
MOSKAU: Die russische Tageszeitung «Kommersant» schreibt zu dem überraschenden Vordringen islamistischer Rebellen in Syrien:
«Die Kräfte der Regierungsgegner haben in der vergangenen Woche eine starke Offensive gegen Stellungen der syrischen Armee begonnen. Sie haben strategisch wichtige Regionen im Norden des Landes unter ihre Kontrolle gebracht - vor allem den überwiegenden Teil der zweitgrößten Stadt Aleppo.
Die Erfolge der Rebellen haben die Führung in Damaskus und ihre Verbündeten Moskau und Teheran überrascht. Während sich die wichtigsten Fragen an die Türkei stellen, die eine der Garantiemächte der Deeskalation ist, sprechen Teheran und Ankara von einer Verschwörung der USA und Israels.»
«Dennik N»: Netanjahu fürchtet vor allem die israelische Justiz
BRATISLAVA: Die slowakische Tageszeitung «Dennik N» schreibt zur Strafverfolgung des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu:
«Dass der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu (...) verfügt hat, ist zweifellos ein großer Makel für seinen Ruf. Das bestreiten auch jene nicht, die diese Entscheidung anzweifeln oder offen ablehnen. (...)
Die Wahrheit ist aber auch, dass Netanjahu aus Den Haag nichts Akutes droht, sofern er gut darauf achtet, wohin er reist. Ihn kümmert auch nicht, dass die Strafgerichtsentscheidung ungünstige Auswirkungen auf das Bild Israels, seine Sicherheit und Wirtschaft hat. So wie ihn auch nicht interessiert, dass damit Soldaten und Offiziere der israelischen Armee in Schwierigkeiten kommen könnten, weil auch ihnen Haftbefehle drohen könnten.
Netanjahu setzt sich zwar gern mit ganz Israel gleich, wenn ihm das passt. Aber er spielt seit Jahren praktisch nur für sich selbst und seine Rettung vor einer Strafverfolgung in Israel selbst. Das Gerichtsverfahren wegen Korruptionsverdachts zieht sich schon seit 2020 hin. Das liegt zum Teil an den Maßnahmen während der Corona-Pandemie, aber hauptsächlich an den Verzögerungen durch Netanjahus Anwälte-Team. (...) Seine Angst davor, dass er sich der Gerechtigkeit stellen muss, hat aber auch negative Auswirkungen auf Israel, seine Institutionen, unabhängige Medien und die Demokratie als solche.»
«Politiken»: Assad fürchtet, allein zu Hause zu sein
KOPENHAGEN: Die liberale dänische Tageszeitung «Politiken» kommentiert die neue Eskalation in Syrien:
«War der Bürgerkrieg in Syrien nicht gerade überstanden? Versuchen dschihadistische Rebellen jetzt, ihn zu blutigem Leben zu erwecken? Es wird auf jeden Fall wieder in Aleppo im Norden des Landes gekämpft. Mehrere Rebellengruppen - sowohl Islamisten als auch säkulare Aufständische - haben überraschenderweise die Truppen der Assad-Diktatur aus der zweitgrößten Stadt Syriens verdrängt.
Aber nein, der Bürgerkrieg war weder gelöst noch unterbrochen worden, auch nicht vor der neuen Eskalation in Aleppo. Baschar al-Assad hat mit Hilfe russischer Kampfflugzeuge die Kontrolle über mehr als die Hälfte Syriens wiedererlangt. (Aber) Assad kommt in keinem «seiner» Gebiete ohne Straßenblockaden, Sicherheitspolizei, Unterdrückung, Folter, Zensur, Entführungen und rohe Gewalt aus. Fast eine halbe Million Syrer sind während des Bürgerkrieges umgekommen - das sind mehr als zehnmal so viele Opfer wie während Israels Invasion in den Gazastreifen.
Die Eskalation in Aleppo kann ein Zeichen dafür sein, dass Assads Unterstützer - Russland, Hisbollah und Iran - anderes in Kopf haben. Das russische Militär hat genug zu tun in der Ukraine. Die Hisbollah-Miliz ist teilweise im Libanon zerschlagen worden. Der Iran läuft Gefahr, selbst in einem Krieg mit Israel zu enden. Assad hat also gute Gründe dafür zu befürchten, allein zu Hause zu sein.
Der Diktator begann selbst den Bürgerkrieg, indem er vor 13 Jahren Forderungen nach Freiheit brutal zerschlug. Die Syrer brauchen dringend - und haben das Recht auf - eine bessere, verantwortungsvolle Führung.»
«Pravo»: Rumänen fühlen sich als EU-Bürger zweiter Klasse
PRAG: Zum Erstarken der Ultrarechten in Rumänien schreibt die Zeitung «Pravo» aus Tschechien in ihrer Onlineausgabe:
«Günstige Arbeitskräfte haben viele ausländische Unternehmen nach Rumänien gelockt. Doch zahlen diese Firmen ihren Arbeitern nie mehr, als unbedingt nötig. (...) Das Versagen der Europäischen Union ist offensichtlich: Zwar hat sie Rumänien seit dem Beitritt dabei geholfen, den Lebensstandard zu erhöhen. Doch sie hat nichts dagegen getan, dass man in den ursprünglichen EU-Staaten auf Rumänen und andere Bewohner postkommunistischer Staaten immer noch wie auf Bürger zweiter Klasse blickt.
Man sollte der Bekämpfung dieser Vorurteile ebenso viel Aufmerksamkeit widmen wie der Integration von Migranten und Flüchtlingen aus der ganzen Welt. Andernfalls darf man sich über solche Wahlergebnisse nicht wundern. Man kann nur hoffen, dass (der rechtsextreme Kandidat) Calin Georgescu nicht die zweite Runde der Präsidentschaftswahl gewinnt. Für die Zukunft muss man daran arbeiten, dass sich so etwas nicht wiederholen kann. Dafür müssen die Politiker mehr auf die Probleme der Bürger eingehen.»
«De Telegraaf»: Rückkehr syrischer Flüchtlinge nun unrealistisch
AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «De Telegraaf» kommentiert die Rebellen-Offensive in Syrien:
«Die überraschende dschihadistische Offensive wird von der nach dem Kalifat strebenden Terrororganisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS) angeführt, die aus dem syrischen Zweig der Al-Kaida hervorgegangen ist. Erstaunlicherweise glauben einige westliche Experten, dass es sich um eine gemäßigte Gruppe handelt, mit der man verhandeln kann.
Inzwischen tauchen schockierende Bilder von Hinrichtungen syrischer Soldaten auf. Christen und andere Minderheiten fürchten um ihre Sicherheit. Die HTS wird beschuldigt, Journalisten und politische Gegner zu foltern und scheint nicht besser zu sein als das barbarische Assad-Regime.
Da der Konflikt eingefroren schien, wollte die niederländische Regierung unter Ministerpräsident Dick Schoof nach dem Vorbild anderer Länder Syrien für (teilweise) sicher erklären, sodass Syrer keine Aufenthaltsgenehmigungen mehr erhalten und große Gruppen zurückkehren werden können. Aus diesem ohnehin wackeligen Teil des Asylkonzepts der Regierung wird wohl vorerst nichts werden.»
«NZZ»: Sturz Assads wäre eine gute Nachricht
ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Montag den Vormarsch islamistischer Rebellen in Syrien:
«Für Syrien wäre die Entmachtung von Baschar al-Assad eine gute Nachricht. Nach mehreren Jahren Friedhofsruhe, die sich vor allem in den vom Regime beherrschten Gebieten ausgebreitet hat, könnte sie ein erster Schritt in Richtung einer neuen Ordnung sein. Die wird es nicht geben, solange Assad an der Macht ist. Klar ist allerdings auch, dass die Islamisten nicht nur Gegner von Assad sind, sondern auch Gegner einer liberalen Demokratie wären. (.)
Seit acht Jahren kontrollieren sie große Teile der Provinzen Idlib und das Umland von Aleppo, der letzten Rebellenhochburg in Syrien, die nicht von Regierungseinheiten zurückerobert wurde. Über vier Millionen Menschen - mehr als die Hälfte davon Vertriebene aus anderen Gegenden Syriens - leben dort unter schwierigsten Bedingungen.
Die Art und Weise, wie die Islamisten bislang in ihrem Herrschaftsgebiet vorgingen, deutet darauf hin, dass in Syrien auch nach einem Sturz des Assad-Regimes keine friedlichen Zeiten anbrechen werden. Für viele Menschen würde die Situation möglicherweise erst noch schlimmer werden, bevor sie besser wird. Doch angesichts eines weitgehend zerstörten Landes und einer völlig verarmten Bevölkerung ohne jede Perspektive ist es dringend notwendig, über eine Zeit nach Assad nachzudenken und über ein Land, das nicht länger unter russischem und iranischem Einfluss steht.»
«De Standaard»: Rebellen-Offensive in Syrien wirft Fragen auf
BRÜSSEL: Zur Offensive einer von der Islamistenorganisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS) geführten Rebellen-Allianz in Syrien meint die belgische Zeitung «De Standaard»:
«(Syriens Machthaber) Assad ist ein brutaler Diktator, der von Iran und Russland mit Mühe und Not im Sattel gehalten wurde, und zwar auf Kosten des westlichen Einflusses in der Region. (.) Der Krieg in Syrien hatte (Kremlchef Wladimir) Putin in seiner Überzeugung bestärkt, dass vom Westen gezogene rote Linien ungestraft überschritten werden können.
Die Ukraine zahlt dafür einen hohen Preis. Allerdings musste Russland für den Krieg gegen die Ukraine Ressourcen aus Syrien abziehen, wodurch Assad geschwächt wurde. Der Iran wiederum wurde durch die Angriffe Israels geschwächt, das seinen Kampf gegen die Hamas auf den iranischen Verbündeten Hisbollah im Libanon ausweitete. (...)
Was ist von der HTS zu erwarten, die jetzt die Offensive gegen Assad anführt? Geht es darum, den Menschen in Aleppo die Freiheit zu bringen oder darum, die Diktatur Assads durch eine religiöse Diktatur zu ersetzen? Das Aufflammen des Krieges in Syrien zeigt, wie sehr die Kriege des Jahres 2024 miteinander verwoben sind, wie komplex die Fronten sind und wie widersprüchlich manche Allianzen sind. Es fragt sich, mit welchem geostrategischen und welchem moralischen Kompass Europa durch diesen Sturm navigieren kann.»
«Wall Street Journal»: Syrische Rebellen keine Freunde des Westens
NEW YORK: Zur jüngsten Eskalation im syrischen Bürgerkrieg, wo islamistische Rebellen die Millionenstadt Aleppo eroberten, schreibt das «Wall Street Journal»:
«Das Chaos nimmt im Nahen Osten selten Urlaub, und der jüngste Ausbruch ist eine erneute islamistische Herausforderung des syrischen Regimes von Baschar al-Assad. (...) Es ist verlockend, sich den Sturz Baschar Assads zu wünschen, angesichts der Massaker, die er gegen seine eigene Bevölkerung gebilligt hat. Aber die islamistischen Gruppen, die ihn stürzen würden, sind keine Verbündeten des Westens oder der Demokratie. (...) Das vorrangige US-Interesse ist es, die Ausbreitung von Chaos nach Israel und in den Irak hinein zu verhindern, das zu einer Wiederbelebung des Islamischen Staates führen könnte.
Die USA haben rund 900 Soldaten in Syrien stehen, weit weg von den Kämpfen in Aleppo, um den IS unter Kontrolle zu halten. Solange die US-Stellungen sicher verteidigt werden können, ist ihre Anwesenheit nützlich für die Sammlung von Geheimdienstinformationen und Antiterror-Operationen.
Der syrische Bürgerkrieg brach 2011 aus, und Russland und der Iran füllten das Vakuum, nachdem die Obama-Regierung entschieden hatte, demokratische Kräfte nicht zu unterstützen. Wer immer glaubt, dass ein Ende der Pax Americana zu einer besseren Welt führt, sollte einen Blick auf Syrien werfen. Die USA sind nun ein Zuschauer, aber die erneuten Kämpfe sind ein Grund mehr, Israel weiter zu unterstützen, einen seltenen Freund in einer tödlichen Region.»