Zeitungen zum Geschehen am Mittwoch

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Dziennik»: Staudamm-Zerstörung bedeutet neue Eskalationsstufe

WARSCHAU: Die polnische Zeitung «Dziennik Gazeta Prawna» befasst sich am Mittwoch mit der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine:

«Die Russen haben beschlossen, die Ukrainer daran zu hindern, sich südlich von Cherson der Krim zu nähern. Der Kachowka-Staudamm wurde im Herbst vermint, noch bevor sich die Russen aus Cherson zurückzogen. Es ist daher anzunehmen, dass die Ukrainer wussten, dass er vor der geplanten Gegenoffensive gesprengt werden würde. Sicherlich haben sie die Option auch berücksichtigt, als sie die Richtung ihres Angriffs planten.

Nur stellt sich die Frage, wem die Russen mehr geschadet haben: sich selbst oder den Ukrainern? Oberhalb dieser Anlage beginnt der Nord-Krim-Kanal. Über ihn wird die Krim mit Wasser versorgt. Mit der Zerstörung des Dammes wird auch der Wasserstand an der Stelle sinken, wo der Kanal beginnt. Und das bedeutet, dass er die Halbinsel in diesem Sommer nicht mehr ausreichend mit Wasser versorgen kann. Wie auch immer die militärische Bilanz der Zerstörung des Staudamms aussehen mag, Wladimir Putin ist auf der von ihm errichteten Eskalationsleiter eine Sprosse höher geklettert. Nach dem Kachowka-Staudamm stellt sich die Frage, ob der Kreml für die Eskalation auch das Atomkraftwerk in Saporischschja nutzen wird.»


«Pravda»: Lateinamerika will dritten Weg weitergehen

BRATISLAVA: Die linksliberale slowakische Tageszeitung «Pravda» schreibt am Mittwoch zur Lateinamerika-Reise von Außenministerin Annalena Baerbock:

«Für Westeuropa und die Nato liegt derzeit der Fokus darauf, weiterhin die Ukraine militärisch auszurüsten, während die überwältigende Mehrheit der lateinamerikanischen Länder dazu seit Beginn der russischen Invasion eine reservierte Haltung einnimmt. (...) Brasiliens Präsident Lula da Silva will weiterhin als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine auftreten. (...) Es sieht nicht so aus, als könnte Baerbocks Besuch den lateinamerikanischen, sogenannten dritten Weg, beeinflussen, also die Nicht-Einordnung in eine der beiden Weltsichten zwischen Moskau und Peking auf der einen und dem Westen auf der anderen Seite. (...)

Obendrein erfreut sich Kiew auch deshalb keiner großen Beliebtheit in Lateinamerika, weil es sich seit seiner Annäherung an Washington systematisch bei allen Abstimmungen über eine Aufhebung der US-Sanktionen gegen Kuba enthält. Eine direkte Unterstützung Russlands ist aber ebenso ausgeschlossen. Das verdeutlichen die Worte von Lulas Sondergesandtem Celso Amorim, wonach der russischen Invasion in der Ukraine zwar «so manche Präzedenzfälle der Nato-Expansion vorangegangen» seien, was aber «nicht zur Legitimation eines anderen militärischen Angriffs dienen» dürfe.»


«Pravo»: Staudammsprengung in jedem Fall Verzweiflungstat

PRAG: Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine schreibt die Zeitung «Pravo» aus Tschechien am Mittwoch:

«Unter Friedensbedingungen würde es nur wenige Tage - wenn nicht gar nur Stunden - dauern, den Verursacher des Terroranschlags auf den Kachowka-Staudamm festzustellen. Mitten im Krieg werden die Ermittlungen schwieriger sein. Es ist mehr als zweifelhaft, dass die Ukrainer mit der Zerstörung des Staudamms strategische Vorteile erzielen. Was sollten sie von einer zusätzlichen Gefährdung des Kernkraftwerks Saporischschja, der Überflutung weiter Gebiete, die sie zum Großteil beherrschen, und von der Zerstörung des Wasserkraftwerks von Kachowka haben? Doch auch aus Sicht der Russen wäre es eine Verzweiflungstat. Eine Armee, die hinter sich die Brücken niederreißt, die Infrastruktur vernichtet und ganze Gebiete verwüstet, erweckt den Eindruck, dass sie auf der Flucht ist. Ganz abgesehen von den negativen Auswirkungen für die von Russland besetzte Krim, die von dem Stausee mit Wasser versorgt wurde.»


«La Repubblica»: Setzt Putin auf Raketen und Überschwemmungen?

ROM: Zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der südukrainischen Region Cherson schreibt die italienische Zeitung «La Repubblica» am Mittwoch:

«Vielleicht fällt es Italien gerade jetzt, nach der Flutkatastrophe in der Emilia-Romagna, leichter, sich mit dem Drama des zerstörten Staudamms in der Ukraine zu identifizieren. Das Risiko von Überschwemmungen in der gesamten Region Cherson, die Todesgefahr für 40.000 ukrainische Zivilisten, die vom Wasser überflutet werden könnten. (...)

Wie auch das nahe gelegene Kernkraftwerk Saporischschja war auch der Staudamm bisher in der Hand russischer Truppen: Sie hätten keine Schwierigkeiten gehabt, ihn zu verminen und in die Luft zu sprengen. Es ist ein Zeichen für die Eskalation, auf die der Konflikt zusteuert. Bis Ende August wird man Zeuge weiterer aufsehenerregender Taten werden können, denn der Krieg könnte bis zum Ende des Sommers entschieden sein oder zumindest einen Durchbruch bringen, bevor die Witterungsbedingungen die Bewegung von Menschen und Mitteln vor Ort erschweren. Wasser und Feuer, die beiden biblischen Geißeln: Es wäre nicht verwunderlich, wenn Putin neben Raketen auch auf Überschwemmungen zurückgreifen würde, um die Ukraine in die Knie zu zwingen.»


«El País»: In Polen wird die Demokratie untergraben

MADRID: Zur großen Demonstration von Hunderttausenden gegen die nationalkonservative Regierung in Polen schreibt die spanische Zeitung «El País» am Mittwoch:

«Die Verschlechterung der Qualität der polnischen Demokratie ist die zentrale Klage derjenigen, die auf die Straße gegangen sind. (...) Die jüngste sehr umstrittene Initiative der Regierung ist das Gesetz zur Einrichtung einer Untersuchungskommission über die russische Einflussnahme im Land ab 2007, das jedoch zu einem Instrument gegen den Oppositionsführer und ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk werden könnte. (...)

Es war ein weiterer Schritt zur Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit. Zu anderen Initiativen, die mit den Grundsätzen der EU unvereinbar sind, gehören die Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung oder die Schaffung von Ghettos, die «LGBT-Ideologie»-freie-Zonen genannt werden (...) Die Mächte, die die Demokratie untergraben, rudern nur sehr selten zurück, wie (die Regierungen von Viktor) Orban in Ungarn oder (Recep Tayyip) Erdogan in der Türkei zeigen.»


«Svenska Dagbladet»: Gräueltat in Nowa Kachowka

STOCKHOLM: Die konservative schwedische Tageszeitung «Svenska Dagbladet» (Stockholm) meint am Mittwoch zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der südukrainischen Region Cherson:

«Dass Russland verdächtigt wird, die Sprengungen ausgeführt zu haben, ist ziemlich selbstverständlich. Offiziell leugnet es natürlich seine Verantwortung, aber wenn man über alles andere in diesem Krieg so schamlos gelogen hat, warum sollte einem jemand dann heute glauben? Die Terrortat riecht nach Verzweiflung in einer Phase, in der der Krieg immer schlechter für Russland läuft und die internen Streitigkeiten immer schwerer zu verbergen sind. Putins Eskalation des Terrors sollte daher nicht als Stärkebeweis, sondern als Zeichen seiner Armseligkeit betrachtet werden. Die Gräueltat in Nowa Kachowka hebt den Terror auf eine neue Ebene. Sie fügt der bereits langen Liste der vom Putin-Regime begangenen Kriegsverbrechen ein weiteres schreckliches Kriegsverbrechen hinzu.»


«WSJ»: Der standhafte, aber uncharismatische Mr. Pence

NEW YORK: Zur Bewerbung des früheren US-Vizepräsidenten Mike Pence für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner und zu seiner Rolle beim Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 schreibt das «Wall Street Journal» am Mittwoch:

«In einem anderen Universum könnte Mike Pence das Rennen der Republikaner um das Präsidentenamt 2024 anführen. Sein Lebenslauf umfasst zwölf Jahre im Repräsentantenhaus, vier Jahre als Gouverneur von Indiana und dann vier Jahre als Vizepräsident, während der er einem unberechenbaren Außenseiter im Oval Office klugen Rat und das nötige Gewicht gab.

Doch als es am 6. Januar 2021 darauf ankam, stand Pence zu seinen Prinzipien, wohlwissend, dass dies seiner politischen Zukunft schaden würde. Für dieses Zeugnis von Charakter hat Präsident (Donald) Trump ihn als Verräter gebrandmarkt, und viele Republikaner haben ihm nicht verziehen. (...)

Als disziplinierter Wahlkämpfer macht Pence möglicherweise weniger Fehler als seine Konkurrenten. Die Kehrseite dieser Vorsicht ist, dass er den Ruf hat, so aufregend zu sein wie ein getoastetes Mayonnaise-Sandwich. Ohne ein wenig zusätzlichen Schwung könnte es ihm schwerfallen, landesweit die Aufmerksamkeit der republikanischen Vorwähler zu gewinnen.»


«de Volkskrant»: Mehr Transparenz bei KI ist unerlässlich

AMSTERDAM: Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) im Internet sollen nach dem Willen der EU-Kommission gekennzeichnet werden. Dazu meint die niederländische Zeitung «de Volkskrant» am Mittwoch:

«Schon seit zwei Jahrzehnten sind die Googles, Apples, Facebooks und Twitters dieser Welt undurchschaubare Bastionen, die kaum zur Rechenschaft gezogen werden können. Und das, während der Einfluss und die Risiken ihrer Erfindungen mit atemberaubender Geschwindigkeit zunehmen. Deshalb kommt der Versuch der Europäischen Kommission, Technologieunternehmen zu mehr Transparenz bei Künstlicher Intelligenz (KI) zu drängen, keinen Tag zu früh. (...)

Die rechtzeitige Erkennung der Gefahren durch KI - einer Technologie, die die Verbreitung polarisierender Desinformationen so stark ausweiten und beschleunigen kann, dass die Demokratie bedroht wird - ist ein Ansatz für die nächste EU-Richtlinie. Letztendlich ist eine größere Transparenz hinsichtlich der polarisierenden Algorithmen unerlässlich.»


«Rzeczpospolita»: Russlands Angst ist Grund der Staudamm-Sprengung

WARSCHAU: Die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» kommentiert am Mittwoch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine:

«Terrorismus - ein rücksichtsloser Angriff mit dem Ziel, die Öffentlichkeit einzuschüchtern und ihr und der Regierung etwas aufzuzwingen - passt zu vielen russischen Aktionen in der Ukraine. Auch die Sprengung des Dnipro-Staudamms passt dazu, selbst wenn die Russen das leugnen. Die Sprengung des Staudamms dient der Einschüchterung, aber sie entspringt auch der Angst. Vor einer ukrainischen Gegenoffensive, vor der Rückeroberung annektierter Gebiete, vor der Wiederherstellung der Grenzen an ihrem rechtmäßigen Platz. Die Russen stellen jeden Tag fest, dass sie die eroberten Gebiete auch ohne eine große Gegenoffensive nicht halten können. Sie haben auch Probleme, ihr eigenes Gebiet zu kontrollieren, in das sich kremlfeindliche russische Kämpfer vorwagen.

Moskau erschaudert am meisten bei dem Gedanken, die Krim zu verlieren. Aber der Kreml hat - wie so oft bei den unvorhergesehenen Folgen seiner Verbrechen - nicht berücksichtigt, dass die Zerstörung des großen Stausees auch die Halbinsel bedroht, die bereits seit neun Jahren besetzt ist. Die Krim hatte auch ohne dies Probleme mit der Wasserversorgung. Der Terror trifft manchmal das Herz der Terroristen. Das macht sie aber nicht weniger terroristisch.»


«Tages-Anzeiger»: Dammbruch nutzt keiner Seite

ZÜRICH: Zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der südukrainischen Region Cherson heißt es am Mittwoch im Schweizer «Tages-Anzeiger»:

«Klar ist, dass der Dammbruch für die Menschen und das Ökosystem der Region eine einzige Katastrophe ist - und militärisch letztlich keiner Seite nutzt. Die Ukraine muss nun im Gebiet Cherson unter schwierigsten Umständen Tausende Menschen evakuieren. Bereits gibt es Berichte, Kiew werde die Pläne für die seit langem geplante Offensive anpassen. Der Fluss Dnjepr (Dnipro), der die ukrainische und die russische Armee in Cherson trennt, wächst nun von einem Hunderte Meter breiten Strom zu einem mehrere Kilometer breiten See. Diesen mit schwerer Technik zu überwinden, dürfte fürs Erste ausgeschlossen sein.

Doch auch Russland profitiert nicht vom Dammbruch. Experten gingen nie davon aus, dass die ukrainische Armee ihre seit langem angekündigte Großoffensive in der Region Cherson starten wird. (...) Die Sprengung des Damms in Nowa Kachowka, der den Zufluss auf die Halbinsel Krim reguliert, birgt nun laut Experten erneut die Gefahr, dass der Kanal austrocknet, weil das Wasser vorher unkontrolliert abfließt. Denn zumindest darin sind sich die ukrainische und die russische Führung einig: Der gestern zerstörte Damm wird nicht repariert werden können.»


«Standard»: Moskau gerne in der Opferrolle

WIEN: Zur Zerstörung des Staudamms in der Ukraine schreibt die österreichische Zeitung «Der Standard» :

«Während Moskau also die Erzählung vom selbstzerstörerischen Ablenkungsmanöver verbreitete, griff man in Kiew zu handfesten militärischen Analysen: Russland habe das Gebiet unterhalb des Staudamms geflutet, um eine ukrainische Offensive auszubremsen (...)

Moskau mag durchaus Abnehmer für seine Erklärungsmuster haben: Zum einen müssen der heimischen Öffentlichkeit nicht nur Erfolge, sondern auch immer neue Rechtfertigungen der «militärischen Spezialoperation» präsentiert werden. Und auch im Ausland mag es Menschen geben, die geneigt sind, stets um genauso viele Ecken zu denken wie der Kreml. (...)

(Vor der Invasion der Ukraine) hat sich Moskau gerne in die Opferrolle begeben - als übervorteilt, unterschätzt und vom gesamten Westen hintergangen. Die Schuld an Konflikten, sie lag in der Kreml-Diktion immer anderswo. Am Tag der Invasion wurde diese Stimme leer und brüchig. Das gilt auch für die Propagandaschlacht rund um den Kachowka-Staudamm: Ohne die Aggression Russlands, das der Ukraine verbieten will, eigene Wege zu beschreiten, würde dieser Damm noch stehen.»

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