Zeitungen zum Geschehen am Mittwoch

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
Foto: Adobe Stock/©elis Lasop

«Stuttgarter Zeitung» zu EVG/Bahn

Tatsächlich hat die Deutsche Bahn im wahren Wortsinn so viele Baustellen, dass sie sich auf der einen Seite einen ausufernden Arbeitskampf nicht leisten kann, andererseits aber einen gewaltigen Gehaltssprung in der Belegschaft auch erst einmal finanzieren können müsste.

Die ohnehin schon hohen Ticketpreise weiter anheben? Die eigene Verschuldung weiter anheizen? Beim Eigentümer, dem Bund, mehr Unterstützung einfordern? Die Verhandlungsposition des Staatskonzerns ist alles andere als kommod. Und der Dritte im Bunde? Die Fahrgäste können das Treiben nur aus der Distanz beobachten, obwohl sie die Leidtragenden wären, wenn sich eine Einigung erst nach einem Streiksommer auf der Schiene einstellen sollte.


«Handelsblatt» zu Deutsche Wohnungspolitik/Grunderwerbssteuer

Der Traum von den eigenen vier Wänden darf kein Traum bleiben.

Wohnen ist Kern der sozialen Frage des 21. Jahrhunderts. Was Schönwetterreden angeht, spielt die deutsche Politik in der ersten Liga. In der Realität aber ist die Wohnungspolitik ein Trauerspiel. Denn die Politik lässt anscheinend nichts unversucht, den Kauf einer Immobilie für viele unerschwinglich zu machen. Stellvertretend dafür stehen die nunmehr ein Jahr andauernden, unseligen Debatten um die Grunderwerbsteuer. Vor der NRW-Wahl legte Bundesfinanzminister Christian Lindner im Vorjahr flugs dahingewurstelte Eckpunkte für eine Reform vor. Bundesländer sollen künftig über großzügige Freibeträge Familien von der Grunderwerbsteuer befreien können. Geschehen ist seitdem - wenig überraschend - nichts. Warum auch sollten die Länder auf einen guten Teil ihrer wenigen eigenen Steuereinnahmen verzichten?.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Urteil gegen Linksextremisten

(...) Für diese «Autonomen», die anders als die von ihnen zusammengeschlagenen Rechtsextremisten einen eher bürgerlichen Hintergrund haben (...), sind die Richter «Faschofreunde».

Aber eine «Klassenjustiz», wie im Verfahren skandiert wurde, gibt es im heutigen Deutschland dann doch nicht. Natürlich kann man immer Ermittlungsmaßnahmen und Urteile finden, die nicht zu ähnlichen Vorwürfen zu passen scheinen. Das liegt schlicht daran, dass die Justiz eben kein großer Automat ist, sondern hier Menschen über Menschen aufgrund von sehr individuellen Vorwürfen urteilen. Von den nun zu befürchtenden Ausschreitungen sollten sich weder die Justiz noch die Sicherheitsbehörden noch die Politik beeindrucken lassen - sondern sine ira et studio ihre Arbeit machen und dem Rechtsstaat Geltung verschaffen. (...).


«Süddeutsche Zeitung» zu Verhältnis Deutschland - Türkei

Hier zeigt sich, dass der Dorfdisco-Vergleich auch in die Irre führt: Die Weltpolitik ist weniger Party denn je, und eine begrenzte Zahl von Tanzpartnern bedeutet nicht, dass man mit allen gleich eng tanzen sollte.

Im Verhältnis zu Ankara sollte Berlin folglich auf Kooperation setzen, aber auch auf Klarheit: Die Repression in der Türkei ist zu benennen, jeder Versuch Erdogans ist inakzeptabel, gegen türkische Oppositionelle auch in Deutschland vorzugehen oder Kinder in Schulen und Moscheen zu indoktrinieren. Gespräche über einen EU-Beitritt sind derzeit sinnlos. Und den Erpressungsversuchen in der Schweden-Nato-Frage muss sich das Bündnis geschlossen entgegenstellen, am besten in Gestalt des US-Präsidenten.


«Rzeczpospolita»: In Polen droht Hexenjagd auf Oppositionsführer

WARSCHAU: Die polnische Zeitung «Rzeczpospolita» befasst sich am Mittwoch mit einem umstrittenen Gesetz zur Einberufung einer Russland-Kommission:

«Niemand sollte Zweifel daran haben, dass der Hauptaggressor während des Kriegs in der Ukraine versucht, die öffentliche Meinung in anderen Ländern zu beeinflussen. Das Problem: Die Einsetzung einer Kommission zur Untersuchung der russischen Einflussnahme in Polen öffnet das Feld für diese Einflussnahme noch weiter statt zur ihrer Bekämpfung beizutragen. Denn um russische Desinformation und Infiltration zu bekämpfen, braucht man die Zusammenarbeit von Staat und Gesellschaft, ein sehr hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen, dass hier ein gemeinsames Ziel verfolgt wird, und nicht das eng gefasste politische Interesse der einen oder anderen Partei.

In einer Situation, in der die Untersuchung des russischen Einflusses zum Wahlkampffestival wird, zu einer Jagd auf wichtige Oppositionspolitiker, wird es kein Vertrauen und keine Zusammenarbeit geben. Der schwerwiegende Vorwurf, das jemand im Interesse des Kremls handelt, wird zum politischen Knüppel. Die Lektüre des Gesetzes lässt keine Illusionen aufkommen, dass das Ergebnis der Kommission ein politisches Spektakel und eine Hexenjagd sein wird.»


«Pravo»: EU hat sich mit Erdogan längst arrangiert

PRAG: Zur Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schreibt die tschechische Zeitung «Pravo» am Mittwoch:

«Man muss sich fragen, ob ein Sieg des proeuropäischen Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu nicht unerwartete Schwierigkeiten für die EU bedeutet hätte. Was wäre geschehen, wenn er die Beitrittsverhandlungen seines Landes wieder hätte aktiv verfolgen wollen - und das zu einem Zeitpunkt, an dem Brüssel die Tür für die Ukraine öffnen möchte? Vielleicht haben die Spitzen der EU nach Erdogans Sieg aufgeatmet, weil es zu keinen Komplikationen kommt, auch wenn sie dessen autoritäre Politik immer wieder kritisieren.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU werden sich nun weiter in gewohnten Bahnen bewegen: nach außen deklarierte Freundschaft, die von gelegentlichen Feindseligkeiten überschattet wird, bei Aufrechterhaltung der engen wirtschaftlichen Verbindungen. Daran haben sich beide Seiten gewöhnt.»


«Nepszava»: Große Egos destabilisieren Balkan

BUDAPEST: Zu den jüngsten Ausschreitungen im Kosovo schreibt die ungarische Tageszeitung «Nepszava» am Mittwoch:

«Nicht nur die serbische Gemeinschaft im Nord-Kosovo und auch nicht nur der serbische Präsident Aleksandar Vucic können etwas dafür, dass die Situation dermaßen entgleist ist. Auch der kosovarische Regierungschef Albin Kurti trägt ein gutes Stück Verantwortung dafür. Zwei große Egos stehen einander gegenüber.

Kurti hat es sich mit dem Westen mehrfach verscherzt: So ist er nicht bereit, den Kosovo-Serben mehr Rechte zu geben. (...) Die beiden großen Egos haben wieder einmal nicht nur dem Balkan, sondern auch ihren eigenen Nationen schweren Schaden zugefügt. Sie sind nicht zur Einsicht bereit, dass der Weg, den sie beschreiten, in die komplette Katastrophe führt.»


«La Vanguardia»: Die Türkei wird sich weiter vom Westen distanzieren

MADRID: Zur Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schreibt die spanische Zeitung «La Vanguardia» am Mittwoch:

«Der wiedergewählte türkische Sultan hat Ambitionen, die weit über die Grenzen seines Landes hinausgehen und darauf abzielen, die Türkei als einflussreiche mittlere Großmacht auf der geopolitischen Weltbühne zu konsolidieren. Dies ist möglich, weil die Türkei nicht irgendein Land ist. Neben seiner strategischen geografischen Lage ist seine Armee die zweitgrößte der Nato. Das Land nimmt eine aktive, neutrale Position im russisch-ukrainischen Krieg ein. Es ist ein strategischer Partner für die EU in Bereichen wie Terrorismus, Sicherheit und Migration, obwohl es sich immer weiter von Brüssel entfernt. Und es spielt eine wichtige Rolle im Syrien-Konflikt. Alles deutet darauf hin, dass Erdogan seine Politik in diesen Bereichen beibehalten und sich weiter vom Westen distanzieren wird.

(...)

Für die einen ist er ein machtgieriger, autoritärer Herrscher; für die anderen der Architekt der modernen Türkei. Erdogan steht seit zwei Jahrzehnten an der Spitze seines Landes, er wird von der Mehrheit der Bürger unterstützt und hat nun weitere fünf Jahre Zeit, mit islamistischem Autoritarismus die Geschicke der Türkei zu lenken. Er wird damit ein Vierteljahrhundert ohne Unterbrechung an der Macht sein. Mehr als Republik-Gründer Atatürk.»


«The Times»: Angriff auf Moskau dürfte Nato missfallen

LONDON: Zur Drohnenattacke auf Moskau meint die Londoner «Times» am Mittwoch:

«Dieser Luftangriff, der als direkte Vergeltung für die schweren russischen Drohnen- und Raketenangriffe auf Kiew in den letzten Tagen angesehen werden kann, hat die ukrainische Moral zweifellos gestärkt. Dennoch ist ein Vorstoß in das Herz der russischen Macht nicht unbedingt klug. Es besteht die Gefahr, dass westliche Unterstützer der Ukraine entfremdet werden, die darauf bedacht sind, dass dieser Konflikt nicht eskaliert.

Die einfachen Drohnen, die bei dem Angriff auf Moskau eingesetzt wurden, der den russischen Präsidenten Putin offensichtlich verunsichert hat, waren nicht vom Westen geliefert worden. Aber diese öffentlichkeitswirksame Operation dürfte Nato-Spitzenpolitiker nervös machen. Insbesondere US-Präsident Biden, der darauf bestanden hat, dass die Ukraine keine hochentwickelten Waffen, die für ihre Verteidigung bereitgestellt wurden, für Angriffe auf russisches Territorium verwendet.

Die Nato hat sich verpflichtet, die Ukraine bei der Verteidigung gegen eine Aggression zu unterstützen, wie das Weiße Haus letzte Woche bekräftigte. Das Bündnis befindet sich jedoch nicht im Krieg mit Russland und beabsichtigt, dies auch so zu belassen. Die Ukraine muss diese Bedenken berücksichtigen, auch wenn sie verständlicherweise versucht, Russland für den wahllosen Beschuss ihrer Bevölkerung zahlen zu lassen.»


«Washington Post»: Westen darf Erdogan nicht nachgeben

WASHINGTON: Zum Wahlsieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schreibt die US-Zeitung «Washington Post» am Mittwoch:

«Es stimmt, dass der Westen Erdogans stetigen Kurs weg von demokratischen Normen möglicherweise nicht wird aufhalten können. Seinen Wahlsieg verdankt er zu großen Teilen seinem scharfen Vorgehen gegen die einst lebendigen türkischen Medien, der Inhaftierung politischer Gegner und seiner rücksichtslosen Manipulation staatlicher Institutionen und Ressourcen. Seine grauenhafte Menschenrechtsbilanz ist Schlüssel seines Machterhalts.

Nichtsdestotrotz sollten die Regierung (von US-Präsident Joe) Biden und ihre europäischen Verbündeten weiter für die grundlegenden westlichen Werte eintreten, die Erdogan mit Füßen getreten hat - selbst wenn sie mit der Tatsache konfrontiert werden, dass er den Schutz einiger der angesehensten westlichen Institutionen genießt.»


«Dagens Nyheter»: EU muss auf Kosovo-Lösung bestehen

STOCKHOLM: Die schwedische Tageszeitung «Dagens Nyheter» (Stockholm) kommentiert am Mittwoch die jüngsten Ausschreitungen im Kosovo:

«Bei den Unruhen im Kosovo gibt es Anstifter auf beiden Seiten der Konfliktlinie. Es ist schwierig, den Frieden zu bewahren zwischen Seiten, die daran nur mäßiges Interesse haben. So sieht es seit einem Vierteljahrhundert aus, das seit dem Jugoslawien-Krieg vergangen ist. Fundamentalisten bestimmen und sabotieren jeden vorsichtigen Fortschritt.

Der Hebel der EU ist, dass sowohl das Kosovo als auch Serbien Mitglieder der Union werden wollen, aber keiner sie hereinlässt, solange sie sich weigern, auf zivilisierte Weise miteinander umzugehen. Der Kosovo kann nirgendwo anders hin. Und während viele Serben eine slawische Verwandtschaft mit den Russen empfinden, hat Belgrad keinen wirtschaftlichen oder politischen Vorteil aus einem Bündnis mit Moskau. Die EU muss weiter insistieren. Eines Tages könnten sogar ewige Antagonisten von Realismus erfasst werden.»


«NZZ»: Forderung nach EU-Standarts für KI-Systeme leuchtet ein

ZÜRICH: Zur Debatte über strengere Regeln im Umgang mit Künstlicher Intelligenz meint die «Neue Zürcher Zeitung» aus der Schweiz am Mittwoch:

«Gerade für KI-Systeme in riskanten Bereichen wie Arbeit, Schule, Gesundheit und Polizei will die EU Mindeststandards festschreiben. Neu sollen auch allgemeinere Systeme wie Chat-GPT von den Regeln betroffen sein. Das ergibt Sinn. Denn OpenAI verkauft seine Sprach-KI an Firmen, die sie in ihre Produkte einbauen wie einen Motor.

Kleinere Firmen machen aus der allgemeinen Sprach-KI dann vielleicht einen Chatbot nur für Rechtsfragen oder einen Schreibassistenten für die Schule. Im Moment tun sie das, ohne zu wissen, mit welchen Methoden und Daten Chat-GPT trainiert wurde. Sie verkaufen also die Katze im Sack weiter. Es leuchtet ein, dass die EU auch hier Standards setzen will.

Wenn OpenAI offenlegen muss, wie es seine KI trainiert hat, wirkt sie erstens weniger «magisch». Zweitens könnte sich die Konkurrenz Ideen abschauen. Drittens ist nicht klar, ob die Firma überhaupt die nötigen Rechte an den Daten hatte, die in die KI eingeflossen sind.»


«De Telegraaf»: Selenskyj muss kühlen Kopf bewahren

AMSTERDAM: Zur Drohnenattacke auf Moskau heißt es am Mittwoch in der niederländischen Zeitung «De Telegraaf»:

«Wenn die Ukraine wirklich einen Drohnenangriff auf Moskau durchgeführt hat, spielt sie mit dem Feuer. Der Ruf nach Rache ist groß angesichts der andauernden unerbittlichen russischen Luftangriffe und Kriegsverbrechen, aber wenn die Ukraine die Unterstützung des Westens behalten will, muss sie sich zurückhalten.

Rote Linien wie die Lieferung von Langstreckenraketen wurden von der Nato bereits überschritten, und F-16-Kampfjets werden wahrscheinlich noch hinzukommen - allerdings immer mit dem Hinweis, dass solche Waffen nicht über russischem Gebiet eingesetzt werden dürfen.

Das bedeutet, dass das ukrainische Militär sich mit einer Hand auf dem Rücken verteidigen muss. Angesichts des Leids, das dem Land zugefügt wurde, ist das fast unmoralisch, aber die Realität. (...) Präsident Selenskyj wird einen kühlen Kopf bewahren müssen, um die Unterstützung des Westens nicht zu verlieren.»

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder
Rolf W. Schwake 01.06.23 18:10
Selenskyj wird einen kühlen Kopf bewahren ...
... denn er ist auf die Lieferung von West-Waffen und Munition angewiesen. Das seine Generalität über seinen Kopf hinweg eine Drohnenattacke gegen Moskau startet, ist ebenfalls nicht denkbar. Als Analytiker sollte man fragen "Cui bono" - wem zum Nutzen? Wem ist daran gelegen, daß im Westen wegen der Angriffe gegen Moskau Zweifel an der Unterstützung der Ukraine aufkommen? Wem ist daran gelegen, die Einheit des Westens aufzuspalten? Wer will die Unterstützer gegeneinander aufwiegeln? Wenn man an die Rolle des russischen Inlandsgeheimdienstes während der Tschetschenien-Kriege denkt, sitzt eigentlich der Nutznießer dieser angeblichen Drohnenangriffe im Kreml selbst! Zuzutrauen wäre eine solche Strategie unter Hinnahme eigener Opfer eigentlich nur Zöglingen von KGB-Schulungsstätten! Also: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...