«Berliner Morgenpost» zu Habeck
Mit der Politik ist es häufig wie mit einem guten Witz.
Timing ist alles! Robert Habeck weiß das eigentlich. Der kommende Kanzlerkandidat der Grünen hat auch in der Chaos-Koalition der Ampel in schwierigen Situationen passende Worte gefunden. Umso verwunderlicher war, was Habeck am Donnerstagabend in die Welt hinauspostete. Zum absoluten Tiefpunkt dieser Regierung teilte der Vizekanzler ein anbiederndes Schmunzel-Video, das seine Kanzlerkandidatur schon einmal «anteasen» sollte, wie lässige Werber es formulieren würden. Was Habeck als Kanzlerkandidat in die Waagschale werfen will, machte er tags darauf klar. In einem weiteren, fast neun Minuten langen Video ruft er die Kanzlerkandidatur aus, ohne den Begriff selbst zu nennen. Er sagt, dass er sich als Kandidat der Grünen bewerben wolle, für die Menschen in Deutschland. Und dann der Nachsatz: «Wenn Sie wollen, auch als Kanzler.» Habeck weiß: Es ist ein kühner Spagat, der ohne Demut nicht gelingen kann.
«Frankfurter Rundschau» zu Trumps Machtfülle
Mit dem Regierungswechsel in Washington stehen die USA vor einer tektonischen Verschiebung, die das System der Gewaltenteilung aus dem Lot zu bringen droht.
Manch ein Beobachter tröstet sich damit, dass die Welt auch die ersten vier Präsidentschaftsjahre des Rechtspopulisten überlebt hat. Doch 2024 ist anders als 2016. Nicht nur zog damals ein unerfahrener Ex-Reality-TV-Star ins Weiße Haus, während nun ein von Rachsucht getriebener Parteiführer mit klarer Agenda zurückkehrt. Vor allem verfügt Trump über eine Machtfülle wie keiner seiner Vorgänger. Man braucht keine Fantasie, um sich Trumps erste Tage im Amt vorzustellen. Er selbst hat öffentlich Massendeportationen von irregulären Migranten, Säuberungsaktionen im Justizministerium und beim FBI sowie die Strafverfolgung führender Demokraten angekündigt. Ein Hoffnungsschimmer bleibt: Bei den Midterms in zwei Jahren könnten sich die Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus wieder ändern. Das würde Trump möglicherweise bremsen.
«Stuttgarter Zeitung» zu Habeck
Habeck buhlt um Wähler, die einen wie Winfried Kretschmann gut finden und früher vielleicht für Angela Merkel gestimmt haben - riskiert damit aber, Ökosozialisten und linke Nachwuchsgrüne zu verprellen.
Er wäre der richtige Mann für Koalitionsverhandlungen mit der großteils grünabstinenten Union, ist aber nicht unbedingt ein Erfolgsgarant für seine Partei. Aber wer sonst?.
«Münchner Merkur» zu Rotgrün/Neuwahl
Mit Spielchen hoffte sich die Rest-Regierung aus ihrem Umfragetief zu tricksen und Neuwahlen auf die lange Bank zu schieben.
Doch das Land bringt sie so nicht voran. Investoren gehen bereits in Deckung: Seit Scholz seinen Wahlplan vorgestellt hat, ist der deutsche Aktienindex Dax abgetaucht, während in den USA die Kurse seit Trumps Sieg steil nach oben schossen. Nach dem öffentlichen Aufschrei dämmert Rotgrün allmählich, dass sich ihr Wahlplan als Bumerang erweisen könnte. Davor warnt zu Recht der mit Abstand erfolgreichste Grüne, nämlich Ministerpräsident Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg. Es wäre ein letzter Dienst an seinem taumelnden Land, wenn am Ende einer aufwühlenden Woche der Kanzler doch noch ein Einsehen hätte, schnell die Vertrauensfrage stellt und damit den Weg freimacht für Neuwahlen. Deutschland braucht einen Aufbruch. Nicht irgendwann im nächsten Jahr. Sondern jetzt.
«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Übergriffe von Amsterdam
Wenn kurz vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht mitten in Europa Juden von einem Mob durch die Straßen gehetzt und krankenhausreif geprügelt werden, ist das längst mehr als ein Warnzeichen.
(.) Die Hinterhalte in Amsterdam wirkten (.) nicht spontan, sondern perfide geplant, um den Krieg aus Nahost nach Europa zu holen. Damit zeigt sich auf erschütternde Weise, wie das Kalkül der Hamas aufgeht. Mit ihrem monströsen Massaker vom 7. Oktober zog die Terrororganisation Israel in einen Krieg, den es militärisch zwar gewinnen konnte, an der öffentlichen Meinungsfront aber verlieren musste, da er zu immensen zivilen Opfern führt. (.) Kritik an Israels Kriegsführung ist legitim und berechtigt, aber sie muss scharf getrennt werden von dem Hass, der sich aus alten antisemitischen Mustern speist.
«Wall Street Journal»: Mit Abtreibungen auf falsches Pferd gesetzt
NEW YORK: Kamala Harris hätte sich bei dem Kampf um die Präsidentschaft in den USA auf andere Themen konzentrieren sollen, schreibt die New Yorker Tageszeitung «Wall Street Journal»:
«Demokraten, die darauf gesetzt hatten, dass die Abtreibungsthematik sie retten würde, gingen am Dienstag leer aus. Sie sahen das Thema als politischen Rettungsanker in einem Wahlzyklus, der von Inflation und der Grenzpolitik dominiert wurde. (...)
Harris (...) behauptete, Präsident Trump und die republikanische Mehrheit im Kongress würden ein nationales Verbot erlassen. (...) Die Demokraten gaben landesweit 175 Millionen Dollar für Fernsehwerbung aus, um diesen Punkt zu untermauern - mehr als für jedes andere Thema. Dennoch stimmten Millionen von Amerikanern für den Zugang zu Abtreibung und wählten gleichzeitig die Republikaner auf demselben Stimmzettel. (...)
Die Angriffe der Demokraten verfehlten deshalb ihre Wirkung, weil sich Trump schon früh gegen ein nationales Verbot ausgesprochen hatte. (...) Und trotz erheblicher Einschränkungen in 13 Bundesstaaten ist die Zahl der Abtreibungen in den USA im Jahr 2023 gestiegen.(...) Die politische Bedeutung des Themas könnte in den nächsten zwei Jahren weiter abnehmen, wenn die Republikaner und Trump den Wählern zeigen, dass sie sich weiter gegen ein nationales Verbot aussprechen.»
«Politiken»: Niederlage für den politischen Kompromiss
KOPENHAGEN: Die liberale dänische Tageszeitung «Politiken» (Kopenhagen) kommentiert das Aus der Ampelkoalition in Deutschland vor dem Hintergrund der Wahl des Republikaners Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten:
«Was für eine Woche. Am Mittwochmorgen war klar, dass Donald Trump als Präsident der USA zurückkehrt. Und am Abend brach die wichtigste Regierung der EU, die deutsche, praktisch zusammen. Nur wenige werden sie vermissen. Auch wenn es mit Blick auf Trump beunruhigend sein kann, dass Kanzler Scholz nicht zügig Neuwahlen ausruft, sondern es auf eine mehrmonatige deutsche Handlungslähmung anlegt.
Die deutsche Regierungskrise stellt eine Niederlage für den politischen Kompromiss dar, der Teil einer liberalen Demokratie ist. Die Krise dieser liberalen Demokratie ist nicht eindeutig. Die Amerikaner wählten vor vier Jahren trotz allem Joe Biden. Polen hat mit Donald Tusk den illiberalen Weg verlassen. Aber wir sehen ein zunehmendes Schwanken zwischen den illiberalen und liberalen Kräften in den Demokratien des Westens. Das ist ein Krisenzeichen, das zeigt, dass die Wähler der traditionellen Mitte das Vertrauen in ihre Vertreter verloren haben und bereit sind, weit zu gehen, um gehört zu werden. Viele von ihnen wollen konkrete Lösungen für konkrete Probleme. Die Aufgabe ist es, zuzuhören!»
«El Mundo»: Ampel-Bruch lähmt den Motor der EU
MADRID: Zum Bruch der Ampel-Koalition schreibt die spanische Zeitung «El Mundo» am Freitag:
«Der Bruch der Koalition in Deutschland nach der Entlassung der Liberalen aus der Regierung von Olaf Scholz verstärkt die Schwäche des Kanzlers und die Lähmung des wirtschaftlichen Motors der EU. Und das geschieht just in einem Moment, in dem Europa das Gegenteil braucht: die Stärkung seiner Führung und seiner strategischen Autonomie angesichts der Rückkehr von Donald Trump, einem isolationistischen Präsidenten, der droht, die transatlantischen Beziehungen zu überdenken. Die Spannungen innerhalb der Ampelkoalition bezüglich der Maßnahmen zur Überwindung der Rezession waren untragbar geworden (...)
Die Entlassung (von Finanzminister Christian) Lindner führte zum endgültigen Bruch und zwingt Scholz, bis zu vorgezogenen Neuwahlen mit einer Minderheit zu regieren. (...) Bei den Wahlen droht nicht nur eine Machtübernahme der aufstrebenden CDU, sondern auch eine weitere Stärkung der rechtsextremen AfD, die bereits in drei Bundesländern Erfolge verzeichnete. Die Krise schafft ein Szenario beunruhigender politischer Instabilität (...) In der deutsch-französischen Achse kann die Regierung von Michel Barnier, die ebenfalls in einer sehr prekären Lage ist, nicht ausgleichend wirken.»
«Sme»: Showman ist der neue Politikertyp
BRATISLAVA: Die slowakische Tageszeitung «Sme» schreibt am Freitag zum Ausgang der US-Präsidentschaftswahl:
«Kamala (Harris) hat nicht deshalb verloren, weil sie sich zu wenig von (Präsident Joe) Biden distanzierte. Auch nicht deshalb, weil sie zu wenig Tränen für Gaza vergossen oder die hispanische Minderheit zu wenig angesprochen hat. Nein, sie hat aus dem selben Grund verloren, aus dem man bei "America's Got Talent", "Star Dance", "Star Box" und anderen solchen Sendungen verliert: Donald Trump ist der bessere Performer als sie.
Das hat sich klar gezeigt, als er zum Beispiel bei einem Wahlkampfauftritt gezählte 40 Minuten einfach nur getanzt hat. Auch Harris hat - metaphorisch - "getanzt", aber an Esprit und Ausstrahlung reichte sie nicht an ihren Gegner heran, der in dieser Disziplin erfahrener ist. Die entscheidende Botschaft dieser Wahl ist die endgültige Bestätigung, dass der entscheidende Erfolgstyp der Demokratie im 21. Jahrhundert der Typus Showman ist.»
«Sydsvenskan»: Alle Blicke richten sich nun auf Deutschland
MALMÖ: Die liberale schwedische Tageszeitung «Sydsvenskan» (Malmö) kommentiert das Aus der Ampelkoalition:
«Ein passives Deutschland ist nicht das, was die EU oder die Ukraine benötigen. Deutschland ist - gemeinsam mit Frankreich, das ebenfalls interne Probleme hat - Mannschaftskapitän des EU-Teams auf der weltpolitischen Bühne. Wenn in Deutschland wie unter Angela Merkel innenpolitische Ordnung herrscht, dann hat das Land auch Zeit, mit ganzem Engagement an europäischen Angelegenheiten zu arbeiten. Doch wenn die Innenpolitik stattdessen von Unsicherheit und Kompromisslosigkeit geprägt ist, hat das auch Konsequenzen für den liberalen Zusammenhalt über Deutschland hinaus. Eine Regierungskrise in Berlin ist viel mehr als nur eine Regierungskrise in Berlin. Die Geschichte hat gezeigt, dass es bei Deutschlands politischer Stabilität auch um die Zukunft, den Frieden und die Freiheit in Europa geht.»
«Kommersant»: Deutschland schaltet die Ampel aus
MOSKAU: Die russische Tageszeitung «Kommersant» kommentiert den Zerfall der deutschen Regierungskoalition.
«Die deutsche «Ampelkoalition» (benannt nach den traditionellen Farben der drei Parteien), die bereits einige Monate aus den Fugen geraten war, ist schlussendlich zerfallen. Grund waren unüberbrückbare Differenzen über die Haushalts- und Wirtschaftspolitik. Die Nachrichten über den Zerfall der Koalition kamen an dem Tag herein, als die Welt dem Sieger der US-Wahl, Donald Trump, gratulierte. Die Rückkehr des Republikaners ins Weiße Haus, der reich an Drohungen gegenüber der europäischen Wirtschaft war, galt in der BRD vor kurzem noch als eindämmender Faktor gegen den Zerfall der Regierung. Doch der Faktor hat nicht funktioniert.
Vor dem Hintergrund niedriger Zustimmungswerte aller Mitglieder der zerfallenen Koalition (die FDP liegt derzeit beispielsweise unter der für den Einzug in den Bundestag nötigen Fünf-Prozent-Hürde) sind die größten Profiteure die oppositionellen Konservativen: die rechtszentristische CDU, die in Fragen der Einwanderung in den letzten Jahren deutlich nach rechts gerückt ist, führt in allen Meinungsumfragen.
Global verliert von der politischen Instabilität in Deutschland das ganze Land und teilweise Europa.»
«Diena»: Wie Trumps Rückkehr zu bewerten ist
RIGA: Zu den Auswirkungen der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus schreibt die lettische Tageszeitung «Diena» am Freitag:
«Wir sprechen über das einzige Land der Welt, das den Einfluss Russlands ausgleichen kann und das bisher getan hat. Was für das Dasein Lettlands von existenzieller Bedeutung ist. Nun kehrt Trump mit völliger Unvorhersehbarkeit und Risiken an die Macht zurück. Dies kann entgegen manchen Erwartungen leider in einer Situation enden, die noch schlimmer wird, als es war. Daher ist das einzige Prisma, durch das wir von Trump ausgehende Gefahr für die existenziellen Interessen Lettlands in naher Zukunft bewerten können, wie genau er und seine gruselige Entourage (warten wir ab, bis sich echte Kandidaten für Schlüsselpositionen in der Regierung herauskristallisieren) agieren werden. Am wichtigsten aber ist, wie er sein Versprechen versteht, innerhalb von 24 Stunden Frieden in der Ukraine zu erreichen.»
«Corriere della Sera»: Deutschland muss sich neu aufstellen
MAILAND: Die italienische Zeitung «Corriere della Sera» meint, dass sich Deutschland nach dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA und dem Ende der Ampel-Koalition neu aufstellen muss:
«Es hat keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Ohne die Liberalen wird Scholz die für die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes erforderliche Vertrauensabstimmung im Bundestag nicht bestehen, und Deutschland wird bald wieder an die Urnen gehen, wahrscheinlich im nächsten Frühjahr. Aber Lindners Rücktritt und Trumps Rückkehr ins Weiße Haus konfrontieren Berlin mit Entscheidungen, die es bisher zu verschleiern versuchte und die sich in der deutschen Debatte schon seit einiger Zeit abzeichnen.
Die EU-Länder dürfen sich nicht länger der Illusion hingeben, dass der US-Schirm sie weiterhin kostenlos schützen wird. (...) Heute verlangen im Westen Trump und im Osten Putin mit seinem Plan für ein autokratisches Großrussland und Xi mit seinem Vorhaben, Chinas Hegemonie in der Technologie durchzusetzen, ein starkes Europa. Die Alternative wäre, unseren Kindern eine Provinz zu hinterlassen, die vielleicht schuldenfrei wäre - aber irrelevant und unterwürfig.»
«L'Est Républicain»: Europa muss USA gegenüber geschlossen auftreten
NANCY: Zur europäischen Reaktion auf den Wahlsieg von Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl in den USA schreibt die französische Zeitung «L'Est Républicain»:
«Von dieser Seite des Atlantiks aus betrachtet, gibt es viele Gründe, sich über die Wahl von Donald Trump Sorgen zu machen. Die Europäische Union ist vor allem über zwei Themen besorgt. Das erste betrifft die Zukunft der Militärhilfe, die Amerika der Ukraine gewährt hat (...).
Die andere Befürchtung ist, dass Trump die Bedingungen für den Zugang zum US-Markt durch die Einführung von Zöllen verschärfen wird, wie es in seiner ersten Amtszeit der Fall war. (...) Unmittelbar nach der Bekanntgabe von Trumps Sieg erklärten Emmanuel Macron und Michel Barnier, dass die EU gegenüber Amerika mit einer Stimme sprechen sollte, und warnten ihre Partner vor Alleingängen. Hinter den diplomatischen Reden, in denen die Notwendigkeit des kollektiven Spiels gepredigt wird, verdächtigt in Wirklichkeit jeder seinen Nachbarn, im Alleingang mit Washington verhandeln zu wollen.
Deutschland zum Beispiel, das stark von seinen Handelsbeziehungen mit den USA abhängig ist, könnte angesichts seiner schweren Krise umso mehr versucht sein, einen bilateralen Dialog zu führen. Mit einem Markt von 450 Millionen Einwohnern ist Europa theoretisch wie geschaffen, um mit anderen Mächten zu konkurrieren. Aber solange es nicht ein Mindestmaß an Einheit zeigt, um seine Wirtschaft zu schützen, wird es sich weiterhin von China und den USA das Fell über die Ohren ziehen lassen.»
«de Volkskrant»: Deutschland steht vor großen Veränderungen
AMSTERDAM: Zu den nach dem Bruch der Ampel-Koalition in Deutschland anstehenden Neuwahlen meint die niederländische Zeitung «de Volkskrant» am Freitag:
«Die CDU/CSU, die mit Friedrich Merz einen Rechtsruck vollzogen hat, ist der absehbare Sieger. Sie liegt in den Umfragen jetzt so hoch wie die drei bisherigen Koalitionspartner zusammen. Aller Voraussicht nach steht Deutschland ähnlich wie die USA nach der Präsidentschaftswahl vor großen, wenngleich weniger extremen Veränderungen. Merz befürwortet eine knallharte Einwanderungspolitik. Und er hat bereits signalisiert, dass er grüne Ambitionen drastisch zurückdrängen will.
Den Grünen und der SPD bleibt nichts anderes als der Versuch übrig, der deutschen Bevölkerung weiterhin verständlich zu machen, dass die Energiewende notwendig ist, um auch längerfristig eine wettbewerbsfähige Industrie zu haben. Zudem kann es auch nicht schaden, zu betonen, dass Deutschland unter der Führung der Ampel-Koalition mit der schnellen Abkehr vom russischen Gas einen Kraftakt vollbracht hat und - solange der Krieg in der Ukraine andauert - einige Opfer in Form von höheren Preisen und zusätzlichen Ausgaben unvermeidlich sind.»
«The Times»: Europas Militärausgaben werden steigen müssen
LONDON: Die Londoner «Times» beschäftigt sich am Freitag mit möglichen Folgen des Wahlsiegs von Donald Trump für die europäischen Verbündeten der USA:
«Seit seiner ersten Amtszeit im Weißen Haus wettert Trump gegen eine mangelnde Bereitschaft seiner europäischen Verbündeten, mehr für die Verteidigung auszugeben, während sie sich zugleich unter den militärischen Schutzschirm der USA stellen. Zwei Drittel der Nato-Mitglieder geben inzwischen die geforderten 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für ihre Streitkräfte aus, aber ein wiedererstarkter Trump wird wahrscheinlich mehr verlangen.(...)
Wenn Trump seine Drohung wahr macht, entweder einen Deal zur Ukraine zu erzielen oder sich von ihr abzuwenden, könnten die europäischen Staats- und Regierungschefs in eine schwierige Lage geraten. Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs müssten sie eine wirklich unabhängige Sicherheitspolitik entwickeln. Dabei ist es nicht gerade hilfreich, dass Europas militärische Kapazitäten begrenzt sind. (...)
Es ist natürlich möglich, dass Trump davor zurückschrecken wird, sich von der Ukraine loszusagen - aus Angst vor der Schande, die das für seine Präsidentschaft bedeuten würde. Doch während Europas Regierungen auf das Beste hoffen, müssen sie sich auf das Schlimmste vorbereiten. Was auch immer geschieht, die Friedensdividende ist dahin. Die Verteidigungsausgaben werden steigen müssen, und die militärische Integration Europas muss vorangetrieben werden.»
«NZZ»: Deutschland braucht mutige Richtungsentscheidungen
ZÜRICH: Zum Scheitern der Ampel-Koalition meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Freitag:
«Das Land braucht nicht mehr Schulden, um weiterzumachen wie bisher, sondern mutige Richtungsentscheidungen. Vor allem braucht es sofortige Neuwahlen. Die bisherigen Regierungsfraktionen im Bundestag haben das Vertrauen des Souveräns verloren.
Die gegenwärtige Krise ist die letzte Chance für die Union. Sie ist maßgeblich mitverantwortlich für die Missstände im Land. Wenn sie jetzt nicht beweist, dass sie es besser kann, dann dürfte das «blaue Wunder», von dem die AfD träumt, tatsächlich bald eintreten.
Deutschland braucht einen Kanzler, der in großen Linien denkt und auch bereit ist, diese durchzusetzen. Er muss die Energiepolitik neu aufsetzen, unter Einschluss der Kernkraft und mit einem an die restliche EU angepassten Zielpfad. Er muss Sozialausgaben und Regularien zurückschneiden und dafür mehr in Militär, Infrastruktur und Schulen investieren.
All das würde Zeit kosten, vieles wäre unbeliebt, und der Gegenwind wäre beachtlich. Doch die Alternative - eine Fortsetzung der Politik kurzfristig gedachter Wohltaten für die Wähler - wäre fatal. Worum es geht, sind langfristige Weichenstellungen zum Wohle des Landes. Das ist es, was das bürgerliche Lager in Deutschland nun leisten muss.»
«Tages-Anzeiger»: Das Misstrauen der Deutschen ist derzeit enorm
ZÜRICH: Zum Ende der Ampel-Koalition heißt es am Freitag im Schweizer «Tages-Anzeiger»:
«Kanzler Scholz hat nun also ein Machtwort gesprochen und Lindners Aufstand beendet. Einen guten Monat will der Sozialdemokrat noch mit den Grünen weiterregieren, um für einige aus seiner Sicht unaufschiebbare Geschäfte Mehrheiten abseits der FDP zu suchen. Mitte Januar wird er dann im Bundestag die Vertrauensfrage stellen - und verlieren, um den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen im März freizumachen.
Wie auch immer die ausgehen: Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich die nächste Regierung leichter mit den anstehenden Aufgaben tut als die Ampel. Angesichts der Stärkeverhältnisse wird auch sie wieder zwei oder mehr Parteien über die politische Mitte hinweg vereinen müssen - mit allen ideologischen Widersprüchen, die das mit sich bringt.
Das Misstrauen der Deutschen ist derzeit enorm. Den Christdemokraten von Friedrich Merz etwa, die laut Umfragen gerade mehr Zuspruch erhalten als SPD, Grüne und FDP zusammen, traut nicht einmal jeder Vierte zu, dass sie besser regieren als zuletzt die verhasste Ampel. Aber immerhin ein Neuanfang wäre es.»