Zeitungen zum Geschehen am Freitag

Foto: Pixabay/Gerd Altmann
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«Münchner Merkur» zu Bundeshaushalt

Erst diese Woche kassierte das Verfassungsgericht einen zentralen Teil der Wahlrechtsreform.

Ein Wiederholungsfall: Im November hatte Karlsruhe den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für nichtig erklärt. Auch das Schnellverfahren für das Heizungsgesetz wurde gestoppt. Für eine Regierung, die viele Kritiker pauschal zu Demokratiefeinden erklärt, sind das ziemlich viele Verstöße gegen die Verfassung. Deshalb ist es völlig richtig, wenn Lindner nach den Gutachten erst einmal auf die Bremse tritt. Eine Dreiparteien-Koalition darf ihre fundamentalen Meinungsunterschiede bei Schuldenbremse und Schwerpunktsetzung nicht auf Dauer mit Tricks ausgleichen, die womöglich wieder einkassiert werden. Deutschland hat es verdient, seriös regiert zu werden.


«Stuttgarter Zeitung» zu Gefangenenaustausch

US-Präsident Biden und Bundeskanzler Scholz stehen in der Verpflichtung, Schaden von ihrem Volk abzuwenden.

Die politische Situation bot ihnen die Möglichkeit, in schwerer Not befindlichen Staatsbürgern Hilfe zukommen zu lassen. Der Handel mit Putin befreite Menschen von den Straflagern, in denen zuletzt Alexej Nawalny umgekommen war. Die Politiker konnten darüber hinaus die Verhandlungssituation nutzen, um einer Reihe russischer Oppositioneller den Weg in die Freiheit zu bahnen. Das alles geschah, ohne nationales Recht zu beugen. Paragraf 456a der Strafprozessordnung ermöglicht bei einer Ausweisung das Absehen von der Strafvollstreckung. Biden und Scholz hatten heikle moralische Fragen zu klären. Ob sie richtig oder falsch gehandelt haben, darüber sollte man mit leiser Stimme sprechen. In dieser Situation haben sich beide dafür entschieden, Menschen in Not zu helfen und gaben dieser Hilfe den Vorrang vor abstrakten - wenngleich wichtigen - Prinzipien. Sie haben im Zweifel für die Freiheit entschieden.


«Washington Post»: Geiseln eines Diktators und eines Polizeistaats

WASHINGTON: Zu dem großangelegten Gefangenenaustausch zwischen Russland und mehreren westlichen Ländern schreibt die «Washington Post» am Freitag:

«Dieser Gefangenenaustausch hätte niemals notwendig sein dürfen, denn (Wladimir) Kara-Mursa, (Evan) Gershkovich und die anderen hätten niemals inhaftiert werden dürfen. Sie haben nichts getan, was die langen Haftstrafen gegen sie gerechtfertigt hätte, und in den meisten Fällen haben sie überhaupt nichts Kriminelles getan. Sie wurden gefasst und inhaftiert, weil sie ihre elementaren Menschenrechte ausgeübt haben.

Sie wurden von einem Diktator und einem Polizeistaat als Geiseln gehalten, die alle Prinzipien der Zivilgesellschaft und der Rechtsstaatlichkeit ablehnen. Mehr noch: Russland hat sie sich genommen, um sie gegen Russen auszutauschen, die echte Straftaten begangen haben, darunter ein Attentäter, Spione und einer der größten Hacker, die jemals festgenommen wurden.

Um die Unschuldigen freizubekommen, ist es möglich, den Austausch zu tolerieren. Aber unter den kalten geopolitischen Bedingungen, die Putins Denken bestimmen, ist dies ein unbestreitbarer Sieg für ihn.»


«Neatkariga Rita Avize»: Ist Orban nun zu weit gegangen?

RIGA: Die lettische Tageszeitung «Neatkariga Rita Avize» kommentiert am Freitag den Ärger über die ungarischen Sonderregeln für Gastarbeiter aus Russland und Belarus:

«Diesmal ist Orban möglicherweise über das Ziel hinausgeschossen, denn EU-Beamte und die Regierungen der EU-Länder müssen etwas unternehmen. Solange Orban nur redet oder nach Moskau und Peking fliegt, schadet es Europa nicht übermäßig. Doch dass nun möglicherweise Kreml-Spione und Terroristen unkontrolliert über Ungarn weiter in alle anderen 28 Länder der Schengen-Zone reisen können, ist etwas zu viel.

Es gibt EU-Länder, in denen Spione und Terroristen nicht nur aus Geschichten bekannt sind, sondern die auch erlebt haben, wie ein Lagerhaus oder eine Produktionsanlage explodierte, wie von Putins Regime unerwünschte Menschen durch Gift oder eine Kugel starben. Daher wäre es nur logisch, wenn die Schengen-Staaten Grenzposten und strenge Passkontrollen zu Ungarn wiederherstellen würde.

Ungarn riskiert also, aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen zu werden, und die Wiedereinführung von Grenzkontrollen würde dies im Wesentlichen bedeuten. Das wäre logisch. Aber wie es in der Realität ausgehen wird, ist noch nicht bekannt - in der EU wird nie schnell entschieden.»


«Wall Street Journal»: Scholz gebührt Dank bei Gefangenen-Deal

NEW YORK: Das «Wall Street Journal» kommentiert die Freilassung ihres Korrespondenten Evan Gershkovich bei dem großangelegten Gefangenenaustausch zwischen Russland und mehreren westlichen Ländern:

«Die US-Amerikaner und die freigelassenen russischen Dissidenten schulden dem deutschen Kanzler Olaf Scholz einen besonderen Dank. (...) Scholz setzte sich dem Risiko politischer Kritik im eigenen Land aus, indem er den Spion freiließ, den Putin entsandt hatte, um auf deutschem Boden zu töten. (...)

Gershkovich wurde nach seiner Verhaftung während einer Recherchereise 491 Tage lang festgehalten (...). Evan wurde letztlich der Spionage beschuldigt, aber Beweise dafür wurden in seinem Prozess nie öffentlich gemacht (...). Er war lediglich eine Schachfigur in dem neuen Spiel des Kremls, bei dem es darum geht, Geiseln zu nehmen, um sie als Druckmittel zu benutzen (...).

Die hässliche Wahrheit ist, dass Russland und andere rücksichtslose Regime Geiseln nehmen, weil es funktioniert. (...) Die derzeitige weltweite Wahrnehmung der Schwäche der USA hat schlimme Folgen für die Pressefreiheit und für US-Amerikaner im Ausland. (...) Etwas wird sich ändern müssen, sonst werden nach diesem Gefangenenaustausch noch mehr Amerikaner als Geiseln genommen. Dies wird im kommenden Jahr für Donald Trump ebenso gelten wie für Kamala Harris.»


«Sydsvenskan»: Trump liefert Schlagzeilen, die er nicht braucht

MALMÖ: Die liberale schwedische Tageszeitung «Sydsvenskan» (Malmö) kommentiert Donald Trumps Attacke zur Abstammung seiner Kontrahentin um das US-Präsidentenamt, Kamala Harris:

«Irgendetwas musste Donald Trump tun, um das Scheinwerferlicht zu übernehmen, während es nur noch drei Monate bis zur Wahl sind und die Kampagne von Kamala Harris Rückenwind hat. Deshalb ging der Ex-Präsident auf übliche Weise zum Frontalangriff über. Nicht gegen die Politik der Demokraten, wie es sich die Vernünftigeren in Trumps Republikanischer Partei gewünscht hätten, sondern gegen Harris' Abstammung.

Trump hat diese Karte schon einmal gezogen. Zu Beginn der Präsidentschaft von Barack Obama verbreitete er Verschwörungstheorien über Obamas Herkunft - insbesondere die Lüge, dass der Präsident kein amerikanischer Staatsbürger sei. Damals stellten die nationalistischen republikanischen Wähler die Zielgruppe dieser Botschaft dar. Nun versucht Trump also, die Gruppe der schwarzen Wähler dazu zu bringen, entweder zu Hause zu bleiben oder bestenfalls für ihn zu stimmen.

Bei seinem Auftritt in Chicago sollte Trump als vernünftige Alternative auftreten; als ein Präsidentschaftskandidat, der sich tatsächlich die Zeit nimmt, auch die Wähler zu treffen, die traditionell für die Demokraten stimmen, ein weißer Mann, der die Bedingungen der schwarzen Bevölkerung versteht. Stattdessen kam der übliche Rassismus, gepaart mit Empörung über «unverschämte» und «bösartige» Fragen der drei weiblichen - und schwarzen - Journalistinnen auf der Bühne. Das hat gewiss Schlagzeilen erzeugt - aber nicht die, die die Trump-Kampagne brauchte.»


«ABC»: Austausch wirft Probleme auf

MADRID: Zum Gefangenenaustausch zwischen dem Westen und Russland schreibt die spanische Zeitung «ABC» am Freitag:

«Sechsundzwanzig Gefangene haben an einem Austausch teilgenommen, den der türkische Geheimdienst auf Ersuchen Washingtons und Moskaus organisiert hat. Obwohl die Türkei der Nato angehört, hat sie sich geweigert, wegen des Einmarsches in der Ukraine Sanktionen gegen Russland zu verhängen, und sie spielt eine zentrale Rolle als Vermittler zwischen dem Westen, Russland und dem Nahen Osten. (...)

Deutschland war das Land, das sich am stärksten dem Austausch widersetzt hatte. In seinen Gefängnissen saß der Mann, an dessen Wiedererlangung (der russische Präsident Wladimir) Putin am meisten interessiert war: der Auftragskiller und russische Geheimdienstagent Vadim Krassikow (der sogenannte Tiergartenmörder) (...) Im Gegenzug hat sich Putin bereit erklärt, den «Wall Street Journal»-Korrespondenten Evan Gershkovich freizulassen. (...)

Die Rückkehr zu diesen Praktiken des Kalten Krieges wirft mehrere Probleme auf. Erstens verlangen die heutigen Demokratien ein Höchstmaß an Transparenz und sind nicht bereit, Staatsräson blind zu akzeptieren, ganz gleich wie lobenswert ihre Ziele auch sein mögen. Zweitens ist die bewusste Entscheidung Russlands, Journalisten und politische Dissidenten mit erwiesenen Spionen und Attentätern gleichzusetzen, an sich schon eine Schande. (...) Dieser Austausch verlangt nach Erklärungen.»


«The Times»: Freude, Verachtung und Überraschung

LONDON: Zum Gefangenaustausch zwischen dem Westen und Russland meint die Londoner «Times» am Freitag:

«Die erste Reaktion sollte Freude darüber sein, dass der Leidensweg von Evan Gershkovich ein Ende gefunden hat. Der Reporter des Wall Street Journal, der 2023 in Russland unter dem Vorwurf der Spionage verhaftet und vor zwei Wochen zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt wurde, kam im Rahmen des größten Ost-West-Gefangenenaustauschs seit dem Kalten Krieg frei.

Die zweite Reaktion sollte Verachtung für eine aggressive Regierung sein, das auf zynische Weise westliche Journalisten und andere leicht festzunehmende Menschen zu Geiseln macht, um sie gegen Mörder, Waffenhändler und Spione einzutauschen, die im Westen inhaftiert sind, weil sie die schmutzige Arbeit des Kremls im Ausland verrichten.

Und die dritte Reaktion sollte Überraschung darüber sein, dass es der Biden-Administration in einer Zeit fast beispielloser Spannungen mit Russland gelungen ist, eine Vereinbarung zu erzielen, die auch zur Befreiung einer Reihe mutiger Russen geführt hat, die sich gegen Missstände und Unterdrückung eingesetzt und dafür mit langen Haftstrafen bezahlt haben.»


«De Standaard»: Erpressung macht Russland nicht zum Gewinner

BRÜSSEL: Zum Gefangenenaustausch zwischen dem Westen und Russland meint die belgische Zeitung «De Standaard» am Freitag:

«Einer der 26 ausgetauschten Gefangenen ist (der US-Journalist) Evan Gershkovich. Er war von Russland fälschlicherweise der Spionage beschuldigt und zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt worden. (...) Acht Russen, die in europäischen und amerikanischen Gefängnissen saßen, kehren nach Russland zurück. Unter ihnen der Auftragskiller Wadim Krassikow., der in einem Berliner Park einen tschetschenischen Dissidenten ermordet hat. Ein Auftragsmörder für einen Journalisten. Auch dieser Deal sieht nach Erpressung aus. (...)

Russland empfängt Krassikow nun wie einen Helden. Die russischen Regimekritiker, die der Westen befreit hat, sieht der Kreml gerne gehen. Exilanten verschwinden schneller aus den Nachrichten als Märtyrer in russischen Zellen. Aber das macht Russland nicht zum Gewinner dieser Erpressung. Das sind und bleiben jene Länder, denen es vor allem um die Freiheit unschuldiger Bürger geht.»


«Nesawissimaja» Austausch mit langfristigen Folgen

MOSKAU: Zu dem Gefangenenaustausch zwischen Russland und westlichen Staaten schreibt die Moskauer Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» am Freitag.

«Russland und der Westen haben einen großen Austausch vollzogen mit langfristigen Folgen. Die russischen Behörden und ihre Gegner haben vorübergehend einige ihrer menschlichen Vorwürfe gegeneinander aufgehoben. (...)

Die Ereignisse des 1. August 2024 werden in die Geschichte eingehen, aber es ist nicht klar, in welcher Eigenschaft: entweder als Zeichen der bevorstehenden Versöhnung zwischen Russland und dem Westen oder lediglich als Illustration der unterschiedlichen Wertesysteme, die von Beamten in verschiedenen Ländern vertreten werden.

Was auch immer die langfristigen Folgen des Austauschs sein mögen, eine führende Persönlichkeit der Welt hat bereits davon profitiert: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Er hat sehr hart daran gearbeitet, den Ruf seines Landes als Vermittler wichtiger Weltprobleme zu sichern, und es ist ihm gelungen.»


«NZZ»: Deutschland kommt den USA weit entgegen

ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Freitag die Rolle Deutschlands beim Gefangenenaustausch zwischen dem Westen und Russland:

«Im umfangreichsten Gefangenenaustausch zwischen dem Westen und Russland seit Ende des Kalten Krieges war der «Tiergartenmörder» die zentrale Figur. (.) Nun hat die Bundesregierung ihn tatsächlich überstellt, damit mehrere Gefangene freikommen, unter anderem der in Weißrussland zunächst zum Tode verurteilte deutsche Staatsbürger Rico K.

Aber es ging bei diesem Deal vor allem um zwei Amerikaner: den zu sechzehn Jahren Lagerhaft verurteilten amerikanischen Reporter Evan Gershkovich und den Militärangehörigen der amerikanischen Marine Paul Whelan. Das war die Hauptsache. Und es zeigt: Deutschland kommt den USA weit entgegen. (.)

Es geht hier allerdings um mehr als Moral. Es geht vor allem im Falle Deutschlands um Realpolitik. Das Land ist in besonderer Weise abhängig von den USA, erst recht seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Anders als Großbritannien und Frankreich besitzt es keine eigenen Nuklearwaffen. Es braucht den amerikanischen Schutzschirm. (.) Einen solchen Verbündeten verprellt man nicht. Auch wenn das bedeutet, einen Mörder freizulassen.»

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