«Frankfurter Rundschau» zu Syrien
Als "Großstadt" darf sich in Deutschland ein Ort bezeichnen, der mehr als 100.000 Menschen zählt.
Gemessen daran sind in Syrien im Laufe der Jahre die Einwohnerinnen und Einwohner von zwei kompletten Großstädten spurlos verschwunden - mindestens. Nach der Befreiung von Zehntausenden aus dem Foltergefängnis Saidnaja in Damaskus gelten weitere 200.000 Menschen als vermisst. Der Terror, der in Syrien zutage tritt, straft alle Lügen, die in Assads Staat ein "sicheres Herkunftsland" sehen wollten. Sicher war das höchstens für jene, die dem Regime genehm waren - wenn überhaupt. Die sich offenbarenden Gräuel sollten auch alle zur Zurückhaltung mahnen, die sich gerade mit Rückkehr-Forderungen überbieten. Die HTS hat Syrien zwar von Assad befreit. Ob die Miliz sich aber als Wächterin der Menschenrechte entpuppt, ist noch lange nicht ausgemacht.
«Handelsblatt» zur Konjunktur und zur Lage in Deutschland
Die Wirtschaft braucht das Signal, dass die Politik sie nicht nur als Wahlkampfinstrument missbraucht und dass jede Reform mindestens noch ein Dreivierteljahr dauern wird. Mehrere kleine Maßnahmen lägen zur Entscheidung vor.
Steuerliche Entlastungen, konkret der Abbau der kalten Progression, würden nicht nur den privaten Haushalten helfen, sondern auch den Selbstständigen und Personengesellschaften. Das entsprechende Gesetz hatte die Ampel weitgehend ausgehandelt, bevor sie zerbrach. Doch seitdem hat FDP-Chef Christian Lindner plötzlich keine Lust mehr auf das Gesetz, das er selbst ausgearbeitet hat.
«Berliner Morgenpost» zu Thüringen
Der CDU-Politiker Mario Voigt ist im ersten Wahlgang zum neuen Regierungschef in Thüringen gewählt worden.
Es war die Linke um den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, die Voigt über die Hürde half und ihn vor der Peinlichkeit bewahrte, mit Stimmen der rechtsextremen AfD ins Amt zu kommen. Die Thüringer Linke war die große Verliererin der Landtagswahl. Am Donnerstag hat sie sich erneut als Kraft erwiesen, auf die Verlass ist, wenn es darauf ankommt. Die Bundes-CDU von Friedrich Merz sollte die Vorgänge von Erfurt zum Anlass nehmen, ihre Haltung zur Linkspartei - oder zu dem, was noch davon übrig ist - grundlegend zu überdenken. Fast 35 Jahre nach dem Ende der DDR ist es aus der Zeit gefallen, Kooperationen mit dieser Partei grundsätzlich auszuschließen.
«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Voigt neuer Ministerpräsident
Mario Voigt hat ein politisches Kunststück vollbracht, um das ihn der um sein Amt bangende Parteifreund Michael Kretschmer in Sachsen beneiden dürfte.
Mit der Wahl zum Ministerpräsidenten von Thüringen gleich im ersten Wahlgang, und das auch noch mit absoluter Mehrheit, hat der bisherige CDU-Oppositionspolitiker trotz fehlender eigener Mehrheit seiner "Brombeerkoalition" aus CDU, Wagenknecht-Partei und SPD wieder ein Mindestmaß an Stabilität und Berechenbarkeit im Freistaat hergestellt. Dieses nicht zu unterschätzende Pfund zu Beginn seiner Amtszeit in einem Land mit der rechtsextremen und destruktiven Höcke-AfD als stärkster Kraft verdankt Voigt ausgerechnet seinem Vorgänger Bodo Ramelow und dessen Linkspartei.
«Le Parisien»: Risiko einer finanziellen Krise noch nicht gebannt
PARIS: Zu den Risiken einer Finanzkrise in Frankreich angesichts des Regierungssturzes und der andauernden Suche nach einem neuen Premierminister schreibt die französische Zeitung «Le Parisien» am Donnerstag:
«Es gibt die politische Zeit, die im Rhythmus der Konsultationen mit den Parteivorsitzenden schlägt. Und es gibt die Zeit der Märkte, die sich nicht um die Verhandlungen schert und jeden Moment aus dem Ruder laufen kann. «Aus diesem Grund kommuniziert die Exekutive jeden Tag, mit Blick auf das Auftreten einer Krise», sagt ein Abgeordneter des Regierungslagers, «um die Märkte zu beruhigen.» (...)
Bisher hat die Kommunikationsstrategie funktioniert. Die Zinsen sind nicht in die Höhe geschossen. "Man darf den Leuten mit solchen Dingen keine Angst machen, wir haben eine starke Wirtschaft", sagte Emmanuel Macron kürzlich.
Der schwierigste Teil steht jedoch noch bevor: Die künftige Regierung muss einen ordnungsgemäßen Haushalt aufstellen und dabei neue makroökonomische Prognosen einbeziehen, die wie das Wachstum nach unten korrigiert wurden. Das Signal, das an die Märkte gesendet wird, wird wahrscheinlich nicht unbemerkt bleiben.»
«Corriere della Sera»: Europa muss geschlossen auftreten
ROM: Die italienische Zeitung «Corriere della Sera» fordert gegen die negativen Folgen der Globalisierung mehr Geschlossenheit in Europa:
«Die Wähler fordern zu Recht vom Nationalstaat Schutz vor unkontrollierter Einwanderung und globalem Markt, die in verschiedenen Formen die Löhne und Rechte der arbeitenden Klassen schmälern. Auf der einen Seite die Konkurrenz der Armen, auf der anderen Seite die Gier der Reichen: Am Ende sind es die Wehrlosen, die darunter leiden, weil sie weder ihre Löhne senken noch Schwarzarbeit leisten, noch in Kryptowährungen investieren oder sich in Steueroasen flüchten können.
Der Punkt ist, dass der Nationalstaat wenig tun kann. (Auch diese (italienische) Regierung tut, abgesehen von ihrer verbissenen Haltung gegenüber Migranten, in Wirklichkeit wenig mehr als nichts.) Nur Europa kann Schleppern und Schmugglern das Handwerk legen, Steuervorschriften vereinheitlichen, Steuerparadiese innerhalb der EU - Holland, Irland, Luxemburg - abschaffen, Druck auf die Schweiz und ihre Banken ausüben, mittelalterliche Hinterlassenschaften wie das Fürstentum Monaco und San Marino überwinden.»
«Trouw»: Rückkehr-Debatten schüren bei Syrern Zukunftsangst
AMSTERDAM: Die niederländische Zeitung «Trouw» kommentiert am Donnerstag die Debatten in Europa über die Rückkehr syrischer Flüchtlinge:
«Mehrere Staaten - darunter die Niederlande, Deutschland, Österreich, Dänemark und Schweden - haben die Entscheidung über Asylanträge von Syrern ausgesetzt. Das entspricht zwar offenkundig der sich verändernden Situation in Syrien, doch das Motiv dafür scheint alles andere als uneigennützig zu sein.(...)
In den Niederlanden benutzte Geert Wilders, der Vorsitzende der Partei für die Freiheit (PVV), die Freudenfeiern von Syrern als Argument dafür, dass man sie nun gleich abschieben könne. Bemerkenswerterweise hatte Wilders noch vor fünf Wochen behauptet, Syrer könnten auch zurückgeschickt werden, während Assad noch an der Macht ist. Der CDU-Politiker Jens Spahn schlägt vor, dass die deutsche Regierung Charterflüge nutzen sollte, um syrische Flüchtlinge zurückzubringen, möglicherweise mit einer Ausreiseprämie von 1.000 Euro.
Der Enthusiasmus, mit dem europäische Spitzenpolitiker die Syrer wegschicken wollen, wirft einen Schatten auf die jahrelange Gastfreundschaft und Solidarität, die sie während des Krieges gezeigt haben, und schürt bei den Syrern einmal mehr Ängste vor einer ungewissen Zukunft in Europa.»
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«The Guardian»: Südkorea braucht sofortige Neuwahlen
LONDON: Die britische Zeitung «The Guardian» kommentiert am Donnerstag die Forderung in Südkorea nach einer Amtsenthebung des Präsidenten Yoon Suk Yeol:
«Der ebenso bizarre wie empörende und kurzlebige Versuch des südkoreanischen Präsidenten in der vergangenen Woche, das Kriegsrecht zu verhängen, sorgt noch immer für Unruhe. Die Polizei hat am Mittwoch versucht, das Büro von Yoon Suk Yeol zu durchsuchen, da sie gegen ihn wegen des Verdachts auf einen Aufstandsversuch ermittelt. Seine Partei sagt, er werde die Macht an den Ministerpräsidenten und Parteichef übergeben. Andere bezeichnen dies als einen verfassungswidrigen «zweiten Staatsstreich». (...)
Rund 70 Prozent der Südkoreaner sind dafür, dass das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Yoon durchführt. Doch die regierende People Power Party (PPP) hat die Abstimmung darüber in der vergangenen Woche boykottiert. Es war falsch, auf diese Weise Parteiinteressen über die Interessen des Staates und des Volkes zu stellen. Das wird nicht so schnell verziehen werden. Wenn die PPP-Abgeordneten wirklich ihr politisches Überleben sichern wollen, sollten sie bei der zweiten Abstimmung an diesem Wochenende die Amtsenthebung unterstützen. Präsident Yoon ist nach zwei Jahren seiner fünfjährigen Amtszeit keine lahme Ente, sondern eine tote Ente. Das Land braucht keinen «Rücktrittsfahrplan» für den Präsidenten, sondern sofortige Neuwahlen.»
«NZZ»: Scholz macht Wahlkampf mit linkem Populismus
ZÜRICH: Die «Neue Zürcher Zeitung» kommentiert am Donnerstag den Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für viele Lebensmittel von 7 auf 5 Prozent zu senken:
«Pünktlich zum anlaufenden Bundestagswahlkampf hat Olaf Scholz plötzlich das Thema Inflation entdeckt. (.) So sieht blanker linker Populismus aus. Die Idee passt zur chaotischen Wirtschaftspolitik der «Ampel» in den vergangenen Jahren.
Rein ordnungspolitisch plädieren Ökonomen ohnehin oft für einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz, also gegen die Subventionierung einzelner Produktgruppen oder Branchen. Der normale Satz liegt in Deutschland derzeit bei 19 Prozent. In der Schweiz notiert er übrigens bei lediglich 8,1 Prozent.
Zudem ist die von Scholz vorgeschlagene Senkung wenig zielgenau, weil sie alle Haushalte entlastet und nicht nur die ärmeren. Ferner wäre die Gefahr groß, dass sich Unternehmen die Senkung als Gewinn einverleiben, sie also nicht an die Kunden weitergeben. Der Vorstoß von Scholz beruht wohl vor allem auf der Erkenntnis, dass die Inflation bei der Wahlentscheidung in den USA eine sehr wichtige Rolle spielte.»