Zeitungen zum Geschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Die Presse»: Macron und die realitätsferne Selbstüberschätzung

WIEN: Zu der Regierungskrise in Frankreich schreibt die österreichische Tageszeitung «Die Presse»:

«Die politische Realität hat das Wunderkind entzaubert, er hat weder Frankreich noch Europa reformiert. Der hyperaktive Staatschef geht inzwischen den Franzosen auf die Nerven (...) Denn aus der einst mitreißenden Kreativität à la Macron ist eine irritierende Unruhe geworden, eine realitätsferne Selbstüberschätzung, die ihn zu fatalen Fehlentscheidungen verleitet - mit katastrophalen Folgen für sein Land und ganz Europa. (...)

Eine Krise der einzigen EU-Atommacht lähmt aber auch Europa - und das ausgerechnet in einer Zeit der Renaissance von machthungrigen Imperien, Militärkonflikten und drohenden Handelskriegen. Das Schicksal liberaler Demokratien steht vor einer harten Probe, wenn Donald Trump und seine "graue Eminenz", Elon Musk, im Jänner (Januar) in den USA an die Macht kommen.»


«Stuttgarter Zeitung» zur Bundestagsdebatte um das Abtreibungsrecht

ES IST SCHLICHT ABSURD: Seit Jahrzehnten wird über die Legalisierung oder Kriminalisierung von Abtreibungen offen gestritten - egal ob zum Weltfrauentag oder mit Hinblick auf die US-Wahl.

Regelmäßig kommt das Thema wieder auf, fast schon ermüdend. Denn tatsächlich ist die Gesellschaft viel weiter als die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger im Bundestag. Immer wieder zeigen Umfragen, dass die Deutschen längst bereit sind für einen neuen Kompromiss. So ist eine Mehrheit der Meinung, dass der Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch verschwinden sollte. Wenn überhaupt etwas skandalös ist, dann dass ausgerechnet eine grünsozialliberale Regierung es in den vergangenen Jahren nicht geschafft hat, die Entkriminalisierung anzugehen.


«Frankfurter Rundschau» zu AI-Bericht/Gaza

Während der Internationale Gerichtshof noch prüft, hat Amnesty International in den Chor jener eingestimmt, die Israel vorwerfen, im Gazastreifen einen Genozid zu begehen.

Die Menschenrechtsorganisation bemüht sich aber um eine sachliche Diskussion, benennt Kategorien und belegt das Urteil mit Argumenten, was viele andere nicht gemacht haben. Dennoch wird der Bericht nicht dazu beitragen, die verhärteten Fronten aufzulösen. Das belegt nicht nur eine Reaktion des israelischen Außenministeriums, wonach die angeblichen Belege erfunden seien. Dabei hat der AI-Bericht Schwächen. Ein wichtiges Kriterium für Völkermord ist der Vorsatz, den es bis zum blutigen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 für Israel nicht gab. Zu wenig beachtet wird auch, dass die Hamas die Menschen in Gaza durchaus als menschliche Schutzschilde missbraucht. Wichtiger als eine umstrittene Position zu erhärten, wäre es ohnehin, Mittel und Wege aus dem Konflikt zu finden. Diese Stimmen werden immer leiser.


«Handelsblatt» zur Regierungskrise in Frankreich

Auch wenn eine aufgeregte Momentaufnahme zu einem anderen Schluss verleiten könnte: Frankreich ist nicht Griechenland.

Zwar hat die Doppelkrise mit hohen Haushaltsdefiziten und dem Sturz der Regierung die Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen auf das Niveau vergleichbarer griechischer Papiere steigen lassen. Aber es wäre falsch, eine Euro-Krise heraufziehen zu sehen wie vor 15 Jahren, als Griechenland der Staatsbankrott drohte. (.) Doch die französische Wirtschaft braucht stabile Rahmenbedingungen, das derzeitige politische Chaos schreckt ausländische Investoren ab. Auch die Glaubwürdigkeit Frankreichs in Europa und das Vertrauen in die gerade reformierten europäischen Schuldenregeln stehen auf dem Spiel. Barnier hat es kurz vor seinem Sturz auf den Punkt gebracht: Die Realität wird nicht durch den Zauber eines Misstrauensvotums verschwinden.


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zum EU-Mercosur-Abkommen

Selten war ein Abkommen wirtschaftlich wie politisch so bedeutend.

Der Vertrag schafft mit 700 Millionen Menschen die größte Freihandelszone der Welt. Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist das ein Segen. (.) Der Vertrag ist auch ein Bekenntnis zu freiem Handel und offenen Märkten in einer Zeit, in der Protektionismus immer neue Freunde gewinnt. (.) Der Vertrag sendet überdies das Signal, dass die Europäer nicht mehr tatenlos zusehen, wie Peking seinen geopolitischen Einfluss ausbaut. (.) Von der Leyen musste sich deshalb über den Widerstand des französischen Präsidenten Macron (.) hinwegsetzen. Die Sorgen der Landwirte in Frankreich und anderswo in der EU vor der neuen Konkurrenz aus Südamerika lassen sich nicht mit Protektionismus lösen. Dafür muss die EU andere Lösungen finden.


«Rzeczpospolita»: Der deutsch-französische Motor fehlt der EU

WARSCHAU: Die polnische Tageszeitung «Rzeczpospolita» schreibt am Donnerstag zur Regierungskrise in Frankreich und Deutschland:

«Unabhängig vom Schicksal dieser konkreten französischen Regierung ist klar, dass sich Frankreich in einer tiefen politischen Krise befindet: ohne klare Mehrheit für eine der Fraktionen in der Nationalversammlung, mit erstarkenden Parteien der extremen Rechten und Linken und mit einem rekordverdächtig unpopulären Präsidenten. All dies führt dazu, dass Paris nicht in der Lage ist, das zu tun, worin Frankreich immer gut war: der EU eine Richtung zu geben.

Für die EU ist die Tatsache, dass in Deutschland im Februar vorgezogene Neuwahlen anstehen, nicht so sehr von Belang. Olaf Scholz war nie sonderlich daran interessiert, in der EU eine richtungsweisende Rolle zu spielen, und seine Ampel-Koalition ist schon lange mit internen Streitigkeiten beschäftigt. Wenn die Bundestagswahl zu einem stärkeren Kanzler führen würden, wäre das sogar von Vorteil. In einer Situation, in der - wie in Frankreich - die Parteien der extremen Linken und der extremen Rechten an Stärke gewinnen, ist dies jedoch keineswegs sicher. Infolge dieser Turbulenzen fehlt der deutsch-französische Motor, der die EU jahrelang angetrieben hat.»


«Washington Post»: Hegseth taugt nicht als US-Verteidigungsminister

WASHINGTON: Zu dem umstrittenen Fernsehmoderator Pete Hegseth, den der designierte US-Präsident Donald Trump zum Verteidigungsminister machen möchte, schreibt die «Washington Post» am Donnerstag:

«Die geplante Nominierung des Fox-News-Moderators Pete Hegseth als Verteidigungsminister zeigt, dass der designierte Präsident Donald Trump bei der Überprüfung versagt hat. Hegseth fehlen das Temperament, das Urteilsvermögen, der Charakter und die Erfahrung, um die komplexeste und tödlichste Militärorganisation der Welt zu führen. Glücklicherweise hat Trump mehrere bessere Optionen für die Leitung des Verteidigungsministeriums und seiner drei Millionen Mitarbeiter. Diese Kandidaten würden den Senat problemlos passieren und dem Pentagon als gute Verwalter dienen. (...)

Der Posten des Verteidigungsministers ist einer der wichtigsten in der Regierung. Es lohnt sich, auf jemanden zu warten, der nicht nur die Gunst des Präsidenten genießt, sondern auch das Vertrauen des Senats verdient - und das des amerikanischen Volkes.»


«Público»: EU-Führung muss Lücke von Paris und Berlin füllen

LISSABON: Zum Sturz der Regierung in Frankreich und dem Ende des Regierungsbündnisses in Deutschland sowie möglichen Folgen für die EU schreibt die portugiesische Zeitung «Público»:

«Die Neue Volksfront (...) kündigte einen Misstrauensantrag an, dem sich Marine Le Pen bald anschloss. Die beiden extremen Kräfte vereinten sich mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen. In der Parlamentsdebatte, die der Abstimmung über das Misstrauensvotum vorausging, griffen sie sich gegenseitig heftig an, nur um am Ende gemeinsam abzustimmen. Dies ist das besorgniserregendste Zeichen für die zweite Krise der Demokratie, die durch den Radikalismus auf der linken und rechten Seite gefangen ist, ohne dass die politische Mitte (...) eine Mehrheit bilden konnte.

In Deutschland ist die Krise trotz allem weniger ernst. Im Oktober beschloss Bundeskanzler Olaf Scholz, die Drei-Parteien-Koalition aus SPD, Grünen und Liberalen durch vorgezogene Neuwahlen im Februar zu "töten". Seine Strategie wird wahrscheinlich zu einem Sieg der Mitte-Rechts-CDU/CSU von Friedrich Merz führen. Wieder einmal tragen die Extreme zur politischen Instabilität bei, selbst im traditionell stabilen Deutschland. Kann die Europäische Union funktionieren, wenn ihr politisches Zentrum in der Krise steckt? Die Antwort liegt auch in der Fähigkeit, die die neue Führung der europäischen Institutionen haben müsste, um das Vakuum zu füllen. Das wird nicht leicht sein.»


«Aftonbladet»: Die russischen Imperialisten haben Georgien im Visier

STOCKHOLM: Die sozialdemokratische schwedische Tageszeitung «Aftonbladet» meint zu den Zusammenstößen von prowestlichen Demonstranten und der georgischen Polizei in Tiflis:

«Auf den Straßen in Tiflis, Georgiens Hauptstadt, ist das Déjà-vu der Normalzustand. Wir haben das alles wortwörtlich schon einmal gesehen. Die Menschenmassen, die gegen die prorussische Regierung protestieren, sehen genauso aus wie diejenigen auf dem Maidan in Kiew vor zehn Jahren. Die gleichen EU-Flaggen, die gleichen Gasmasken und Schilde. Die gleiche Sehnsucht nach Freiheit. Und die gleiche Hoffnung auf Hilfe aus Europa.

Damals entschied Europa, die Bedrohung des Imperialismus aus Moskau nicht ernst zu nehmen. Und als Russland die Krim annektierte, war aus Berlin, Paris, London und Brüssel nur ein leises Raunen zu hören. Erst 2022, als Wladimir Putin versuchte, auch den Rest der Ukraine zu besetzen, wachte der Westen endlich auf und begann, zurückzuschlagen.

Europa muss die Demokratiebewegung in Georgien auf jede erdenkliche Weise unterstützen. Und wir müssen die militärische Unterstützung für die Ukraine weiter verstärken. Russland wird wieder genau wie zuvor von roten Linien sprechen. Aber die können wir ignorieren. Denn mal ehrlich: Was müssen wir schon befürchten? Dass Russland einen Krieg beginnt? Déjà-vu.»


«Pravo»: Der Feind unseres Feindes ist nicht immer unser Freund

PRAG: Zum Kampf islamistischer Rebellen gegen die Armee von Machthaber Baschar al-Assad in Syrien schreibt die Zeitung «Pravo» aus Tschechien in ihrer Onlineausgabe:

«Man sagt zwar, dass der Feind unseres Feindes unser Freund ist, aber in diesem Fall gilt das nicht. Der Feind unseres Feindes kann auch unser Feind sein, wenn es um Salafisten und verschiedenste weitere islamistische Radikale geht. Wir sollten uns daran erinnern, was uns die westliche Unterstützung für die Mudschahedin in Afghanistan eingebrockt hat. Auf die Freude, wie sie den Sowjets einheizten, folgte schnell der Schock über die Taliban-Bewegung, die der Terrorgruppe Al-Kaida Unterschlupf bot.

Der syrische Machthaber Baschar al-Assad ist sicher kein Unschuldslamm. Unschuldslämmer haben im Nahen Osten ohnehin kaum eine Chance, sich durchzusetzen. (...) Doch es gibt keinen Grund, sich über den Vormarsch der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) zu freuen. Stattdessen sollte uns das mit Angst erfüllen - auch wenn die Gruppe behauptet, dass sie keine Gefahr für den Westen darstelle, sondern es ihr nur darum gehe, Assad zu stürzen.»


«Financial Times»: Macron muss den Rest seiner Amtszeit retten

LONDON: Zum Scheitern der französischen Regierung unter Premier Michel Barnier heißt es am Donnerstag in der Londoner «Financial Times»:

«Während Präsident Emmanuel Macron zwei Monate brauchte, um Michel Barnier zu nominieren, muss er dieses Mal schneller einen Ersatz finden. Jede Verzögerung birgt das Risiko, ihn schwach aussehen zu lassen und die Finanzmärkte weiter zu verunsichern - die Kosten der französischen Kreditaufnahmen schossen letzte Woche aus Angst vor einem Scheitern von Barniers Haushaltsplan bereits in die Höhe. Ein längerer Stillstand könnte auch die Forderungen nach einem Rücktritt Macrons und vorzeitigen Präsidentschaftswahlen vor dem Ende seiner Amtszeit im Jahr 2027 lauter werden lassen. (...)

Für Macron geht es darum, den Rest seiner zweiten Amtszeit zu retten und gleichzeitig das zu schützen, was von seiner Bilanz übrig geblieben ist, vor allem in der Wirtschaft, wo er unternehmensfreundliche Reformen und Steuersenkungen durchgesetzt hat. (...) Da es in Frankreich nicht üblich ist, Koalitionen zu bilden, bleibt Macron kaum etwas anderes übrig, als die rivalisierenden Parteien zur Zusammenarbeit aufzufordern, um für Stabilität zu sorgen und zumindest einen Haushalt zu verabschieden.»


«NZZ»: Expertenregierung könnte in Frankreich für Stabilität sorgen

ZÜRICH: Nach dem Sturz der Regierung in Frankreich könnte Präsident Emmanuel Macron ein Kabinett aus Technokraten ernennen, meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Donnerstag:

«Was in Italien schon mehrmals vorkam, wäre für Frankreich ein Experiment. Aber es scheint derzeit die beste Lösung zu sein. Denn die letzten Monate haben gezeigt, dass die dominanten Parteien in der Assemblée nicht bereit sind, sich im Interesse des Landes zusammenzuraufen und Kompromisse einzugehen - nicht einmal, wenn es um so etwas Grundsätzliches wie ein Budget geht. Eine Expertenregierung könnte eine Zeitlang für Stabilität sorgen, weil sie für einen - wenn auch kleinen - Konsens steht. Im Idealfall könnte sie ein paar Geschäfte verabschieden und dafür sorgen, dass die Staatsschulden nicht noch weiter steigen.

Das muss Macrons Priorität sein - zumindest bis im kommenden Sommer, wenn Neuwahlen wieder eine Option werden. Frankreich muss sparen und funktionieren, nicht nur für seine Bürgerinnen und Bürger, sondern auch für Europa. Scheitert in den nächsten Monaten eine weitere Regierung, leidet nicht nur Frankreichs Ruf, sondern auch jener des Präsidenten. Bis anhin verbittet er sich Rücktrittsforderungen an seine Adresse. Vertut er sich aber noch einmal mit der Wahl eines Regierungschefs, liefert er all jenen Munition, die ihn vor Ende seiner Amtszeit 2027 aus dem Élysée-Palast jagen wollen.»


«de Volkskrant»: Frankreich ist erneut in einer politischen Krise

AMSTERDAM: Zum Sturz der Regierung in Frankreich schreibt die niederländische Zeitung «de Volkskrant» am Donnerstag:

«Michel Barnier ist nun ein Rekordhalter: Mit nur 91 Tagen ist er der Premierminister, der die kürzeste Zeit im Amt war. Das Scheitern seines Kabinetts stürzt Frankreich in eine weitere politische Krise. Präsident Emmanuel Macron ist dafür zumindest teilweise selbst verantwortlich. Seit er Freund und Feind gleichermaßen mit der Ausrufung vorgezogener Neuwahlen überraschte, ist die ohnehin instabile politische Lage nur noch fragiler geworden. Keiner der politischen Blöcke verfügt auch nur annähernd über eine Mehrheit, und Kompromisse sind in der DNA der konfliktgeladenen französischen Politik nicht verankert.

Ohne eine Regierung wird das Haushaltsgesetz 2025 nicht rechtzeitig durch das Parlament kommen. Das hat bereits Folgen: Als Reaktion auf das politische Chaos schießen die Zinsen für französische Staatsanleihen in die Höhe, während das Land mit einem hohen Haushaltsdefizit und einer enormen Staatsverschuldung zu kämpfen hat. (.)

Um zu verhindern, dass eine neue Regierung auch wieder unter der ständigen Bedrohung eines Misstrauensvotums agieren muss, hat der frühere Premierminister Gabriel Attal vorgeschlagen, eine breite Koalition zu bilden, die nur die radikalen Parteien ausschließt. Ein Teil der Linken ist daran interessiert, vorausgesetzt, man überlässt ihnen die Führung. Doch das hatte Macron im vergangenen Sommer noch völlig ausgeschlossen.»

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