Zeitungen zum Geschehen am Donnerstag

Foto: Pixabay/Gerd Altmann
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«Der Standard»: Die Linke zu dämonisieren ist absurd

WIEN: Über den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, nachdem die Partei weder mit der AfD noch mit der Linkspartei zusammenarbeitet, schreibt die Wiener Zeitung «Der Standard»:

«Der Beschluss führt nun in Thüringen zu seltsamen Verrenkungen. Um die AfD aus einer Landesregierung herauszuhalten, spricht CDU-Chef Mario Voigt mit dem neuen Bündnis der Ex-Linken Sahra Wagenknecht, die übrigens 1989, in der Endphase der DDR, noch in die Einheitspartei SED eintrat.

Nicht reden darf er eigentlich mit dem linken (Noch-)Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, einem Christen, den viele als verkappten Sozialdemokraten sehen und der das Land in den vergangenen zehn Jahren regiert hat. Die Linke immer noch so zu dämonisieren ist absurd. Auch darüber könnte CDU-Chef Merz einmal nachdenken.»


«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Terror/München

Mitten in München ist auf Polizisten scharf geschossen worden (.) Das ist ein offener Angriff auf Repräsentanten des freiheitlichen Staates und damit auf uns alle.

(.) Überfordert kann ein Mensch sein; der Rechtsstaat darf es nicht sein. (.) In München war offenbar der Staat in Gestalt seiner Beamten das Ziel. Der Angriff wurde abgewehrt. Die Staatsdiener in der Polizei, der Bundeswehr, beim Zoll, in den Kommunen und Schulen, also diejenigen, die in der ersten Reihe stehen, sind der politischen Führung oft meilenweit voraus. Sie wissen, was die Stunde geschlagen hat - und machen auf souveräne Weise das Beste daraus. Die Politik darf sie nicht im Regen stehen lassen. Sie muss sie stärken und alles dafür tun, dass nicht nur Europa, sondern auch Deutschland ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bleibt.


«Dziennik»: Volkswagen kapituliert Politik-Ausland

WARSCHAU: Die polnische Zeitung «Dziennik Gazeta Prawna» befasst sich am Donnerstag mit den Einsparungen bei VW:

«Im vergangenen Jahr hat der Volkswagen-Konzern bei einem Umsatz von 322 Milliarden Euro einen Gewinn von 17,9 Milliarden Euro und damit eine Rentabilität von 5,5 Prozent erzielt. Außerdem schüttete das Unternehmen fast 11 Milliarden Euro an Dividenden an seine Aktionäre aus. Geht es bei dem Sparprogramm von VW also nur darum, dass die Anteilseigner noch mehr verdienen und die Kosten dafür von den entlassenen Arbeitnehmern getragen werden? Nicht unbedingt.

Das Vorgehen des Unternehmens spiegelt die schwache Verfassung der deutschen - und im weiteren Sinne, europäischen - Wirtschaft wider. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022, der zu einer Energiekrise führte, ist die deutsche Industrie, der eine billige Energiequelle entzogen wurde, in eine Krise geraten, von der sie sich bis heute nicht erholt hat. Deutsche Produkte haben an Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten verloren. Dies gilt auch für die Automobilindustrie, die der Stolz der deutschen Wirtschaft ist. Gleichzeitig ist VW eines der Unternehmen, die Marktanteile verlieren. In den vergangenen zehn Jahren verkaufte VW mehr als zehn Millionen Autos pro Jahr und war der Weltmarktführer. Jetzt musste der Konzern den Platz an Toyota abgeben.»


«Hospodarske noviny»: Ukrainischer Demokratie gebührt Respekt

PRAG: Zur Regierungsumbildung in der Ukraine schreibt die liberale Zeitung «Hospodarske noviny» aus Tschechien am Donnerstag:

«Die Reaktion des Westens (auf die Regierungsumbildung in der Ukraine) ist einigermaßen zynisch. Die Verbündeten haben Kiew trotz der Forderungen der ukrainischen Führung nicht genug Flugabwehrsysteme geliefert. Zudem schränken sie die Möglichkeiten ein, weitreichende westliche Waffen gegen Ziele in Russland zu verwenden. Und auf einmal herrscht Nervosität wegen Änderungen in der Regierung in Kiew? (...)

Zunächst einmal muss man sich bewusst machen, dass das ukrainische Regierungssystem auf einem starken Präsidenten beruht. Das hat sich während des Krieges noch verstärkt. Die Regierung ist eigentlich nicht mehr als eine Serviceorganisation für Präsident Wolodymyr Selenskyj und den Leiter des Präsidialamts, Andrij Jermak. (...)

Man muss der ukrainischen Demokratie Respekt zollen, die sich in einer wirklich schwierigen Kriegssituation befindet. Kein Anführer eines westlichen Landes würde mit Selenskyj tauschen wollen. Je länger der Krieg andauert, desto stärker nehmen die Verbündeten die ukrainische Politik kritisch unter die Lupe. Auch wenn es keiner offen zugibt, würden sie am liebsten Signale sehen, dass Kiew mit Friedensverhandlungen beginnen möchte.»


«Corriere della Sera»: Es muss mehr investiert werden

MAILAND: Die italienischen Zeitung «Corriere della Sera» befasst sich am Donnerstag mit den wirtschaftlichen Problemen Deutschlands und schaut dabei auch auf das eigene Land:

«Die Gründe für die schwierige wirtschaftliche Situation Deutschlands halten auch einige Lektionen für uns bereit. In den 20 Jahren zwischen 2000 und 2019 hat Deutschland die gesamten Investitionen (öffentliche wie private) um fast zwei Prozent des BIP verringert (....) Deutschland war eines der Länder mit den wenigstens öffentlichen Investitionen (...) Nach der Finanzkrise 2008-9 hat Berlin eine gesetzliche Schuldenbremse eingeführt (....) Dies hat dazu beigetragen, das deutsche Haushaltsdefizit deutlich zu senken, aber es handelt sich zum Teil um eine Illusion. Ein Land, das nicht genügend für die Instandhaltung tut, lebt auf Kosten seines öffentlichen Kapitals. Binnen kurzem gibt es kein Defizit mehr, aber die Brücken und Straßen halten nicht mehr stand. Die Ausgaben werden nicht verringert: sie werden nur verschoben (...) Italien leidet unter ähnlichen Problemen. Über Jahre haben wir lieber Altersrenten finanziert, als in den Katastrophenschutz zu investieren. Mit dem Ergebnis, dass wir nachher mehr ausgeben mussten, um mit den Folgen von Hochwassern und anderen Naturphänomenen fertigzuwerden. Das Gleiche gilt für die Schulgebäude, bei denen kein adäquater Erdbebenschutz geleistet wurde.»


«The Irish Times»: Anklagen nach Grenfell-Katastrophe ungewiss

DUBLIN: Die in Dublin erscheinende «Irish Times» kommentiert am Donnerstag den Bericht zur Brandkatastrophe in dem Londoner Hochhaus Grenfell Tower:

«Die Familien der Todesopfer und jene, die ihr Zuhause verloren haben, erfuhren die Wahrheit aus einem umfassenden Bericht, dessen Verfasser kein Blatt vor den Mund nahmen. Das Fazit lautet: Der Tod von 72 Bewohnern bei dem verheerenden Brand im Grenfell-Wohnkomplex im Stadtteil Kensington im Jahr 2017 war «durchweg vermeidbar».

Die Menschen, die dort lebten und starben, wurden von aufeinanderfolgenden Regierungen, der selbstgefälligen lokalen Behörde und deren Mieterverwaltungsorganisation, von Architekten, Beratern, Bauunternehmern, von den Herstellern der Fassadenverkleidung, die die Hauptursache für die Ausbreitung des Feuers war, und von der schlecht geführten Londoner Feuerwehr «schwer im Stich gelassen». (...)

Der Bericht wird im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung geprüft, die voraussichtlich mehr als 18 Monate dauern wird. Obwohl er zu dem Schluss kommt, dass «jahrzehntelanges Versagen» zu der Tragödie geführt hat, ist unklar, ob es jemals zu strafrechtlichen Anklagen kommen wird.»


«The Times»: Großbritannien ist mit turmhohen Todesfallen übersät

LONDON: Zum Untersuchungsbericht zur Brandkatastrophe in dem Londoner Hochhaus Grenfell Tower mit 72 Toten meint die britische Zeitung «The Times» am Donnerstag:

«Sieben Jahre nach dem Brand sind diejenigen, deren Handlungen die Grenze von bloßer Inkompetenz und gefühlloser Gleichgültigkeit zur Kriminalität überschritten hatten (vor allem durch das absichtliche Verschweigen, wie gefährlich die bei der Renovierung des Grenfell Tower verwendeten Materialien waren), immer noch weit davon entfernt, vor Gericht gestellt zu werden. (...)

Sieben Jahre nach der Katastrophe und 32 Jahre, nachdem die Gefahr solcher Brände zum ersten Mal erkannt worden war, ist Großbritannien immer noch mit turmhohen Todesfallen übersät. Wie diese Zeitung aufdeckte, hat das Gezerre zwischen Baufirmen und Hausbesitzern, die verzweifelt versuchen, die Kosten für die nötige Erneuerung gefährlicher Fassadenverkleidungen zu vermeiden, in Verbindung mit dem Zaudern der Regierung bei der Zuweisung der Haftung zu einem enormen Reparaturstau geführt.

Häuserblocks mit rund 172.000 Wohnungen haben nach wie vor eine gefährliche Fassade, und die meisten warten noch immer auf den Beginn der Austauscharbeiten. Mehr als 1500 Gebäude im ganzen Land sind demnach immer noch «lebensbedrohlichen Brandschutzrisiken» ausgesetzt.»


«Sydsvenskan»: Netanjahu in unmöglicher Lage

MALMÖ: Die liberale schwedische Tageszeitung «Sydsvenskan» (Malmö) kommentiert die Proteste gegen die Regierung in Israel nach dem Fund von sechs toten Geiseln:

«Die Hamas hätte sich damit zufriedengeben können, am 7. Oktober so viele israelische Zivilisten wie möglich zu töten. Stattdessen entführten sie mehr als 200 Israelis und brachten sie nach Gaza. Das war kein Impuls, sondern durchdacht und geplant. Die Hamas-Führung wusste, wie die Reaktionen in Israel aussehen würden, und wollte sich eine Verhandlungsposition verschaffen.

Nachdem sechs israelische Geiseln von der Hamas hingerichtet wurden, haben umfassende Demonstrationen und Streiks weite Teile Israels lahmgelegt. Vieles an der Kritik an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist berechtigt, und Demonstranten und die Familien der Geiseln fordern eine Übereinkunft mit der Hamas. Aber was würde es bedeuten, wenn Israel der Hamas-Forderung zustimmt und sich dauerhaft aus Gaza zurückzieht? Dass die letzten der Geiseln nach Hause zurückkehren dürften, aber auch, dass die Hamas als Siegerin aus dem Krieg hervorgehen würde. Sie würde ihre Terrorführung über die Palästinenser im Gazastreifen fortführen können. Und was war dann der Sinn des Krieges? Wofür sind all diese Menschen gestorben, wenn alles wieder so wird wie vor dem 7. Oktober?

Netanjahu befindet sich in einer unmöglichen Lage, eingeklemmt zwischen seinem Volk und der rechtsnationalistischen Regierung, mit der er sich selbst festgezurrt hat. Für den Frieden braucht es eine neue Führung, sowohl in Israel als auch in Palästina - Führungskräfte, die nicht von Extremismus gelenkt werden.»


«Wall Street Journal»: US-Anklage gegen Hamas-Führer nur Symbolik

NEW YORK: Die US-Regierung hat im Zusammenhang mit dem Massaker am 7. Oktober 2023 in Israel Strafanzeige gegen hochrangige Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Hamas gestellt. Dazu schreibt das «Wall Street Journal» am Donnerstag:

«Die Hinrichtung des US-Bürgers Hersh Goldberg-Polin und fünf weiterer Geiseln durch die Hamas sollte nicht unbeantwortet bleiben. (...) Die Biden-Regierung hat am Dienstag reagiert. Der Schritt der USA ist ein kleiner, und er ist nicht einmal neu. Die USA haben die Anklage bereits im Februar erhoben, und ihre Bekanntmachung jetzt wirkt allzu sehr wie eine politische Geste. (...)

Israel führt einen Krieg ums Überleben (...). Es zählt, den Krieg zu gewinnen, nicht Verdächtige zu verhaften. Die Strafanzeigen bergen die Gefahr, die Bedeutung dieses Ziels zu verwischen.

Wenn die Biden-Regierung den Willen hätte, könnte sie an diese Anklagen hohe Kopfgelder auf Hamas-Führer anknüpfen und mit einer Klagewelle gegen materielle Unterstützer der Hamas in den USA vorgehen. Das hat sie aber nicht getan. Ein weiterer überfälliger Schritt wäre, Druck auf Katar und den Libanon auszuüben, um Hamas-Führer auszuliefern. (...)

Wenn Biden die Hamas unter Druck setzen will, hat er andere Optionen als die symbolische Geste einer US-Strafanzeige für einen Prozess in einem amerikanischen Gerichtssaal, den die Angeklagten wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen werden.»

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