Zeitungen zum Geschehen am Donnerstag

Foto: Adobe Stock/©elis Lasop
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«Frankfurter Allgemeine Zeitung» zu Wahlrechtsreform

Dass künftig nicht jeder, der in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, in den Bundestag einzieht, dass womöglich eine Partei, die in einem Bundesland zahlreiche Direktmandate erhält, außen vor bleibt - das sind nicht nur Geschmacks-, sondern Demokratiefragen.

Es fällt schwer, angesichts des komplexen deutschen Wahlrechts, das Mehrheits- und Verhältniswahl munter mischt, von Systembrüchen zu sprechen. Aber ein gewisses Maß an Konsistenz und Transparenz muss es schon aufweisen. Hier geht es um die Gesamtarithmetik der Macht - und damit auch um den gesellschaftlichen Frieden.... Tatsächlich ist es schon ein Kardinalfehler gewesen, über ein neues Wahlrecht nicht im Konsens zu entscheiden. Der Fetisch «Verkleinerung des Bundestages» darf nicht dazu führen, dass künftig jede Koalition ihr eigenes Wahlrecht ausruft.


«Sme»: Der Westen kämpft gegen einen Phantom-Putin

BRATISLAVA: Die liberale slowakische Tageszeitung «Sme» schreibt am Donnerstag über die westliche Wahrnehmung des russischen Präsidenten Wladimir Putin:

«Mit welcher Faszination der Westen auf Wladimir Putin blickt, als wäre er kein Mensch aus Fleisch und Blut, würde eine wissenschaftliche Untersuchung verdienen. (...) Wir sehen das Bild eines undurchschaubaren Spielers ohne Selbsterhaltungstrieb. Denn unter normalen Umständen würde der Westen doch einfach so viele konventionelle Waffen in die Ukraine schicken, dass Kiew längst alle besetzten Gebiete befreit hätte. Aber nein, wir fürchten uns stattdessen vor einer geradezu mythischen «Eskalation». (...)

Er muss entweder eine Lichtgestalt für die Welt sein oder ein Dämon, der uns alle vernichten kann. Aber diese Sicht hat nur der Westen. Das militärisch, geopolitisch und wirtschaftlich auch nicht stärkere China verhält sich zu Russland und Putin viel rationaler. China sieht in Russland nichts Mythisches, sondern Rohstoffquellen, die man sich jetzt kauft und sich später vielleicht einfach nimmt. Und in Putin sieht man einen zwar großspurigen, etwas übergeschnappten, aber sonst ganz gewöhnlichen Banditen, dem ein glückliches Schicksal ermöglichte, seinen ganzen Staat zu vereinnahmen. Auch wir sollten gegen diesen echten Putin kämpfen, nicht gegen einen ausgedachten.»


«Lidove noviny»: Lieber auf Fakten und Beweise warten

PRAG: Nach der mutmaßlichen Sprengung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine schreibt die konservative Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien am Donnerstag:

«Angriffe auf die Infrastruktur gehören zu den perfidesten Seiten des Ukraine-Krieges. Am bekanntesten sind die Anschläge auf die Gaspipeline Nord Stream, auf die Krim-Brücke und nun auf den Kachowka-Staudamm. Bei keinem von ihnen wurde bisher ein eindeutiger Verursacher festgestellt. Das verringert nicht die russische Schuld an dem Krieg. Die Solidarität mit der Ukraine bleibt ungebrochen. Doch das darf einen rationalen Blick auf die Ereignisse nicht verhindern. (...) Sollten wir nicht lieber auf Fakten und Beweise warten - genau so, wie es UN-Generalsekretär António Guterres vorgemacht hat?»


«ABC»: Der Krieg in Europas Kornkammer spitzt sich zu

MADRID: Zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine schreibt die spanische Zeitung «ABC» am Donnerstag:

«Der Kreml bestreitet weiterhin seine Beteiligung an der Sprengung des Kachowka-Staudamms in der Nähe von Cherson, obwohl die Anlage seit mehr als einem Jahr unter der Kontrolle von Putins Truppen steht. Das nützt aber nichts, denn alles deutet darauf hin, dass dieses Kriegsverbrechen, wie die UN es nannte, von Russland begangen wurde. Moskau ist somit für die ökologische und humanitäre Katastrophe verantwortlich, von der Tausende Menschen betroffen sind, die ihre Häuser, ihre Ernten und sogar ihre Wasserversorgung verloren haben. Es ist ein grausames Paradoxon: kein fließendes Wasser zu haben, wenn einem aber das Wasser bis zum Hals steht.

Auf operativer Ebene gelingt es Russland derweil, die ukrainische Gegenoffensive zu stoppen, nachdem Kiew vom Westen die dafür nötigen Panzer und Flugzeuge erhalten hat. Der Krieg spitzt sich in der Kornkammer Europas zu - sowohl an der Front als auch wirtschaftlich.»


«Financial Times»: Kriegsverbrechen oder kriminelle Fahrlässigkeit?

LONDON: Zum Bruch des Kachowka-Staudamms meint die Londoner «Financial Times» am Donnerstag:

«Natürlich gibt es keine schlüssigen Beweise für die Verantwortung Moskaus für diese humanitäre und ökologische Katastrophe; es ist durchaus möglich, dass es sich um einen strukturellen Zusammenbruch handelt. Aber jede Analyse muss zu dem Schluss kommen, dass Russland weit mehr zu gewinnen hatte als die Ukraine. Solange keine andere Erklärung auftaucht, reiht sich die Katastrophe in die Liste der Vorwürfe wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gegen den Kreml ein.

Ein absichtlich herbeigeführter Dammbruch, der zu Überschwemmungen führt, wäre eine Fortsetzung der russischen Strategie. (...) Russland hat kritische Infrastrukturen angegriffen, um die Moral und die Kampfkraft der Ukraine zu schwächen. Es hat auf ukrainischem Territorium eine Politik der verbrannten Erde betrieben. Und es hat bereits gezeigt, dass es bereit ist, Überschwemmungen als Waffe einzusetzen, als es im vergangenen Herbst einen nahe gelegenen Damm beschoss, um die gegnerischen Truppen zu behindern.

Sollte es sich stattdessen um einen strukturellen Zusammenbruch gehandelt haben, so kommt Russlands Versäumnis, den Damm zu reparieren, nachdem er vor Monaten bei Kämpfen beschädigt wurde, in Verbindung mit den jüngsten ungewöhnlich hohen Wasserständen im Grunde genommen einer kriminellen Fahrlässigkeit gleich.»


«de Volkskrant»: Lulas Kampf gegen Abholzung ist schwieriger geworden

AMSTERDAM: Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva will die Abholzung im Amazonasgebiet eindämmen. Dazu meint die niederländische Zeitung «de Volkskrant» am Donnerstag:

«Das ist eine gute Nachricht: Der Amazonas ist von großer Bedeutung für die Umwelt, das Klima und die Tierwelt in Brasilien und der ganzen Welt. Lulas rechter Vorgänger Bolsonaro sah den Amazonas als wirtschaftliches Ausbeutungsgebiet, das keinen besonderen Schutz benötigte. (...)

Lula will den illegalen Holzeinschlag auf Null reduzieren. Dass dies kein leeres Versprechen ist, hat er in seinen vorherigen Regierungen von 2003 bis 2011 bewiesen. Im Jahr 2012 war der illegale Holzeinschlag um mehr als 80 Prozent geringer als im Jahr 2003. Diesmal steht Lula jedoch vor einer schwierigeren Aufgabe. Er muss den Geist Bolsonaros zurück in die Flasche bekommen. Der mächtige Agrarwirtschaftssektor hatte vier Jahre lang freie Hand und wird sich gegen jede Antastung seiner Position wehren. Außerdem ist die brasilianische Gesellschaft stark polarisiert und Lula muss sich mit einer rechten Mehrheit im Kongress auseinandersetzen.»


«NZZ»: Russland spielt mit dem Feuer

ZÜRICH: Russland trage die Verantwortung für den Bruch des Kachowka-Damms, meint die «Neue Zürcher Zeitung» am Donnerstag:

«Selbst wenn die Besatzer das Bauwerk nicht sprengten, so haben sie mit ihrem Verhalten ein inakzeptables Risiko heraufbeschworen. Aus ungeklärten Gründen unterließen sie es, mit dem Öffnen zusätzlicher Schleusentore den Wasserstand im Stausee auf ein normales Niveau zu bringen. Eine genaue forensische Untersuchung anhand der vorliegenden Indizien wäre für eine Klärung nötig, aber das Putin-Regime wird dazu sicherlich keine Hand bieten. Eine kurzfristige Lehre muss jedoch lauten, trotz Krieg auf die Einhaltung minimaler Sicherheitsstandards in solchen Industrieanlagen zu pochen. Vergeblich hatte die ukrainische Regierung schon im letzten Herbst um eine internationale Überwachung des Kachowka-Damms gebeten. Hätte die Staatenwelt dies mit Nachdruck eingefordert, hätte sich die Katastrophe vielleicht verhindern lassen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die alte Forderung nach der Schaffung einer entmilitarisierten, international kontrollierten Zone um das Atomkraftwerk Saporischschja mit neuer Dringlichkeit. Denn das Spiel mit dem Feuer, das Russland dort betreibt, indem es Sicherheitsregeln missachtet und Kriegsgerät auf dem AKW-Gelände stationiert, kann früher oder später ein noch viel größeres Unglück auslösen.»


«Washington Post»: Rauch in US-Städten Vorbote für die Zukunft

WASHINGTON: Zu den Waldbränden in Kanadas Osten, deren Rauch auch den Himmel in US-Städten wie New York eintrübt und die Luftqualität deutlich verschlechtert hat, schreibt die «Washington Post»:

«Während es oft Zeit braucht, um zu beurteilen, wie stark der Klimawandel zu einer bestimmten Katastrophe beigetragen hat, ist eine landesweite Zunahme der Waldbrandaktivität eine der vorhersehbarsten Auswirkungen der globalen Erwärmung. (...) Im Falle von Waldbränden bedeutet das, dass mehr Bundesstaaten und Kommunen in Betracht ziehen müssen, bessere Waldbewirtschaftungsmaßnahmen zu ergreifen, klare Richtlinien für die Schließung von Schulen und anderen öffentlichen Diensten auszuarbeiten und eine Gruppe von Teilzeit-Feuerwehrleuten zusammenzustellen, die bereit sind, gefährliche Brände zu bekämpfen. (...)

Und es bedeutet, dass die Menschen lernen müssen, wie sie giftige Feinstaubpartikel mit Masken und Luftfiltern vermeiden können - und darauf achten müssen, wann sie in geschlossenen Räumen bleiben sollten. Dies wird wahrscheinlich eine von vielen Anpassungen sein, die die Amerikaner angesichts der fortschreitenden globalen Erwärmung vornehmen müssen. In gewisser Weise könnte der Dunstschleier dafür sorgen, dass jeder klarer sieht, was vor uns liegt.»

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